Sechster Auftritt

[305] Hermann und Eginhardt treten auf. Die Vorigen.


DER ZWEITE CHERUSKER.

Komm her, mein Fürst, schau diese Greuel an!

HERMANN.

Was gibt's?

DER ERSTE CHERUSKER.

Was! Fragst du noch? Du weißt von nichts?

HERMANN.

Nichts, meine Freund'! ich komm aus meinem Zelte.

EGINHARDT.

Sagt, was erschreckt euch?

DER ZWEITE CHERUSKER halblaut.

Eine ganze Meute

Von geilen Römern, die den Platz durchschweifte,

Hat bei der Dämmrung schamlos eben jetzt –

HERMANN indem er ihn vorführt.

Still, Selmar, still! Die Luft, du weißt, hat Ohren.

– Ein Römerhaufen?

EGINHARDT.

Ha! Was wird das werden?


Sie sprechen heimlich zusammen. Pause.


HERMANN mit Wehmut, halblaut.

Hally? Was sagst du mir! Die junge Hally?

DER ZWEITE CHERUSKER.

Hally, Teutholds, des Schmidts der Waffen, Tochter!

– Da liegt sie jetzt, schau her, mein Fürst,

Von ihrem eignen Vater hingeopfert!

EGINHARDT vor der Leiche.

Ihr großen, heiligen und ew'gen Götter!

DER ERSTE CHERUSKER.

Was wirst du nun, o Herr, darauf beschließen?

HERMANN zum Volke.

Kommt, ihr Cherusker! Kommt, ihr Wodankinder!

Kommt, sammelt euch um mich und hört mich an!


Das Volk umringt ihn; er tritt vor Teuthold.


Teuthold, steh auf![305]

TEUTHOLD am Boden.

Laß mich!

HERMANN.

Steh auf, sag ich!

TEUTHOLD.

Hinweg! Des Todes ist, wer sich mir naht.

HERMANN.

– Hebt ihn empor, und sagt ihm, wer ich sei.

DER ZWEITE CHERUSKER.

Steh auf, unsel'ger Alter!

DER ERSTE CHERUSKER.

Fasse dich!

DER ZWEITE CHERUSKER.

Hermann, dein Rächer ist's, der vor dir steht.


Sie heben ihn empor.


TEUTHOLD.

Hermann, mein Rächer, sagt ihr? – Kann er Rom,

Das Drachennest, vom Erdenrund vertilgen?

HERMANN.

Ich kann's und will's! Hör an, was ich dir sage.

TEUTHOLD sieht ihn an.

Was für ein Laut des Himmels traf mein Ohr?

DIE BEIDEN VETTERN.

Du kannst's und willst's?

TEUTHOLD.

Gebeut! Sprich! Red, o Herr!

Was muß geschehn? Wo muß die Keule fallen?

HERMANN.

Das hör jetzt, und erwidre nichts. –

Brich, Rabenvater, auf, und trage, mit den Vettern,

Die Jungfrau, die geschändete,

In einen Winkel deines Hauses hin!

Wir zählen funfzehn Stämme der Germaner;

In funfzehn Stücke, mit des Schwertes Schärfe,

Teil ihren Leib, und schick mit funfzehn Boten,

Ich will dir funfzehn Pferde dazu geben,

Den funfzehn Stämmen ihn Germaniens zu.

Der wird in Deutschland, dir zur Rache,

Bis auf die toten Elemente werben:

Der Sturmwind wird, die Waldungen durchsausend,

Empörung! rufen, und die See,

Des Landes Rippen schlagend, Freiheit! brüllen.

DAS VOLK.

Empörung! Rache! Freiheit!

TEUTHOLD.

Auf! Greift an!

Bringt sie ins Haus, zerlegt in Stücken sie!


Sie tragen die Leiche fort.
[306]

HERMANN.

Komm, Eginhardt! Jetzt hab ich nichts mehr

An diesem Ort zu tun! Germanien lodert:

Laß uns den Varus jetzt, den Stifter dieser Greuel,

Im Teutoburger Walde suchen!


Alle ab.


Szene: Hermanns Zelt.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 305-307.
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