Vierzehnter Auftritt

[64] Penthesilea, Prothoe, Achilles. Gefolge von Amazonen.


PROTHOE.

Penthesilea! O du Träumerin!

In welchen fernen Glanzgefilden schweift

Dein Geist umher, mit unruhvollem Flattern,

Als ob sein eigner Sitz ihm nicht gefiele,

Indes das Glück, gleich einem jungen Fürsten,

In deinen Busen einkehrt, und, verwundert

Die liebliche Behausung leer zu finden,

Sich wieder wendet und zum Himmel schon

Die Schritte wieder flüchtig setzen will?

Willst du den Gast nicht fesseln, o du Törin?

Komm hebe dich an meine Brust.

PENTHESILEA.

Wo bin ich?

PROTHOE.

– Kennst du die Stimme deiner Schwester nicht?

Führt jener Fels dich, dieser Brückenpfad,

Die ganze blühnde Landschaft nicht zurück?

– Sich diese Jungfraun, welche dich umringen:

Wie an den Pforten einer schönren Welt,

Stehn sie, und rufen dir: willkommen! zu.

– Du seufzest. Was beängstigt dich?

PENTHESILEA.

Ach Prothoe!

Welch einen Traum entsetzensvoll träumt ich –

Wie süß ist es, ich möchte Tränen weinen,

Dies mattgequälte Herz, da ich erwache,

An deinem Schwesterherzen schlagen fühlen –

– Mir war, als ob, im heftigen Getümmel,

Mich des Peliden Lanze traf: umrasselt

Von meiner erznen Rüstung, schmettr ich nieder;

Der Boden widerhallte meinem Sturz.

Und während das erschrockne Heer entweicht,

Umstrickt an allen Gliedern lieg ich noch,

Da schwingt er sich vom Pferde schon herab,[64]

Mit Schritten des Triumphes naht er mir?

Und er ergreift die Hingesunkene,

In starken Armen hebt er mich empor,

Und jeder Griff nach diesem Dolch versagt mir,

Gefangen bin ich und mit Hohngelächter

Zu seinen Zelten werd ich abgeführt.

PROTHOE.

Nicht, meine beste Königin! Der Hohn

Ist seiner großmutsvollen Seele fremd.

Wär es, was dir im Traum erschien: glaub mir,

Ein sel'ger Augenblick wär dir beschieden,

Und in den Staub vielleicht, dir huldigend,

Sähst du den Sohn der Götter niederfallen.

PENTHESILEA.

Fluch mir, wenn ich die Schmach erlebte, Freundin!

Fluch mir, empfing ich jemals einen Mann,

Den mir das Schwert nicht würdig zugeführt.

PROTHOE.

Sei ruhig, meine Königin.

PENTHESILEA.

Wie! Ruhig –

PROTHOE.

Liegst du an meinem treuen Busen nicht?

Welch ein Geschick auch über dich verhängt sei,

Wir tragen es, wir beide: fasse dich.

PENTHESILEA.

Ich war so ruhig, Prothoe, wie das Meer,

Das in der Bucht des Felsen liegt; nicht ein

Gefühl, das sich in Wellen mir erhob.

Dies Wort: sei ruhig! jagt mich plötzlich jetzt

Wie Wind die offnen Weltgewässer, auf.

Was ist es denn, das Ruh hier nötig macht? –

Ihr steht so seltsam um mich, so verstört –

– Und sendet Blicke, bei den ew'gen Göttern,

In meinen Rücken hin, als stünd ein Unhold,

Mit wildem Antlitz dräuend, hinter mir.

– Du hörst's, es war ja nur ein Traum, es ist nicht –

Wie! Oder ist es? Ist's? Wär's wirklich? Rede! –

– Wo ist denn Meroe? Megaris?


Sie sieht sich um und erblickt den Achilles.


Entsetzlich![65]

Da steht der Fürchterliche hinter mir.

Jetzt meine freie Hand –


Sie zieht den Dolch.


PROTHOE.

Unglückliche!

PENTHESILEA.

O die Nichtswürdige, sie wehret mir –

PROTHOE.

Achilles! Rette sie.

PENTHESILEA.

O Rasende!

Er soll den Fuß auf meinen Nacken setzen!

PROTHOE.

Den Fuß, Wahnsinnige –

PENTHESILEA.

Hinweg, sag ich! –

PROTHOE.

So sieh ihn doch nur an, Verlorene –!

Steht er nicht ohne Waffen hinter dir?

PENTHESILEA.

Wie? Was?

PROTHOE.

Nun ja! Bereit, wenn du's verlangst,

Selbst deinem Fesselkranz sich darzubieten.

PENTHESILEA.

Nein, sprich.

PROTHOE.

Achill! Sie glaubt mir nicht. Sprich du!

PENTHESILEA.

Er wär gefangen mir?

PROTHOE.

Wie sonst? Ist's nicht

ACHILLES der währenddessen vorgetreten.

In jedem schönren Sinn, erhabne Königin!

Gewillt mein ganzes Leben fürderhin,

In deiner Blicke Fesseln zu verflattern.

PENTHESILEA drückt ihre Hände vors Gesicht.

PROTHOE.

Nun denn, da hörtest du's aus seinem Mund.

– Er sank, wie du, als ihr euch traft, in Staub;

Und während du entseelt am Boden lagst,

Ward er entwaffnet – nicht?

ACHILLES.

Ich ward entwaffnet;

Man führte mich zu deinen Füßen her.


Er beugt ein Knie vor ihr.


PENTHESILEA nach einer kurzen Pause.

Nun denn, so sei mir, frischer Lebensreiz,

Du junger, rosenwang'ger Gott, gegrüßt!

Hinweg jetzt, o mein Herz, mit diesem Blute,

Das aufgehäuft, wie seiner Ankunft harrend,

In beiden Kammern dieser Brüste liegt.[66]

Ihr Boten, ihr geflügelten, der Lust,

Ihr Säfte meiner Jugend, macht euch auf,

Durch meine Adern fleucht, ihr jauchzenden,

Und laßt es einer roten Fahne gleich,

Von allen Reichen dieser Wangen wehn:

Der junge Nereïdensohn ist mein!


Sie steht auf.


PROTHOE.

O meine teure Königin, mäß'ge dich.

PENTHESILEA indem sie vorschreitet.

Heran, ihr sieggekrönten Jungfraun jetzt,

Ihr Töchter Mars', vom Wirbel bis zur Sohle

Vom Staub der Schlacht noch überdeckt, heran,

Mit dem Argiverjüngling jegliche,

Den sie sich überwunden, an der Hand!

Ihr Mädchen, naht euch, mit den Rosenkörben:

Wo sind für soviel Scheitel Kränze mir?

Hinaus mir über die Gefilde, sag ich,

Und mir die Rosen, die der Lenz verweigert,

Mit eurem Atem aus der Flur gehaucht!

An euer Amt, ihr Priestrinnen der Diana:

Daß eures Tempels Pforten rasselnd auf,

Des glanzerfüllten, weihrauchduftenden,

Mir, wie des Paradieses Tore, fliegen!

Zuerst den Stier, den feisten, kurzgehörnten,

Mir an den Altar hin; das Eisen stürz ihn,

Das blinkende, an heil'ger Stätte lautlos,

Daß das Gebäu erschüttere, darnieder.

Ihr Dienrinnen, ihr rüstigen, des Tempels,

Das Blut, wo seid ihr? rasch, ihr Emsigen,

Mit Perserölen, von der Kohle zischend,

Von des Getäfels Plan hinweggewaschen!

Und all ihr flatternden Gewänder, schürzt euch,

Ihr goldenen Pokale, füllt euch an,

Ihr Tuben, schmettert, donnert, ihr Posaunen,

Der Jubel mache, der melodische,

Den festen Bau des Firmamentes beben! –[67]

O Prothoe! Hilf jauchzen mir, frohlocken,

Erfinde, Freundin, Schwesterherz, erdenke,

Wie ich ein Fest jetzt, göttlicher, als der

Olymp durchjubelte, verherrliche,

Das Hochzeitsfest der krieggeworbnen Bräute,

Der Inachiden und der Kinder Mars'! –

O Meroe, wo bist du? Megaris?

PROTHOE mit unterdrückter Rührung.

Freud ist und Schmerz dir, seh ich, gleich verderblich,

Und gleich zum Wahnsinn reißt dich beides hin.

Du wähnst, wähnst dich in Themiscyra schon,

Und wenn du so die Grenzen überschwärmst,

Fühl ich gereizt mich, dir das Wort zu nennen,

Das dir den Fittich plötzlich wieder lähmt.

Blick um dich her, Betrogene, wo bist du?

Wo ist das Volk? Wo sind die Priesterinnen?

Asteria? Meroe? Megaris? Wo sind sie?

PENTHESILEA an ihrem Busen.

O laß mich, Prothoe! O laß dies Herz

Zwei Augenblick in diesem Strom der Lust,

Wie ein besudelt Kind, sich untertauchen;

Mit jedem Schlag in seine üpp'gen Wellen

Wäscht sich ein Makel mir vom Busen weg.

Die Eumeniden fliehn, die schrecklichen,

Es weht, wie Nahn der Götter um mich her,

Ich möchte gleich in ihren Chor mich mischen,

Zum Tode war ich nie so reif als jetzt.

Doch jetzt vor allem: du vergibst mir doch?

PROTHOE.

O meine Herrscherin!

PENTHESILEA.

Ich weiß, ich weiß –

Nun, meines Blutes beßre Hälft ist dein.

– Das Unglück, sagt man, läutert die Gemüter,

Ich, du Geliebte, ich empfand es nicht;

Erbittert hat es, Göttern mich und Menschen

In unbegriffner Leidenschaft empört.

Wie seltsam war, auf jedem Antlitz, mir,[68]

Wo ich sie traf, der Freude Spur verhaßt;

Das Kind, das in der Mutter Schoße spielte,

Schien mir verschworen wider meinen Schmerz.

Wie möcht ich alles jetzt, was mich umringt,

Zufrieden gern und glücklich sehn! Ach, Freundin!

Der Mensch kann groß, ein Held, im Leiden sein,

Doch göttlich ist er, wenn er selig ist!

– Doch rasch zur Sache jetzt. Es soll das Heer

Zur Rückkehr schleunig jede Anstalt treffen;

Sobald die Scharen ruhten, Tier und Menschen,

Bricht auch der Zug mit den Gefangenen,

Nach unsern heimatlichen Fluren auf. –

– Wo ist Lykaon?

PROTHOE.

Wer?

PENTHESILEA mit zärtlichem Unwillen.

Wer, fragst du noch!

Er, jener blühende Arkadierheld,

Den dir das Schwert erwarb. Was hält ihn fern?

PROTHOE verwirrt.

Er weilt noch in den Wäldern, meine Königin!

Wo man die übrigen Gefangnen hält.

Vergönne, daß er, dem Gesetz gemäß,

Eh nicht, als in der Heimat mir erscheine.

PENTHESILEA.

Man ruf ihn mir! – Er weilt noch in den Wäldern!

– Zu meiner Prothoe Füßen ist sein Platz!

– – Ich bitte dich, Geliebte, ruf ihn her,

Du stehst mir, wie ein Maienfrost, zur Seite,

Und hemmst der Freude junges Leben mir.

PROTHOE für sich.

Die Unglückselige! – Wohlan so geht,

Und tut, wie euch die Königin befohlen.


Sie winkt einer Amazone; diese geht ab.


PENTHESILEA.

Wer schafft mir jetzt die Rosenmädchen her?


Sie erblickt Rosen auf dem Boden.


Sieh! Kelche finden, und wie duftende,

Auf diesem Platz sich –!


[69] Sie fährt sich mit der Hand über die Stirne.


Ach mein böser Traum!


Zu Prothoe.


War denn der Diana Oberpriestrin hier?

PROTHOE.

Nicht, daß ich wüßte, meine Königin –

PENTHESILEA.

Wie kommen denn die Rosen her?

PROTHOE rasch.

Sieh da!

Die Mädchen, die die Fluren plünderten,

Sie ließen einen Korb voll hier zurück.

Nun, diesen Zufall wahrlich nenn ich günstig.

Hier, diese duft'gen Blüten raff ich auf,

Und winde den Pelidenkranz dir. Soll ich?


Sie setzt sich an der Eiche nieder.


PENTHESILEA.

Du Liebe! Treffliche! Wie du mich rührst. –

Wohlan! Und diese hundertblättrigen

Ich dir zum Siegerkranz Lykaons. Komm.


Sie rafft gleichfalls einige Rosen auf, und setzt sich neben Prothoe nieder.


Musik, ihr Fraun, Musik! Ich bin nicht ruhig.

Laßt den Gesang erschallen! Macht mich still.

EINE JUNGFRAU aus ihrem Gefolge.

Was wünschest du?

EINE ANDERE.

Den Siegsgesang?

PENTHESILEA.

– Die Hymne.

DIE JUNGFRAU.

Es sei. – O die Betrogene! – Singt! Spielt!

CHOR DER JUNGFRAUN mit Musik.

Ares entweicht!

Seht, wie sein weißes Gespann

Fernhin dampfend zum Orkus niedereilt!

Die Eumeniden öffnen, die scheußlichen:

Sie schließen die Tore wieder hinter ihm zu.

EINE JUNGFRAU.

Hymen! Wo weilst du?

Zünde die Fackel an, und leuchte! leuchte!

Hymen! wo weilst du?

CHOR.

Ares entweicht! usw.[70]

ACHILLES nähert sich während des Gesanges der Prothoe heimlich.

Sprich!

Wohin führt mich dies? Ich will es wissen!

PROTHOE.

Noch einen Augenblick, Großherziger,

Fleh ich dich um Geduld – du wirst es sehn.


Wenn die Kränze gewunden sind, wechselt Penthesilea den ihrigen gegen den Kranz der Prothoe, sie umarmen sich und betrachten die Windungen. Die Musik schweigt. Die Amazone kehrt zurück.


PENTHESILEA.

Hast du's bestellt?

DIE AMAZONE.

Lykaon wird sogleich,

Der junge Prinz Arkadiens, erscheinen.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 64-71.
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