Delphi

[79] Schöne des Mays begeisterte sie, in des Griechen

Tage zurück sich zu dichten; und ihr Spiel war

Manches jener Olympiaden,

Welches verschwand, und noch ist!


Manches, was Freud' in Tempe einst war, was in Elis

Palmen erwarb durch den Wettlauf und durch Lieder:

Hergang auch aus Homers Gesängen

Zauberten sie bis zu sich.


Jetzo umgab sie heiliges Graun in dem Tempel Delphi.

Da sass auf dem Dreyfus, von des Lorbers

Opferdufte bewölkt, die schöne

Priesterin, sträubendes Haars,
[80]

Feurig den Blick; und Antwort erscholl dem Befrager.

Aber nun hob sie mit Eil sich von dem Dreyfuss.

Komt, ihr sehet ihn leer, und jetzo

Fraget die Priesterin euch!


»Gehen wir nicht vielwegig zurück? und wie lange

Dauret es noch, dass, verwildert in der Irre,

Wir uns lächeln? dass wir den Krebsgang

Träumen zu Geniusflug?


Werden wir nicht noch kennen die weise Vollendung

Griechischer Kunst? und den Ausschmuck in der neuern?

Nie gewahren, wie hoch der Wage

Vollere Schale sich hebt?


Sondern noch einst vom Schönen die Art, des Bewunderns

Müde, was all vor Bezaubrung in der Art sey?

Schönheit giebt das Gesetz! zu Ausart,

Wenn sie nicht huldigt, wird Art.
[81]

Wenn er verkent den Lorber, der mehr dem Dictator

War, wie Triumph; wird zur, Ahndung ihm nicht Scham glühn?

Denn wen nant' ich! so gross war Zesar,

Dass er nur Brutus nicht glich!


Sehn wir nicht einst, wo gleichen sich darf, wer nur nachahmt,

Gar die Gestalt von dem Urbild noch verwahrlost,

Der dem Griechen, da sey die vollste

Bühne der Lächerlichkeit?


Sehen noch einst, wo gleichen sich darf, wer nur lernet,

Gar den Erguss des Erfinders noch mit Schlamm trübt',

s' Kind dem Manne, da rag's von hohen

Ohren, nicht leerer, hervor?


Wird sich der Schwatz nie enden, der Philosophie heisst?

Werden dafür die Ergründung, wo nicht Abgrund

Ist, Stillschweigen an ihm das Haupt nie

Heben, und herschende seyn?
[82]

Klimmen wir nie hinauf zu der Höh, wo nur wenig

Wahres, hier Spross, da Beschatter, dem Orkan steht,

Und wohin du dem dichtverwachsnen

Wald' ohne Blut nicht entrinnst?


Wenn sein Gesetz, sein Leben hinab vor dem Richtstuhl

Herscher, er selbst durch ein neues noch verurtheilt;

Ehrt' ihn da nicht zu spät die reinste

Ehre der Obergewalt?


Sank er nur hier? Noch wirket es fort; wird wie Waldbrand

Lang' es noch glühn, das Verkennen, das Verspotten

Seiner Deutschen, und ach des Glaubens?

Zauderer gruben den Brand


Lässiges Arms ab, lehnten sich oft auf den Spaden,

Drangen nicht tief: und so kam's denn, und hinüber

Leckt' es über den Kindergraben,

Lodert' in andres Gebüsch.
[83]

Sieht er so scharf, wie uns Neuern es gleisst, die erstaunten,

Einen, wie ihn, auf dem Throne zu erblicken?

Zeigt, wenn fester Entschluss das Herz ihm

Stählet, der Stolz ihn entflamt,


Tiefe diess auch des Denkens? diess etwa den Geist auch

Dess, der nicht erbt die Beherschung, die schon da ist;

Nein, Beherschung entwirft, ein Zesar,

Wandelt in That den Entwurf?


Oder gar dess, der denkender forscht, und nicht misstrent

Gutes, und Geist? nicht um Land spielt mit des Bürgers

Leben, da sich nicht thört, nicht wähnt, Ruhm

Wasche vom Würfel das Blut?


Ehre wüsch' ab das schreckliche Blut? Sie verewigt's!

Und ist es dann, wenn das Heer halb ins Gefild strömt,

Nur unschuldig? nicht auch, wenn Bäche

Rinnen, das Fähndel nicht droht?
[84]

Rannen nicht viel der Bäche, da sie, die Erobrung

Raste? nicht mehr, da Erfolg war, was Erfolg seyn

Musste, Krieg, der beynah stets trächtig,

Schlacht dann, und Seuche dann warf?


Lorber des Führers dorret nicht weg, wenn ein Krieg auch

Vor dem Gericht der Aurele, sich zur Schmach, steht:

Doch die strahlendste Feldherrngrösse

Schaffet den Scheusal nicht um!


Schön ist, und gut der Spruch des Gerichts der Aurele,

Weise: Kein Krieg kann gerecht seyn, so den tiefen

Grund legt ewiges Kriegs. Betüncht ihn,

Gleisst ihn; er wird nicht gerecht!


Gränzet es weit, das blutige Recht; nicht die Nothwehr

Hab' es allein! die Veredlung des Jahrhunderts

Sey euch Schwärmenden nichts, Throngottheit

Alles; er wird nicht gerecht!
[85]

Friede beascht jetzt schlummernde Glut: doch Erobrung

Wird nicht verziehn! und so bald sich mit der Zeiten.

Wechsel wirbelt ein Sturm; verfliegt die

Asche, wird Flamme die Glut!


Sah er vielleicht allein nicht vorher, was vor Aller

Aug in der Fern unverhüllt lag, der Erobrung

Jammererndte? nicht hundertfältig

Sprossen Gebein aus Gebein?


Himmel! er sah's, und that doch, er that, was Entsetzen

Herschenden ist, die des Volkes, und die eigne

Majestät nicht entweihn, er that es,

Streute die schreckliche Saat!


Tempe umrauscht sie wieder; doch geht die erhabne

Priesterin, nur in der Reih mit, will des Tanzes

Nicht, ist trübe, wiewohl den Flöten

Echo gelehriger horcht;
[86]

Frohes Gelüft die Staude beweht, und sein Leben

Hauchet, was sprosst, und sein Leben, was der Blumen

Kelche füllet; zuletzt entlasten

Diese Gedanken ihr Herz:


Feyert die Helden! Marmor und Erzt sey der Helden

Ewiges Maal! nicht der Marmor, und das Erzt nicht,

Mehr belohne, die Freude weine

Denen, die Friedrich verzeihn!


Ach aus dem Grabe kehr' ich zurück, und mit Goldschrift

Schreib' ich ans Maal der Erhabnen ... Die Entzückung

Irrt mich, sie haben kein Maal! ihr Lohn sind

Thränen! ich weine sie mit!


Aber erscheint auch einer, dem nicht die Verzeihung

Selige Pflicht ist, vernim du der Aurele

Zweyten Spruch: Wer erneut, dem fluche

Selber der Siegende nach!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 79-87.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon