Dritte Szene


[896] Geheimderatswohnung.

Gesandter. Franz.


FRANZ. Lieber Bruder, hier halt ich's nicht aus. Du kennst mich und weißt, daß ich mich ins Verhältnis vom Hofe nicht schicken kann, am wenigsten jetzo. Ich will aufs Land gehn, mir einige Monate wieder selbst leben.

GESANDTER. Es ist mir leid; ich weiß am besten, was ich an dir verlier. Geh hin, aber sag, nur einen Monat, kehr in einem Monat zurück!

FRANZ. Wir wollen sehen. Hat mich das Ding nicht schon geschoren! Lieber Bruder, es ist was am Hof im Werk, weh dem, dem's gilt! Wenn ich nicht wüßte, daß sie mich alle haßten, weiß nicht warum, hätt ich Argwohn. Doch laß es; ob einem ein Geheimderat eine scheele oder lächelnde Miene mehr oder weniger macht, was kommt darauf an? Ich wette meinen Kopf, sie lassen mich zu nichts mehr; ich hab ihnen aber auch[896] das Ding vor die Augen gestellt, und wie sie um sich sahen – ich hätt ihnen hinter die Ohren schmeißen mögen, den großen Perücken, und seiner Exzellenz dem Herrn Grafen – macht sich so einer dick, lieber Himmel, wo kaltes Blut herkriegen?

GESANDTER. Bist aber auch zu hitzig, sprachst mit einem Feuer –

FRANZ. Es galt aber auch. Was; sie wollten hinter meinem Vater alle – Ich bin ein junger Kerl, das ist wahr, aber ich seh doch.

GESANDTER. Siehst mehr, als sie alle, Franz. Muß man aber das die Leute weismachen?

FRANZ. Wir kommen nicht aus, Bruder. Gottlob, daß ich nicht in Diensten steh, sie hetzten mich zu Tod in kurzem. Deine Geduld wird erfordert, Gesandter!

GESANDTER. Wenn du wüßtest, wie's manchmal anders in meinem Herzen ist, wie mich's preßt und fast erstickt, und doch muß ich Kälte affektieren –

FRANZ. Lieber Gott!

GESANDTER. Eiskalt scheinen, und tu ich's nicht – Franz, ich hab ein Weib, ein liebes Weib.

FRANZ. Gott segne meine Schwester! sie ist es.

GESANDTER. Ich hab Kinder, und hätt ich die nicht, mein Weib nicht, bei Gott, Franz, der Fürst hielte mich nicht, und fiel er mir zu Füßen, machte mich zum ersten Staatsminister.

FRANZ. Sei geduldig, Lieber! Und mir, lieber Himmel, gib nur ein klein wenig Geduld; nicht viel Geduld, daß es nicht ausarte in Fühllosigkeit! Nur so viel Geduld, daß ich um mich schaue, wie's den andern tut, wenn ich dahinrase. Laß es in mir brausen, aber nur nicht stürmen.

GESANDTER. Ja, Franz, du weißt, der Sturm reißt allenthalben nieder, und hinter ihm ist Weinen und Wehklagen. Dein kochendes Blut kann nutzen, aber überlege nur; wieviel fehlte, wir wären alle hingerissen durch dich. Liegen sie nicht alle dem Fürsten in den Ohren?

FRANZ. Drum geh ich weg. Ich weiß, wenn ich hier blieb, ging's mit Riesenschritten, ich schlüg hinein –

GESANDTER. Und könnte dir gehn wie dem Jungen, der ins Wespennest schlug.

FRANZ. Vielleicht – Nieder Hitze! sieh, es tobt in mir. Das Donnerwetter, die Kerls! Laß es gut sein, das Ding muß so getrieben werden. Geht mein Vater zum Fürsten?

GESANDTER. Er hat ihn beschicken lassen.

FRANZ. Ich will's nicht abwarten. Mein Vater mag's leiten und[897] am besten. Der Fürst kann seinen ehrlichen Rat nicht entbehren. Wenn er sie alle zusammennimmt, all ihre Weisheit und Gehirn, kommt er keinen Schritt weiter mit ihnen. Ich erstaune über meinen Vater, wie er sich durchgearbeitet; das Ding alle vor ihm liegt, er darf nur greifen, so ist die schwerste Sach in Ordnung.

GESANDTER. Und setzt all sein Vermögen zu.

FRANZ. Was, der Quark! Wir haben zu leben, ließen sie uns nur ungeschoren dabei. Wir haben Kraft, Bruder, und die ist noch im Treiben, solang das ist, Gesandter –


Gorg und Fränzchen kommen gelaufen.


GORG. Da bin ich.

FRÄNZCHEN. Und da bin ich. Hast du was, Lieber, für mich? Kann dir auch viel erzählen. Guten Abend Papa, hast mich auch lieb, Papa?

GESANDTER. Freilich. Hast du mich denn auch lieb, Fränzchen?

FRÄNZCHEN. Recht im Herzen drin.

GORG. Und ich, Papa, o ich hab dich recht lieb. Der Franz hat mir meinen Raritätenkasten zerbrochen, waren so viel artige Bilder drin.

FRÄNZCHEN. Papa, er wollte die Kinder nicht 'neingucken lassen, und das war doch garstig. Konnte immer meinen Lärmen haben, wenn sie sich recht freuten.

FRANZ. Mußt du's denn gleich entzweischlagen?

FRÄNZCHEN. Er hat mir aber auch mein Kartenschloß, das so groß war, zerschmissen, und das du mir machtest. Hatt es recht lieb. Und Raritätenkästen gibt's viel; aber nicht Schlösser, und Franz macht sie nicht alle Tage.

GORG. Essen wir bald? Der Präzeptor blieb heut so lang da.

FRÄNZCHEN. Ich bin bald eingeschlafen, Papa. Hat so viel gesagt, daß ich's nicht weiß mehr. Halt's mit einem schönen Märchen. Erzähl mir doch das wieder, Franz, vom Handwerksbursch, der die Prinzessin erlöst, und vom Esel mit den Glocken.

FRANZ. Ist jetzt nicht Zeit.

FRÄNZCHEN. Nu will ich eins erzählen, das ich heut erdacht, wie der Präzeptor da war, und von einem Land sagte, heißt – heißt – wie heißt's, Gorg?

GORG. Amerika.

GESANDTER. Schön, daß du Märchen erdichtest, wenn der Präzeptor da ist. Ich wett, dein Bruder weiß alles.

FRÄNZCHEN. Was geht's aber mich an, Papa?[898]

FRANZ. Gut, Junge.

GESANDTER. Was ist Amerika, Gorg?

GORG. Ein neuer Teil der Welt, erfunden von Kolumbus.

FRÄNZCHEN. Will dir sagen, Papa, hätt's gern behalten. Da hat er aber soviel gesagt, wie sie die Leute all drin umgebracht, ihr Geld genommen, das hat mir leid getan, hab's denn vergessen.

FRANZ. Goldjunge! setz dich auf mein Knie!

FRÄNZCHEN. Laß mich auch reuten. Ha ra, ra, ra, ra, ra. Hurtig.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 896-899.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Elixiere des Teufels

Die Elixiere des Teufels

Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.

248 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon