Zweiter Auftritt

[297] Komar tritt auf. Die Vorigen.


MARBOD.

Den Fulvius Lepidus, Legaten Roms,

Ersuch ich, einen Augenblick,

In diesem Zelt, sein Antlitz mir zu schenken.

KOMAR.

Den Fulvius? Vergib! Der wird nicht kommen;

Er hat soeben, auf fünf Kähnen,

Sich mit der ganzen Schar von Römern eingeschifft,

Die dein Gefolg bis heut vergrößerten. –

Hier ist ein Brief, den er zurückgelassen.

MARBOD.

Was sagst du mir?

ATTARIN.

Er hat, mit allen Römern –?

MARBOD.

Wohin mit diesem Troß, jetzt, da die Nacht kömmt?

KOMAR.

In das Cheruskerland, dem Anschein nach.

Er ist am andern Weserufer schon,

Wo Pferde stehen, die ihn weiter bringen.

ATTARIN.

– Gift, Tod und Rache! Was bedeutet dies?[297]

MARBOD liest.

»Du hast für Rom dich nicht entscheiden können,

Aus voller Brust, wie du gesollt:

Rom, der Bewerbung müde, gibt dich auf.

Versuche jetzt (es war dein Wunsch) ob du

Allein den Herrschthron dir in Deutschland kannst errichten.

August jedoch, daß du es wissest,

Hat den Armin auf seinem Sitz erhöht,

Und dir – die Stufen jetzo weist er an!«


Er läßt den Brief fallen.


ATTARIN.

Verräterei! Verräterei!

Auf! Zu den Kähnen an der Weser!

Setzt dem Verfluchten nach und bringt ihn her!

MARBOD.

Laß, laß ihn, Freund! Er läuft der Nemesis,

Der er entfliehen will, entgegen!

Das Rachschwert ist schon über ihn gezückt!

Er glaubte, mir die Grube zu eröffnen,

Und selbst, mit seiner ganzen Rotte,

Zur neunten Hölle schmetternd stürzt er nieder!

– Luitgar!

LUITGAR.

Mein erlauchter Herr!

MARBOD.

Tritt näher! –

Wo ist, sag an, wollt ich die Freiheitsschlacht versuchen,

Nach des Arminius Kriegsentwurf,

Der Ort, an dem die Würfel fallen sollen?

LUITGAR.

Das ist der Teutoburger Wald, mein König.

MARBOD.

Und welchen Tag, unfehlbar und bestimmt,

Hat er zum Fall der Würfel festgesetzt?

LUITGAR.

Den Nornentag, mein königlicher Herr. –

MARBOD indem er ihm die Kinder gibt und den Dolch zerbricht.

Wohlan, dein Amt ist aus, hier nimm die Kinder,

Und auch, in Stücken, deinen Dolch zurück!

Den Brief auch –


Indem er ihn durchsieht.


kann ich nur zur Hälfte brauchen;


Er zerreißt ihn.


Den Teil, der mir von seiner Huld'gung spricht,[298]

Als einem Oberherrn, den lös ich ab. –

Triffst du ihn ehr, als ich, so sagst du ihm,

Zu Worten hätt ich keine Zeit gehabt:

Mit Taten würd ich ihm die Antwort schreiben!

LUITGAR indem er den Dolch und die Stücke des Briefes übernimmt.

Wenn ich dich recht verstehe, mein Gebieter –?

MARBOD zu den Feldherren.

Auf, Komar! Brunold! Meine Feldherrn!

Laßt uns den Strom sogleich der Weser überschiffen!

Die Nornen werden ein Gericht,

Des Schicksals fürchterliche Göttinnen,

Im Teutoburger Wald, dem Heer des Varus halten:

Auf, mit der ganzen Macht, ihr Freunde,

Daß wir das Amt der Schergen übernehmen!


Alle ab.


Szene: Straße in Teutoburg. Es ist Nacht.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 297-299.
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