Neunzehnter Gesang

Einen Anblick des ernsten Gerichts verhüllte der Menschen

Vater durch Schweigen. Er sah in der Mitte des großen, gedrängten,

Unabsehlichen Heers der auferstandenen Todten

Eva auf einem Hügel stehn und mit fliegenden Haaren,

Ausgebreiteten Armen, mit glühender Wange, mit vollen

Innigen Tönen der Mutterstimme, wie nie noch ein Mensch sie

Oder ein Engel vernahm, um Gnade – sie lächelte weinend –

Flehn für die Kinder, um Gnad' empor zu dem Richter, um Gnade!

Aber auf einmal verschwand ihm der Schaueranblick; er hörte

Einige Male nur noch sanft Lispeln der himmlischen Harfen.

Mitleid daucht' es ihm erst, dann daucht' es ihm Freude. Doch jetzo

Hatt' auch dies sich verloren. Er sah von Neuem Gesichte.

Als erwach' er aus tiefen Gedanken, beginnet er wieder:

»Nunmehr sah ich die Schnitter der Ernte die Schaaren hinauf gehn

Und hinab. Sie gingen mit scharfer Forschung Geberden

Langsam vorüber und schauten voll Ernst in die Schaaren und riefen:

›Komm!‹ Dann führeten sie die Gerufnen, wie trübe Gedanken,

Stumm sie alle, wie Bilder am Grab, als Gräber noch waren,

Auf den Gerichtsplatz hin. Da ward ein Seraph gesendet;

Der trat langsam hervor und brachte den hohen Befehl mit:

›Fallt auf das Angesicht nieder und hört das Urtheil, das vormals

In dem Leben der Stunden, allein für sich nur, der Fromme

Ueber Euch sprach und sich zitternd warnte, selbst selig zu werden!‹

Ach, ich sah sie erblassen und niederfallen zur Erde![77]

Und sie lagen und hielten zertrümmerte Felsen. Der Seraph

Trat stillschweigend zurück. In dem Glanze der reineren Tugend,

Mit der Hoheit der Religion, die er drüben am Grabe

Schon in ihrer Göttlichkeit sah, erhob sich der beste

Und der liebenswürdigste Jünger, der fromme Johannes.

Und die Aeltesten standen um ihn. Er erhob sich, die Stolzen,

Welche zur Erde niedergesunken auf dem Gerichtsplatz

Lagen, Die zu enthüllen, ihr Thun dem Tage zu zeigen.

Gleich dem Wetter des Mächtigen, traf er nicht jede der Tiefen,

Jede Höh' nicht, berührete nur hier Gipfel, dort Abgrund;

Ließ dann schweigen die schreckende Wolke. So sprach er: ›Ihr schuft Euch

Eigene Tugend und stelltet den Abgott über den Thron hin,

Wo des Richters Gesetz und neben dem ernsten Gesetz stand

Euer Gewissen. Der Heilige, der das zarte Gefühl selbst

Nach des Ewigen Richtschnur maß und doch um Erbarmung

Weinend flehete, war sich nicht rein und wußte, wer Gott sei;

Aber Ihr waret Euch rein; kaum, daß Ihr die große Versöhnung

Auch annahmet. Und dennoch habt Ihr die edle Begierde,

Welche zur Ehr' Euch rief, zu dem Stolz herunter erniedert;

Habt mit Strenge zu richten gewagt, wer besser als Ihr war,

Wer einfältiger, weiser, und tiefer drang in die Irre

Schwerer Pflichten, in sich geschärfter Gefühl des Guten

Weckte, dies Feuer nährte, mit Wahn und mit Strenge zu richten;

Euch unheilig erkühnt, die schweigende Tugend dem Schalle

Ihres Namens, dem Schimmer von ihr in der Könige Hütten

Oder auf anderer Höh' der Schattengröße des Menschen

Gleich zu halten. Ihr bautet Euch selbst Glückseligkeiten,

Tempel Eurer Erfindung, auf schmeichelnder Ruhe gegründet,

Aber nicht auf der heiligen Pflicht. Den Namen der Vorsicht

Nanntet Ihr zwar; doch trautet Ihr mehr dem Wege des Menschen,

Eurem Wege. Den höheren Geist, den Euch die Natur gab,

Habt Ihr weit von dem Zwecke verleitet, zu dem Ihr gemacht wart;

Habt der herzlichen, edlen, der frommen Menschlichkeit sanfte

Liedestöne so oft mit rauhem Klange vermischet.

So schien zwar nicht die That, des Gedankens Mißbild, so war

Aber das Herz in Verborgnem. Dort war es Euch Nacht, der Friede

Kam nicht in Euer Herz, dem Feinde ganz zu verzeihen,

Ihn in Stillem zu segnen. O, durft' auf die Krone denn hoffen,

Wer nicht rein war vor Gott? sogar vor dem eignen Gefühl nicht

Rein in der Stunde der Angst, traf's mächtiger ihn, daß er Mensch sei?

Wer sich selber nicht mehr entrann und doch um Erbarmung[78]

Zu dem erhabnen Versöhner nicht rief? und doch zu dem Stolze

Wiederkehrte, zur eigenen Größe? sich selbst versöhnte?

Arme Ruhige, Sünder von Sündern, der letzte der Tage,

Konnte nur er Euch an Euch mit seinem Schrecken erinnern?

Und Euch konnte doch jede der Stunden des fliehenden Lebens

Mächtig lehren, daß über dem Grab ein Anderer richte

Als Ihr selbst! Erhebt Euch und seht die Ruhigern alle!

Schaut nun, welches Ziel Ihr verfehltet! Ein anderer Weg ging

Nach dem Ziel. Demuth, mehr Menschlichkeit, heißre Gebete

Haben bis hin zu der Krone den Schritt der Sieger geleitet.

Ihr habt niemals, wie sie, in Stunden wacherer Nächte

Weinend gerungen in tiefem Gebet. Ihr habet Euch niemals

Ganz des Elends erbarmt. Ihr habt die höchste der Freuden

Unter den Freuden der Menschen und Engel niemals empfunden:

Jene Freude, den Seher des Himmels allein zum Zeugen

Unserer Thaten zu haben, nur ihn; uns frömmer zu achten,

Seliger, wenn den Menschen die That, so wir thaten, verhüllt war.

Niemals habt Ihr genug des Hocherhabnen, des Ersten,

Gottes Größe gekannt. Das ist es, daß Ihr von Ruhe

Lächelnd träumtet, allein bis zu jenem Frieden nicht kamet,

Der in der Thräne des Büßenden rann, die um Gnade nur flehte,

Nur um Gnade, durch Thränen und Blut des Versöhners erworben!‹

»Also sprach er. Die Wag' erklang. Die leichtere Schale

Stieg nicht völlig empor. Der Gerichteten Schicksal ward Dämmrung,

Nacht nicht. Vielleicht, daß dereinst auch früher der Tag für sie aufgeht.

Graunvoll stand das Heer zu des Richters Linken. Vom Throne

Schwebten die Todesengel herab, daß Verworfne sie führten

In die Wohnung der ewigen Nacht. Sie trugen die Schrecken

Des auf dem Thron im richtenden Blick. Zu Tausenden wälzten,

Da sie schwebeten, Donnerwolken des hohen Gerichtstuhls

Ihrem eilenden Fluge sich nach. In einsamer Stille

Und mit sterbendem Blicke starr in die Tiefe gesenkt, stand

Abbadona. Ihm kam der Engel einer des Todes

Immer näher und näher. Er sah den Cherub, erkannt' ihn

Und erhub sich, zu sterben. Er schaute mit trüberem Auge

Auf den Richter und rief aus allen Tiefen der Seele.

Gegen ihn wandte das ganze Geschlecht der Menschen sein Antlitz

Und der Richter vom Thron. So sprach anbetend der Seraph:

›Weil nun Alles geschehn ist, und auf den letzten der Tage[79]

Diese Nacht der Ewigkeit folgt, so laß nur noch einmal

Du, der sitzt auf dem Throne, mit diesen Thränen Dich anschaun,

Die seit der Erde Geburt mein brechendes Auge geweint hat.

Schaue vom Thron, wo Du ruhst – Du hast ja selber gelitten –

Schau in das Elend herunter, wo wir Gerichteten stehen,

Auf den verlassensten aller Erschaffnen! Ich bitte nicht Gnade;

Aber laß um den Tod, Gottmensch Erbarmer, Dich bitten!

Siehe, diesen Felsen umfass' ich; hier will ich mich halten,

Wenn die Todesengel von Gott die Gerichteten führen.

Tausend Donner sind um Dich her, nimm einen der tausend,

Waffn' ihn mit Allmacht, tödte mich, Sohn, um Deiner Liebe,

Deiner Erbarmungen willen, mit denen Du heute begnadigst!

Ach, ich ward ja von Dir auch mit den Gerechten erschaffen;

Laß mich sterben! Vertilg aus Deiner Schöpfung den Anblick

Meines Jammers, und Abbadona sei ewig vergessen!

Meine Schöpfung sei aus, und leer die Stätte des bängsten

Und des verlassensten aller Erschaffnen! Dein Donner säumet,

Und Du hörest mich nicht. Ach, muß ich leben, so laß mich,

Von den Verworfnen gesondert, auf diesem dunklen Gerichtsplatz

Einsam bleiben, daß mir's in meinen Qualen ein Trost sei,

Tiefnachdenkend mich umzuschaun: Dort saß auf dem Throne

Mit hellglänzenden Wunden der Sohn! Da huben die Frommen

Sich auf schimmernden Wolken empor! Hier wurd' ich gerichtet!‹

Abbadona sank an den Felsen. In eilendem Fluge

Standen die Todesengel und wandten ihr Antlitz zum Richter.

Feierlich schwieg das Menschengeschlecht. Die Donner verstummten,

Die unaufhörlich vorher von dem Throne des Richtenden schollen.

Abbadona erwacht' und fühlte die Ewigkeit wieder;

Gegen ihn kam durch die wartenden Himmel die Stimme des Richters:

›Abbadona, ich schuf Dich! ich kenne meine Geschöpfe,

Sehe den Wurm, eh er kriecht, den Seraph, eh er empfindet,

Kenn' in allen Tiefen des Herzens alle Gedanken;

Aber Du hast mich verlassen, und jene Gerichteten zeugen

Wider Dich auch: Du verführtest sie mit! Sie sind unsterblich!‹

Abbadona erhub sich und rang die Hände gen Himmel,

Also saget' er: ›Wenn Du mich kennst, und wenn Du den bängsten

Aller Engel gewürdiget hast, sein Elend zu sehen;

Wenn Dein göttliches Auge die Ewigkeiten durchschaut hat,

Die ich leide, so würdige mich, daß Dein Donner mich fasse,

Und Dein Arm sich meiner erbarme, vor Dir mich zu tödten!

Mittler, ich sinke betäubt in des Abgrunds furchtbarste Tiefe,[80]

Und mein bebender Geist entflieht der Ewigkeit Schauplatz,

Stürzt sich hinab und ruft dem Tode, so oft ich es denke,

Daß Du mich schufst, und ich es nicht werth war, geschaffen zu werden!

Schau, wo Du richtest, herab und sieh, Du Erbarmer, mein Elend!

Laß nur einmal noch den erhabnen Gedanken mich denken,

Daß Du mich schufst, daß auch ich von dem besten der Wesen gemacht ward,

Und dann tilg auf ewig mich weg von der Schöpfungen Schauplatz!

Sei mir, Gedanke, gegrüßt, vor dem nahen Abschied von Allen,

Die Gott schuf, und dem Unerschaffnen der letzte Gedanke!

Da der vollendete Himmel in seinen Kreisen heraufkam,

Und der erste Jubelgesang die Unendlichkeit füllte;

Da mit einer großen Empfindung, die von dem Schöpfer

All' auf einmal ergriff, die werdenden Engel sich fühlten;

Da der Einsame sich vor tausendmal Tausend enthüllte,

Wie er von Ewigkeit war, und zuerst der höchste Gedanke

Nicht allein mehr von Gott gedacht ward: da schuf mich mein Richter!

Damals kannt' ich kein Elend, kein Schmerz entweihte die Hoheit

Meines Geistes. Vor Allen, die ich, sie zu lieben, mir auskor,

War mir der Liebenswürdigste Gott. Mit schattendem Flügel

Deckte mich ewiges Heil. In jeder Aussicht sah ich

Seligkeiten um mich. Mir jauchzt' ich in meiner Entzückung,

Daß ich geschaffen war, zu. Ich war, geliebet zu werden

Von dem besten der Wesen. Ich maß mein daurendes Leben

Nach der Ewigkeit ab und zählte die seligen Tage

Nach der Zahl der Erbarmungen Gottes. Nun muß ich vergehen,

Länger nicht sein, nie wieder mit tiefer Bewunderung Gott schaun

Und an dem Throne des Sohns kein Halleluja mehr singen!

Werde denn, ewiger Geist, werd' aufgelöset! Vollendet

Ist der Zweck, zu dem Du geschaffen wurdest! Hier steh' ich,

Bete zum letzten Male Dich an, o, der auf des Schicksals

Nächtlichste, furchtbarste Höh' mich stellte, dort mich zum Zeugen

Erst der Huld, der Rache, der unerbittlichen, dann mich

Auserkor, daß Aeonen es sähn und ihr Antlitz verhüllten!‹

Also saget er, sinkt vor dem Richter aufs Angesicht nieder

Und erwartet den Tod. Und tiefe feirliche Stille

Breitet noch über den Himmel sich aus und über die Erde.

Damals erhob ich mein Auge und sah die Himmel herunter,

Und ich sah auf den goldenen Stühlen die Heiligen beben

Vor Erwarten der Dinge, die kommen sollten. Ich sah auch[81]

Vor dem Heer der Verworfnen um Abbadonna, erwartend,

Glühender Stirn – es lagen um sie die nächtlichen Wolken

Unbeweglich – so sah ich die Todesengel. Sie wandten

Starr von Abbadona den Blick zu dem Throne des Richters.«

Hier verstummte der Vater der Menschen. Die Heiligen sahn ihn,

Als ob er unter ihnen noch einmal vom Tod erwachte,

Da er wieder begann: »Zuletzt, wie die Stimme des Vaters

Zu dem Sohn, wie der Jubel Nachhall, scholl von dem Throne

Diese Stimme: ›Komm, Abbadona, zu Deinem Erbarmer!‹«

Adam verstummte von Neuem. Da ihm die Sprache zurückkam,

Da er mit feuriggeflügelten Worten zu reden vermochte,

Sagt' er: »Schnell wie Gedanken der himmelsteigenden Andacht,

Wie auf Flügeln des Sturms, in dem der Ewige wandelt,

Schwung sich Abbadona empor und eilte zum Throne.

Als er daher in dem Himmel ging, da erwachte die Schönheit

Seiner heiligen Jugend im betenden Auge, das Gott sah,

Und die Ruh der Unsterblichen kam in des Seraphs Geberde.

So hat Keiner von uns an der Auferstehungen Tage

Ueber dem Staube gestanden, wie Abbadona daherging.

Abdiel konnte nicht mehr aushalten des Kommenden Anblick,

Schwung sich durch die Gerechten hervor; mit verbreiteten Armen

Jauchzet' er laut durch den Himmel. Die Wange glüht' ihm; die Krone

Klang um sein Haupt; er zittert' auf Abbadona herunter

Und umarmt' ihn. Der Liebende riß sich aus der Umarmung,

Sank dann zu den Füßen des Richters aufs Angesicht nieder.

Nun erhob sich umher in dem Himmel des lauten Weinens

Stimme, die Stimme der sanfteren Wonne. Der leiseren Harfen

Jubel entglitt den Stühlen der vierundzwanzig Gerechten,

Kam zu dem Stuhle des Sohns und sang von dem Todten, der lebte.

Wie kann ich reden die Worte, die Abbadona gesagt hat,

Da er am Thron aufstand und zu Dem auf dem Throne sich wandte?

Also sagt' er und lächelte Wonne des ewigen Lebens:

›O, mit welchen festlichen Namen, mit welchen Gebeten

Soll ich zuerst Dich nennen, der mein sich also erbarmt hat?

Kinder des Lichts, die ich liebte, zu Euch bin ich wiedergekommen!

Erstgeborne der Schöpfung und Ihr durch die Wunden des Sohnes

Erben des ewigen Lebens, wohin bin ich wiedergekommen?

Sagt mir, o sagt mir, wer rufte mir? weß war die Stimme vom Throne,[82]

Die bei dem Namen mich nennte? Du bist die Quelle des Lebens,

Fülle der Herrlichkeit, ewiger Quell des ewigen Lebens!

Heil ist Dein Name! Du bist der Eingeborne des Vaters,

Licht vom Licht, bist der Allversöhner, das Lamm, das erwürgt ward!

Richter heißest Du auch! Ich will die Liebe Dich nennen!

Gott hat am Abend des Weltgerichts noch einmal erschaffen;

Denn ich war einer der Ewigtodten. Den letzten der Tage

Schuf er mich um und rief mich aus meines Todes Umschattung

Wieder zum ewigen Heil, das unaussprechlich wie Gott ist.

Halleluja, ein feirendes Halleluja, o Erster,

Sei Dir von mir auf ewig gesungen! Du sprachst zu dem Elend:

Sei nicht mehr! zu den Thränen: Ich hab' Euch alle gezählet!

Freudenthränen und Dank und Anbetung sei Dem auf dem Throne!‹

Jetzo ward mein Gesicht zu dunkeln Gestalten, die fliehend

Kamen, schwebten und fliehend am fernen Himmel verschwanden.

Endlich waren vor mir die dunkeln Erscheinung alle

Weggesunken; Gesicht war wieder, was ich erblickte.

Aber Jahre, so daucht' es von Neuem mich, waren vergangen

Zwischen dem letzten Anblick und diesem, der nun vor mir aufging.

Schöner leuchtet' herunter und schrecklich nicht mehr des Thrones

Glanz und überstrahlte der Auferstehung Gefilde.

Weit, wie niemals mein Auge sah, in unendlicher Ferne

Sah ich die Schaarenheere der Ueberwinder gen Himmel

Wallen; die äußersten nur erkannt' ich. Es waren der ersten

Erde Kinder, die einst zum Meere wurde, da Gottes

Wagschal' auch erklang, und gewogen ward, wer von Adam

Sterblichkeit erbt', und die Seelen der Todten hinuntersanken

In ein furchtbar Gefängniß. Die waren jetzt von der Fessel

Alle befreit und wallten hinauf mit den Siegern gen Himmel.

Segnend schaut' ich den Seligen nach. Auf einmal erhub sich

Hinter mir Donnerton, und ich sah verwandelt die Erde

Werden, Ihr Engel des Allerheiligsten und Ihr Gebornen,

Sahe weit um mich her die Fluchbeladne zum Eden

Werden. Also erstand ich aus Staube; so ward die Erde

Eden aus Trümmer. Die Schöpfung erscholl umher, und die Sterne

Leuchteten heller. Noch hört' ich der Schöpfung Donner, noch strahlt' es

Mir von dem Himmel, als ich zu Euch nach meinem Gesicht kam.«

Jesus war von dem Tabor herabgekommen und stand jetzt

An dem Gestade des Sees Tiberias, neben ihm Engel,[83]

Nur gesehen von ihm. Sie brachten Botschaft aus Welten,

Höreten schnelle Befehle, die Weltenschicksal entschieden.

Andere traten herzu, und andere wandten sich, eilten,

Mit Befehlen belastet, darüber sie staunten, darüber

Einst auch wir, wenn gesunken uns ist die Hülle des ersten

Lebens, der Geist der schlummernden Todten die Heitre durchwallet,

Staunen werden. Herauf war die Morgendämmrung gestiegen,

Und den Strahl des werdenden Tages milderte lichter

Nebel, ein Schleier, aus Glanz und weißem Dufte gewebet.

Ruh war auf die Gefild' umher, sanftathmende Stille

Ausgegossen. Ein Nachen entglitt da langsamsichtbar

Voll von Freunden dem lieblichen Duft des werdenden Tages.

Nackt bei dem überhangenden Netz stand vorn in dem Nachen

Kephas. Es saßen umher, mit silberhaarigem Haupte

Bartholomäus, Lebbäus, gelehnt auf ein Ruder, mit vollem

Freudeglänzenden Blicke der Zwilling, mit lächelnder Heitre

Selbst Nathanael, saßen die Zebedäiden, Jakobus

Mit den Gedanken im Himmel, Johannes beim Herrn auf der Erde.

Da sie näher heran zu dem Ufer kommen, erblicken

Sie den Mittler, allein sie erkennen ihn nicht; doch verehren

Sie den ernsten Fremdling, der dort des Morgens, in sanfte

Ruhe versenkt, und seiner Gedanken sich freut. J. »Von den Pilgern

Allen, welche die Götzen des Griechen oder der sieben

Mündungen Strom und seine Gebilder ließen, des Passa

Feier mit uns zu begehn und des Tempels Psalme zu hören,

Sah ich keinen so voll von Hoheit der Seele.« Jakobus

Sagt' es, und Didymus sprach: »O wär', den wir sehen, der Pilger

Einer der Auferstehung und jetzt mit dem Morgen gekommen,

Strahlender uns zu erscheinen, als leuchten Tage der Erde

Können, Sonnen es können! Mit scharfem Blicke, Lebbäus,

Siehst Du ihn an, mit unabwendbarem Auge des Forschers.«

L. »Ach, die Geberde des Sterblichen, der ein Himmlischer ist, die,

Die betracht' ich, o Thomas, erwarte den Flug, den die Wandlung

Nehmen wird, so eilend vielleicht, daß mein Aug' ihn nicht siehet.«

Aber der Fremdling redet mit ihnen: »Habet Ihr Speise,

Meine Kinder?« Sie hatten die Nacht vergebens gefischet,

Hatten der Speise nicht. Da sagte der Unbekannte:

»Werfet das Netz zu der Rechte des Schiffs, so werdet Ihr finden.«

Und sie warfen es aus und konnten's nicht ziehn vor der Fische[84]

Menge. Mit mehr Erwartungen richtete jetzo Lebbäus,

Richtete Thomas den forschenden Blick auf den Unbekannten.

Aber der Zug, so das Netz da, wo der Fremdling es sagte,

Und so schnell belastete, zeigt Johannes den Mittler.

Freudig ruft' er: »Es ist der Herr!« Da Kephas vernommen,

Daß es der Herr sei, eilet' er, gürtete sich mit dem Hemde,

Warf sich ins Meer, schwamm schnell heran zum Gestade, voll Unruh,

Christus näher zu sehn. Er sah ihn, erkannt' ihn. Die Andern

Eilten im Nachen, zogen das Netz mit den Fischen herüber,

Traten ans Land und erkannten, vor Wonne verstummt, den Versöhner.

Brod und Kohlen und Fisch' auf den Kohlen lagen vor ihnen

An dem Ufer. Der Göttliche sprach: »Bringt auch von den Fischen,

Die Ihr finget!« Und schnell sprang Kephas wieder ins Wasser,

Zog das schwere Netz voll großer Fische, das dennoch

Nicht zerriß, auf das Land, und Leben wimmelt' im Netze.

J. »Kommt und haltet das Mahl!« Sie hielten's. Vertraulich, mit Liebe

Saß er am Ufer unter den Wonnevollen und reichte

Ihnen Speise. Jetzt war das zweite der frohen Mahle,

Nach dem traurigen Mahl vor seinem Tode, geendet.

Und sie wandelten hin am Gestade. Der Göttliche sagte:

»Simon Johanna, liebst Du mich mehr, als Diese mich lieben?«

Schnell tritt Petrus näher zu ihm, antwortet: »Du weißt, Herr,

Daß ich Dich liebe!« Mit inniger Huld sprach Jesus: »So weide[85]

Meine Lämmer!« und schwieg nicht lang' und fragte noch einmal:

»Simon Johanna, liebest Du mich?« In dem innersten Herzen

Fühlet es Kephas; noch trauert er nicht, antwortet: »Du weißt, Herr,

Daß ich Dich liebe!« Mit inniger Huld spricht Jesus: »So weide

Meine Schafe!« und steht und fragt den Gerührten noch einmal:

»Simon Johanna, liebest Du mich?« Da kam in des Jüngers

Seele Traurigkeit, daß ihn der Herr zum dritten Mal fragte.

Und mit der Stimme der Wehmuth erwiderte Petrus: »Du weißt, Herr,

Alle Dinge, Du weißt, daß ich Dich liebe!« »So weide

Meine Schafe!« sprach der Versöhner. »Du warest ein Jüngling,

Kephas, und gürtetest Dich und wandeltest hin, wo Du wolltest.

Wenn das Alter Dir kommt, dann wirst Du die Händ' ausstrecken,

Andere werden Dich gürten, Dich Andere führen, Dich führen,

Wo Du nicht hin willst. Folge mir nach!« Der Jünger verstand es,

Welche Führung dies sei, und mit welchem Tod er, ein Zeuge

Deß, der erstand, Gott preisen würde. Jetzt wendete Kephas

Sich und sahe den Jünger auch folgen, den Jesus liebte,

Der an der Brust ihm lag bei dem traurigen Mahle der Scheidung.

Kephas sprach: »Was aber soll Der?« Der Erlöser erwidert:

»Wenn ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was geht dies

Dich an? Folge Du mir nach!« Nun sahe der Jünger

Auge den Auferstandnen nicht mehr. So erhebet das Meer sich,

Und so senkt es die Woge nieder und wird zur Ebne,

Wie vom Erschienenen unter einander die Einsamen sprachen.

»Ja, ich folg' ihm nach,« rief Simon, »ich sterbe, wie er starb!

Gürtet und führt, ich sterbe, wie er! Du aber, Johannes,[86]

Stirbst nicht, wie er! Du bist unsterblich.« J. »Du bist unsterblich!«

Rief Jakobus und hub zu dem Himmel sein Auge, vor Wonne

Trunken. Jh. »Ich unsterblich? Das sagt' er ja nicht.« L. »Bis er komme,

Bleiben! was sagt' er denn anders? Du bist, o Jünger der Liebe,

Bist unsterblich! Erkoren hat er für Deine Treue

Diesen Lohn, die Krone! Du bist unsterblich, Johannes!«

Freudig sagt' es Lebbäus, fuhr fort: »Das wurde noch Keinem!

Heil Dir, Seliger Gottes, zu Deiner großen Belohnung!

Eins nur ist mir Zweifel. Wir sterben und gehn zu dem Mittler;

Und Du bleibest zurück? Doch er ist ja bei den Seinen

Bis zu der Tage letztem, bei ihnen im Himmel, bei ihnen

Auf der Erde. Du stirbst nicht, Johannes!« Sie wandten sich, gingen,

Voll der künstigen Welt, zurück zu des Lebens Geschäften,

Ruderten hin und wieder und theileten aus in der Freude

Ihres Herzens das volle Netz, wo etwa ein Nachen

Lag, der auch bis zur Frühe, wie ihrer, vergebens umherglitt.

Sonnen gingen auf und gingen unter, und immer

Währte das erste Gericht des Versöhners. Schnelle Worte,

Schnellere Winke geboten den Engeln. Die zeugten, enthüllten

Flammenschrift; bald rollten sie wieder die Bücher zusammen,

Streuten nur wenig umher des furchtbaren Glanzes. Die Seelen

Redeten, schwebten verstummt. Kurz war des Richtenden Urtheil,

Traf gleich Blitzen, umglänzte wie Strahlen des Tags mit Wonne!

Lange hatte sich schon und weit der Ruf von des Mittlers

Auferstehung verbreitet, und daß die Jünger ihn sähen,

Und daß himmlische Zeugen aus jenen Hütten des Friedens

Zu den Sterblichen kämen, und er, von welchem die Todten

Zeugten, sei wieder hinab nach Galiläa gegangen,

Daß er von Neuem sich offenbare. Gesendete Freunde

Eilten umher und verkündeten freudig: »Auf dem Gebirge

Tabor sammeln sie sich, die der neuen Offenbarung

Herrlichkeit harren. Sie stehn in der Ceder Schatten und laben

Nicht an der Quelle sich, brechen kein Brod!« So riefen die Boten

Und verließen mit Eil' des Einen Hütte, zu kommen

Nach der Hütte des Andren. Der Göttliche wird sich noch einmal[87]

Offenbaren. Er hat auch diese Gnade verheißen.

Auch ward dies dankweinenden Frommen von vielen der Todten

Die erstanden, verkündet. »O, eilt nach Tabor, wenn's anders

Theuer Euch ist, schon hier Euch wie Engel Gottes zu freuen!«

Lazarus stand auf Tabor im Cederschatten und sagte:

»Vielen will er Seligkeit geben; er würde so lange

Sonst nicht säumen. Wir sind nur erst Zweihundert versammelt,

Und mehr sollen es sein, die er mit dem ersten Genusse

Seines Erbes erquicken, auf die er von ferne den Schimmer

Jenes Glanzes am Thron, die Morgenstrahlen der Tage

Seiner Ewigkeit ausstreun will. So harret denn, Brüder,

Dieses reicheren Maaßes der himmelvollen Erbarmung,

Harret sein, wie sie droben am Thron des Göttlichen harren!

Preiset seinen Namen und singet ihm Psalme des Tempels

Nun nicht mehr, singt Psalme der Erben dem göttlichen Sohne!

Wen das Feuer des Himmels entflammt, der singe dem Sohne,

Daß uns preisend finde, wer kommt, sein Antlitz zu sehen,

Daß den Erscheinenden Jubel der neuen Lieder empfangen!«

Und die Mutter des Todten, der lebte, begann. »Ich lernte,

Wenn nicht Eva zu sehr der Sterblichen nahte, des Thrones

Jubeltöne; doch auch mit des Menschen Stimme, dem Laute

Seiner Brüder auf Erden, will ich dem Erhabenen singen.

Komm und singe mit mir, die in Magdale's Thale zum Leben

Gott schuf.« Mg. »Ich mit der Mutter des Hocherhabnen ihm Lieder

Singen, die Ungeweihte von Gottes Flamme? dem Sohne

Preis ich stammeln? Wolan, ich folg' in der Ferne der Mutter;

Denn ich lieb' ihn! Du hast der Engel Gottes Triumphlied

Ueber der Krippe, Du hast, mit Eva's Harfe, des Thrones

Jubeltöne gehört und bist des Göttlichen Mutter;

Aber ich lieb' ihn auch! beginn, o Mutter des Todten!«

Mirjam ergriff den Psalter und hub ihr Auge gen Himmel;

Schon entströmte Begeistrung der sanfterschütterten Saite.

M. »Da die Engel des Throns um die Hütte Bethlehem's sangen,

Weinet' er; aber es ward der Preisenden Halleluja

Feirlicher, als sie rinnen die Thräne des Göttlichen sahen.«

Mg. »Ich, die Sünderin, sank zu seinen Füßen mit stiller

Reu', und er erbarmte sich mein, dem in Bethlem der Thränen

Mitleid floß, der mit Gnade den Preis der Himmlischen hörte.«

M. »In Gethsemane flossen dem Gottversöhner nicht Thränen;[88]

Schweiß und Blut floß. Laut hat auch dieses um Gnade gerufen.«

Mg. »Als er Jerusalem sah, da weinet' er über ihr Elend!

Sammeln wollt' er die Armen, wie eine Henne die Küchlein

Unter ihre Flügel; allein sie wollten nicht kommen,

Wollten des Liebenden nicht und ruften in Gabbatha's Hallen:

Ueber uns komme sein Blut und über unsere Kinder!

Ach, es floß, und auch für sie, auf dem hohen Altare

Golgatha! Wandte nicht da von ihm das Gericht sein geschrecktes

Antlitz weg und floh? Scholl da die Hölle nicht dumpf auf,

Voll des Entsetzens vor ihm? Ward da sein Eid nicht erfüllet,

Den er dem Ewigen schwur: Ich will die Menschen erlösen!

Hat den Vollender nicht Gott mit Preis und Ehre gekrönet,

Seit er am Kreuze sein Haupt in die Nacht des Todes geneigt hat?

Ach, zu seiner Herrlichkeit schaut mit Wonne mein Blick auf;

Aber dennoch wend' ich ihn oft zu dem blutigen Altar

Wieder hin und beweine Den, deß Haupt in die Nacht sich

Neigte, gekrönt mit der Krone der Schmach auf der Schädelstätte.«

M. »Komm, wir harren Dein, uns lasten der süßen Erwartung

Freud' und Unruh, komm, Du, den nicht mehr auf dem Hügel

Krönet die Krone der Schmach, nicht mehr der Felsen des Grabmals

Hüllet in dunklere Nacht, als über Golgatha schwebte!«

Mg. »Komm, Du Toderweckter, Du Mächtiger, komm, der das Leben

Wiederbrachte, gesegnet mit allen Segen des Vaters!

Komm, wir schauen nach Dir hinab in die Thale, gen Himmel,

Auf die Gebirg' umher, mit innigem Blicke der frommen

Süßen Erwartung, o, komm zu Deiner ersten Gemeine!

Siehe, so wartet, die Freud' in dem Blick und geschmückt mit der Unschuld

Schmucke, die Braut des Bräutigams, wie der Gemeinen erste

Deiner wartet, der auferstand, zu erwecken die Todten!

Wallt, Gemeinen der Enkel, mit frohem Tritt zu der ersten

Grabe! sie wird, Euch wird der Herr des Lebens erwecken.

Wallet herzu, die Blume der Ernt' in der Hand und die Lippe

Seines Preises voll, zu Eurer Väter Gebeinen!«

Magdale unterbrach den Gesang durch Rufe der Freude:

»Ach, sein Häuflein, die erste Gemeine mehret sich immer![89]

Seht Ihr, o Zeugen, kommen die neuen Zeugen auf jedem

Wege, der aus dem Thale nach Tabor's heiliger Höh' steigt?

Ach, wie auf allen Pfaden zur Wonne schneller des Pilgers

Stab sich bewegt, und dunkler der Staub der Füße sich wölket!

Ach, es eilen der Glücklichen viele, viel' der Erkornen

Christus' herauf, ihn wieder von Gott verkläret zu sehen!«

Aber Mirjam ließ den Gesang und die Saiten ertönen:

»Ja, verklär' ihn auch mit dieser Klarheit, o Vater,

Daß das Antlitz des Menschensohns die erste Gemeine

Sehe mit Himmelswonne, sie seines Lichtes Ströme

Trinke, dadurch auf immer gelabt, und nach Troste nicht dürste,

Dann nach Erquickung nicht lechze, wenn nun das Schwert der Tyrannen

Ueber sie kommt, und sie, ihr letztes Zeugniß zu zeugen

Von dem Sohne Gottes, heran zu dem blutigen Tode

Gehen! Laß dann nicht säumende Qual die Nahen am Ziele

Ueberlasten und bald ihr Blut, o Erbarmender, reden!«

Mg. »Bin auch ich erkoren, das große Zeugniß zu zeugen,

Ich gewürdigt, zu gehn den blutigen Weg zu dem Grabe,

Sohn des Vaters, so wende nicht ganz, wenn ich langsam sterbe,

Dich von der Sinkenden. Mir genügt ein Brosam des Trostes!«

M. »Dir genüget, nicht ihm, der Dein so sehr sich erbarmt hat,

Brosame nur zu geben. Wenn er zur Zeugin Dich rufet,

Siehe, so ist Dir keine der Qualen alle so sehr Qual,

Daß Du nicht wieder hörest die Himmelsstimme: Maria!

Und nicht wieder sinkst zu seinen Füßen. Am Grabe

Weilet er dann nicht mehr; er sitzt auf der Herrlichkeit Throne,

Herrscht an des Vaters Rechte, zu dessen Füßen Du dann sinkst!«

Mg. »O Du, der uns geliebt von dem Anbeginne der Welt hat,

Meine Seele verlanget nach Dir! Gieb Fülle der Gnade

Dann und jetzt, o, erscheine, Versöhner, und stärke die Zeugen

Zu dem blutigen Gange nach jenem Ziele, wo Palmen

Wehn, und Kronen des Lohns den Ueberwindenden strahlen!«

Also sangen Maria und Magdale. Viele der Engel

Und der Erstandenen waren herauf zu den Zeugen gekommen,

Und mit ihnen auch andere Zeugen. Da lehnt' Eloa

Sich auf die goldene Harfe und hörte des Göttlichen Mutter

Singen. David schwebete näher und hörte der Mutter

Freudeweinendes Lied. Da die nahenden Frommen vernahmen,

Daß mit dieser Wonne sie sang, da eilten sie schneller.

Also sprachen sie unter einander: »Ihr höret, wie freudig

Sie den Göttlichen preist. Vielleicht erblickt ihn ihr Auge[90]

Schon auf der Hügel einem des Tabor? Vielleicht erhebt er

Dort bei einer der Cedern den Fuß, zu der Mutter zu gehen?«

Aber sie sahen ihn nicht. Noch folgten Andre, der Siebzig

Viele, mit ihnen sie Alle, die einst ihn verließen, und weinend

Diese, der Lahmen und Blinden noch viel' und der Tauben, die Christus

Hatte geheilt, und Todte, die er in das Leben gerufen;

Beor und Dilean auch, mit Joel Samma, Elkanan,

Cherubim auch, unsichtbar sie und die Märtyrerkrone,

Bersebon und Bethoron, und Engel mit Märtyrerkronen,

Tabitha, Stephanus, Joses und Portia. Neben ihr spielte,

Streute Blumen ihr in den Weg der Knabe Nephthoa,

Junge Blumen und Sprosse mit halbgebildetem Laube.

Vielmal sah er sie an und lächelte vielmal ihr Unschuld.

N. »Portia, so ist der Weg zu dem Himmel, und ich bin der Engel,

Der Dich führet!« Es stürzet' ihr oft die Zähre der Freude

Ueber die Wange. Sie war nicht Mutter; aber ein Knabe,

Nah den ewigen Hütten, geleitete sie zum Versöhner.

P. »Knabe, der Weg zu dem Himmel ist schön, und ich liebe den Engel,

Der mich führet.« N. »Ich liebe Dich auch; doch lieb' ich noch mehr einst

Da Dich, wo an dem Ende des Blumenweges uns andre

Cedern schatten und Palmen, der Frühling ewig uns schimmert.«

Joseph und Nikodemus erreichten die Beiden. Sie hörten

Erst ihr Gespräch und grüßten sie dann mit dem Gruße des Friedens,

Christus' Gruße, so oft er den Seinen sich offenbarte.

Und sie traten zu Magdale hin und der Mutter des Mittlers.

Mirjam sah die Heidin, und Freude befiel und Verwundrung

Sie, daß Christus schon itzt in den Himmel Portia rufe.

Und sie rührte die Harfe der neuen Jerusalem wieder:

»Sohn des Vaters, noch mehrest Du stets der Erben des Lebens,

Deiner Seligen Schaar! Viel' hast Du heut Dir versammelt,

Daß sie Dein Antlitz sehn, den Gott von dem Tode geweckt hat!

Fest wird sie auf den heiligen Bergen gegründet, gegründet

Hoch auf dem Gipfel, der über die Sterne raget, des neuen

Bundes Salem. Ja, eile nur vor und verlier in die Zukunft

Dich, mein Blick. Wonn' ist es, zu sehen den Auferstandnen;

Aber Wonn' ist es auch, hinab zu schauen die Reihen

Jener Zeiten, in welchen die kleine Quelle, das Häuflein,

Heerschaar strömt. Du Herrlicher, wie begannest Du! Einer

Schwachen Sterblichen, die um Dich weint', erschienst Du zuerst; dann

Deinen hohen Aposteln, auf welche Geißel und Bande

Warten und Thron' im Gericht, und mehr als einmal, daß stark sie[91]

Würden, eh sie hinaus aus dem Lager gingen, zu tragen

Deine Schmach mit Dir; dann dieser kleinen Gemeine.

Und wie fuhrest Du fort! Der Baum des Erkenntnisses Gottes

Wuchs und breitet' über die Völkerheere der Erde

Lebenschattend sich aus. Und wie vollendest Du's jetzo,

Sohn des Vaters, geopfert vom Anbeginne, der Söhnung

Lange zuvor geweiht, eh das Häuflein war und die Heerschaar.

Engel Gottes, ach, sie zerreißt, die Hülle zerreißet

Vor des Himmels Allerheiligstem! Werfet die Kronen

Nieder vor ihm, dem Thäter der Gottesthaten, die Palmen

Nieder vor Jesus Christus, dem Allvollender, und singet,

Singet das Halleluja der tausendmal tausend Schaaren!«

Aber sie ließ, in Erstaunen verloren, die Harfe sinken.

Lazarus, da er sie jetzt mehr als Fünfhundert gelagert

Sah vor der Mutter Christus' und sich, und wußte, sie wären

Erben des Heils und Erstlinge Gottes, die näher am Thron einst

Kronen trügen und wallten im Labyrinthe der Vorsicht,

Wie den gebahnten Weg in der Morgensonne der Wandrer,

Freut' er sich innig und ward von seiner Wonne Gedanken

Wie auf Flügeln getragen. Er stieg den Hügel, an dem er

Ruhet', hinauf und übersah noch einmal der Erben

Betende Schaar und blickte mit stillem Danke gen Himmel;

Aber nun trat er vorwärts, erhub die Hand und begann so:

»Christus hat uns versammelt, die Lahmen, Blinden und Tauben

Und die Todten, versammelt die Geistesarmen, die Gottes

Hilfe nur kennen und keines Menschen Hilfe nicht kennen!

Ihr, zukünftige Zeugen des Auferstandenen, wißt es,

Daß er Euch auf den Berg der Verklärung sandte, damit Ihr

Seine Herrlichkeit säht und einst von der Herrlichkeit zeugtet,

Siehe, des Eingebornen des Vaters voll Wahrheit und Gnade,

Christus', welchem von Ewigkeit sei zu Ewigkeit Ehre

Und Anbetung! Ich hebe mein Haupt mit der Freude des Himmels

Ueber Euch auf und fleh' von dem liebevollen Erbarmer

Jetzo keinen Segen für Euch; Euch hat der Versöhner

Schon gesegnet, Christus Euch, der Erstandne, gesegnet

Mit der Verheißung, sich Euch auf Tabor zu offenbaren,

Euch dadurch gesegnet – Ihr blickt, wie ich, in der Zukunft

Fernen hinaus – mit Schmach um seines Namens willen

Unter Verfolgern, mit Arbeit und Schweiß in der mühsamen Laufbahn[92]

Und mit Märtyrerblute! Denn droben lohnet die Arbeit,

Lohnet die Schmach und das Blut des Lebens Krone den Duldern.

Sehr bin ich begnadiget worden, habe der Heile

Gottes viel' empfangen und danke weinend dem Geber;

Aber mein Blut fließt nicht, von Jesus Christus zu zeugen;

Denn ich gehe früher hinauf, zu umpflanzen der Streiter

Hütte mit Kühlung. Gepriesen sei, der voran mich führet,

Euch nachsendet, hinauf zu dem ewigen Lohn, durch die enge

Pforte, den schmalen blutigen Weg, gepriesen des Mittlers

Heiliger Namen, ach, hochgelobt in Ewigkeit Christus'

Herrlicher Namen! O, duldet die Schmach und den bitteren Hohn gern

Derer, die Christus' Herrlichkeit leugnen, nicht kennen des Himmels

Herrn und der Erde! Denn sie, die Euer Zeugniß zu Gott bringt,

Aber deren Auge den Auferstandnen nicht sahe,

Werden auch die Schmach und den Hohn der Christusleugner

Dulden, den Dolch, so vom Blute nicht rauchet und dennoch tödtet,

Werden glauben und schaun! Gott gehet unter den Menschen

Seinen verborgenen Weg mit stillem Wandeln, doch endlich,

Wenn er dem Ziele sich naht, mit dem Donnergang der Entscheidung!«

Also sagt' er und blicket' umher und sah in dem Schatten

Eines Hügels Gefäße mit Speis' und Tranke, des Halmes

Frucht und der Rebe stehn. Schon redete Lazarus wieder:

»Sondert Brod und Wein des Brudermahles und setzet

Vor den Zeugen es nieder, damit es geheiliget werde.

Ihr, die Ihr harret seiner Erscheinung, lasset sein Mahl uns

Halten, das heilige Mahl zu seines Todes Gedächtniß!«

Und sie hörten es freudig ihn sagen und sendeten sieben

Jünglinge, Brod zu sondern und Wein, und lagerten näher

Sich an einander. Schon begannen Viele zu knieen,

Viele die Hände, mit Thränen im Blick, gen Himmel zu falten.

Und die Jünglinge brachten das Brod und den Wein, und sie setzten

Vor der Versammlung es nieder. Als Lazarus aber hinzutrat,

Stand und mit denkendem Blick die festgefalteten Hände

Hoch gen Himmel erhob und zu reden jetzo beginnen

Wollte, da drangen ringsumher mit Schauer der Wonne

Und mit ihren Thränen die Cherubim und die Erstandnen

Zu der Gemeine Christus' herzu; und Lazarus sagte

Feierlichernst, und als fleht' er zugleich dem Geopferten Gottes:

»Jesus Christus, unser Versöhner, in seiner Leiden[93]

Schrecklichen Nacht, da er verrathen wurde zum Tode,

Nahm er Brod und danket' und brach's und gab es den Jüngern:

Nehmet und esset. Das ist mein Leib, den ich für Euch gebe.

Dieses thut, so oft Ihr es thut, zu meinem Gedächtniß.

Jesus Christus, unser Versöhner, in seiner Leiden

Schrecklichen Nacht, da sein Schweiß und sein Blut in Gethsemane träufte,

Nahm er den Kelch und danket' und gab ihn den Jüngern und sagte:

Trinket All' aus dem Kelche des neuen Bundes, gestiftet

Durch mein Blut, das ich für Eure Sünde vergieße.

Dieses thut, so oft Ihr ihn trinkt, zu meinem Gedächtniß.«

Sie empfingen das Mahl des Versöhners mit inniger Demuth

Und mit festem Entschluß, treu bis an das Ende zu bleiben.

Und indem sie sich näherten oder wieder sich wandten,

Stärkten sie sich und riefen sich zu: »Stets weiter im Wege,

Welcher zu Gott uns leitet! Am Ziel der erhabenen Laufbahn

Ist das Kleinod erst! – Schmach hat er selber geduldet,

Hat gelitten, wie Keinem von uns zu leiden gesetzt ist! –

Hochgelobet im Himmel und hochgelobet auf Erden

Sei der Mittler Gottes! Er hat die Versöhnung vollendet,

Sieh, es ist eingegangen ins Allerheiligste Christus,

Jesus Christus, der ewige Hohepriester! – Des Bundes

Kelch erquicke Dich noch, wenn das Herz Dir durstet, die Seele

Lechzt in der Märtyrerstunde! – Wie Dich der Engel, o Mutter,

Grüßte, so grüße Du mich, die Gesegnete Gottes! Zu seinem

Erbe bin ich, ich bin zu dem Sohn, dem Versöhner, gekommen!

Was ist alle Größe der Erde mir nun? Und es wartet

Höhere Wonne noch mein. Den göttlichen Unbekannten

Soll ich sehen, den Unerforschten, den Wunderbaren! –

Ach, zu dem Mahle des Heiles bin ich und jetzo gekommen,

Ich, der so elend war, ich selber! Wenn ich hinüber

Nach den Hütten der Ewigkeit geh', so ist es ein zweites

Leben der Seligkeit, das ich alsdann beginne! – Die Rebe[94]

Letzet uns wieder mit ihm in des Vaters Reiche! Dann trinken

Wir die Ströme des Lebens umsonst! – Wenn seh' ich, wenn seh' ich

Offen den Himmel und Jesus stehn zu der Rechte des Vaters?

Ach, wenn wandl' ich den Weg des siebenten Jünglings? Auch jenen

Kelch des Todes trink' ich zu seines Todes Gedächtniß! –

Hochgelobt in dem Himmel und hochgelobt auf der Erde

Sei der Versöhner! – Je schwerer sie über Euch kommen, die Leiden

Dieser Welt, und je lauter gen Himmel sie rufen, je mehr sei

Euer Leben verborgen mit Christus in Gott! – Nach der Liebe

Mahle ging der Versöhner hinaus in Gethsemane. Blut troff

Da vom gesenkten Antlitz des Dulders herab, mit des Dulders

Todesschweiß, nach dem himmlischen Mahl! – Erbarme Dich meiner,

Mittler Gottes, den ich verließ, erbarme Dich meiner!

Laß getreu bis ans Ende mich sein! Ich säe mit Thränen,

Laß mich mit Freuden ernten, Versöhner! – Mir ward es geordnet,

Zweimal zu sterben. Ach, pflegt der Schlummer der lieblichen Dämmrung

Nicht dem Schlafe der Nacht nach kurzem Wachen zu folgen?

Dann, dann letzt mich die Rebe mit ihm in dem Reiche des Vaters,

Seines Todes Gedächtniß! O, die er mir sandte, Benoni,

Und Ihr anderen Engel, wo seid Ihr, mit mir Euch zu freuen?

Hochgelobt in dem Himmel und hochgelobt auf der Erde

Sei, der verrathen wurde zum Tod an dem Kreuze, dem Blut schon

In Gethsemane troff, eh auf dem Hügel sein Haupt sank!

Möcht' ich Stephanus' Weg und den Weg des siebenten Jünglings

Wallen zu Christus hinauf, zu Benoni hinauf und zu Samma,

Und zu Simeon Du, und Jesus Christus. Die Nacht nimmt

Er dem Auge dann und trocknet die Thränen Dir alle!

Bald sank mir die Nacht, dem Lebenden, bald wird, Elkanan,

Frömmerer Dulder, auch Dir die Nacht, dem Sterbenden, sinken!«

Aber Maria rief mit lauter Stimme gen Himmel:

»Hoherpriester, des Ewigen Sohn, ich gebar, ich gebar Dich!

Deinen Tod will ich, bis Du mir rufest, verkünden!

Hochgelobet im Himmel und hochgelobet auf Erden

Sei der Versöhner Gottes!« Da so sie sich stärkten und jetzt schon,

Wie an den Schwellen der ewigen Hütten, Worte des Lebens[95]

Sich zuriefen, sahen sie Jesus an einer der Höhen

Niederkommen und gegen sich her den Göttlichen wandeln.

Ach, schon stand er nah vor ihnen. Auf einmal umschwebte

Aller Augen Entzückung. Wie Frühlingssäuseln im Walde

Sanft herrauscht, so ertönte der Redenden leiser Zuruf

Und der Weinenden, als die Ueberzeugung vom Himmel

Ihnen ward, und verwandelt wurd' ihr Glauben in Schauen.

Wie der Waller im Sonnenstrahl, der dürstet' und trank, noch

Dürstet und trinkt, so sahn sie mit Himmelsbegierde den Herrn an.

Aber er hielt sich nicht mehr und begann und sagte zu ihnen:

»Kindlein, Heil sei und Friede mit Euch! In dem Hause des Vaters

Sind der Wohnungen viel'. Ich geh' und bereite darin Euch

Stätten und kehr' in dem Tode zu Jedem wieder und nehm' ihn

Auf zu mir, daß er sei, wo ich bin. Wenn Ihr mich liebet,

Haltet Ihr, was ich gebot. Ich fleh' zu dem Vater, er sendet

Euch den Tröster, den Geist der Wahrheit, welchen die Sünder

Nicht zu empfahn vermögen. Sie kennen ihn nicht; Ihr aber

Werdet ihn kennen, wenn er mit Euch sich vereint, und mit ihm Ihr

Euch vereiniget. Sieh, ich verlass' Euch nicht, wie im Tode

Ihre Waisen die Mutter verläßt. Denn ich kehre wieder,

Euer Führer, der Euch hinauf zur Erkenntniß des Himmels

Bringt und dem ewigen Leben. Denn hier schon werdet Ihr lernen,

Daß mit dem Vater vereint ich bin, und mit mir vereint Ihr

Seid, und ich mit Euch. Wer, was ich habe geboten,

Weiß und hält, Der liebet mich, und Den wird der Vater

Lieben; und ich werd' ihn lieben und ihm mich offenbaren!«

Jetzo sah auf einmal Elkanan den Göttlichen stehen

Unter den weinenden Zeugen, und rufend sank er zur Erde,

Richtete, wie von dem Tode, sich auf. Noch sagte der Mittler:[96]

»Ja, wir werden ihn lieben, ich und der Vater, und kommen

Und bei ihm wohnen. Ich bin der Weinstock, und der Vater

Ist Weingärtner, Ihr seid die Reben. Jede der Reben,

Welche nicht Frucht trägt, schneidet er ab; und jede, die Frucht trägt,

Reiniget er, daß der Früchte noch mehr die herrliche trage.

Ihr erkort mich nicht; ich aber hab' Euch erkoren,

Euch Gedeihen gegeben, daß Frucht Ihr trüget und wüchset

In die Ewigkeit! Hört mein großes Gebot, und ein Labsal

Sei es Euch, denn die Welt wird, wie mich sie gehaßt hat, Euch hassen:

Liebet Euch unter einander! Ich lass' Euch meinen Frieden,

Meinen Frieden geb' ich Euch. Ihm gleichet der Erde

Friede nicht. Mit Ruh und mit Unerschrockenheit stärk' er

Eure Seelen! Ihr werdet Euch freuen, wenn Ihr mich liebet!«

Also hörten sie ihn die letzten Worte der Weihung

Zu dem nahenden Kampf und zu dem ewigen Leben

Sagen und sahn ihn nicht mehr. Als jetzt aus ihrer Entzückung

Freud' und Heiterkeit war und Ruh der Seele geworden,

Sahen sie nicht ferne von da, wo der Mittler sich wandte

Und verschwand, den Knaben Nephthoa, als schlummert' er, liegen.

Und sie wollten ihn wecken; allein der glückliche Knabe

War gestorben. Lazarus rief. »Auf, gehet und sammelt

Blumen, ich mach' ihm das Grab.« Sie gingen und sammelten Blumen.

Schon erhub sich neben Nephthoa, nun bald ihn zu decken,

Jener kleine Hügel, zu welchem wir All' einst kommen

Müssen, zu Staube Staub. Sie nahmen den lächelnden Knaben,

Senkten ihn nieder ins Grab und deckten ihn leise mit Erde

Und mit Blumen, die sie aus voller Hand auf die Stätte

Seiner Aussaat streuten. Sie wendeten sich und verließen[97]

Tabor. Viele sahen noch oft sich um nach dem frischen

Blumenhügel; doch trübete Deren Auge nicht Wehmuth,

Denen Sterben Gewinn und Leben war der Erstandne.

Die von den Siebzigen waren auf Tabor gewesen, verließen

Jetzo den Berg der Verklärung und stiegen herab und kamen,

Seitwärts von Stegen geführt, in ein Palmenwäldchen des Thales.

Und sie fanden daselbst die heiligen Zwölfe versammelt,

Fanden, wer nicht von ihnen war auf Tabor gewesen.

Und sie verkündeten alles das Heil, das so Vielen vom Herrn ward,

Kurz, mit Flammenworten. Wie konnten sie reden? sie weinten!

Tiefes Schweigen und Vorgefühl des Himmels, ach, Wonne,

Dämmerung sie von dem Erbe des Lichts, war in der Versammlung.

Aber Jakobus entriß sich der Mitgenossen Umarmung.

»Jünger des Herrn, wo eilest Du hin? Der Herr wird, der Herr wird

Seinen Kindlein erscheinen!« – »Ich geh' ihm entgegen, nach Tabor

Geh' ich zu ihm.« – »Wie würdest Du trauren, wenn er erschiene,

Und Du wärest nicht hier!« – »Er siehet Alles und weiß es,

Wie ich dürst', ihn zu sehn, und warum ich entgegen ihm gehe.

Laßt mich, ich werde nicht trauren.« Er ging. Bald kam er in hoher

Felsen Schatten und stand und hob die Hände gen Himmel:

»Herr, Herr, Gott, noch erhebe Dich nicht zu Deinem Vater,

Ach, erhöre mein Flehn! Zwar hoffen wir Alle, Du werdest

Uns noch erscheinen; allein wie wissen wir's denn? Ach, verlaß uns,

Mittler Gottes, noch nicht! Ich habe vor Dir, Du Erbarmer,

Gnade gefunden. Ich will mich hier in der Höhle verbergen,

Niederknien und Dein Heil erwarten. Geh Du vorüber,

Siehe, so will ich von fern, Herr, Deiner Herrlichkeit nachsehn!«

Jesus Christus ergriff ihm die Hand, da er lag und ihm flehte,

Richtet' ihn auf und segnet' ihn ein zu der himmlischen Sendung.

Und der Selige folgte mit Freudausrufen und Beben

Christus den Weg hinab in das Palmenwäldchen des Thales.

Schon an dem fernen Fuße des Bergs erblickten die Jünger[98]

Christus und neben dem Herrn den glücklichen Zebedäiden,

Sahen heller ihn leuchten, als sie, seitdem von dem Tod er

Auferstand, ihn gesehn, mehr über die Engel erhaben.

Und sie wollten entgegen ihm eilen; aber ein Engel

Winkete ihnen: sie sollten den Herrn bei den Palmen erwarten.

»Denkst Du daran,« dies war ihr Gespräch, »wie wir ihn an dem Oelberg,

Von den Mördern umringt, die Hand in der Fessel, erblickten?

Wie mit dem weißen Gewand ihn Herodes höhnte? Pilatus

Ihm mit Dornen die Schläfe bewand? wie er zucken die Geißel

Auf die Schulter des Strahlenden ließ? Ach, wird er gen Himmel

Schon sich erheben? und ist dies Wiedersehen das letzte?

Scheidung von ihm, o Du vor allen, die je von einander

Blutende Herzen trennten, die bängste, bitterste, trübste,

Stummste, Du jammervollste, Du bist schon heute gekommen?

Scheidung von Jesus Christus!« – »Mir hüpfen die Berg' und die Hügel,

Mir frohlocket der Wald, mir schmückt mit reinerem Golde

Sich der Tag, mit lichterem Purpur, sanfterer Bläue

Mir der Himmel, so ist von der Freude das Herz mir durchdrungen;

Und Du weinest?« – »Denkt Ihr daran, wie das Kreuz er hinauftrug

Nach der Schädelstätte? wie dann er am Kreuze ... Wie Joseph

Ihn in das Sterbegewand einhüllte?« So sprachen die Zeugen

Unter einander und sanken hin auf die Kniee, da Christus

Näher kam, und breiteten aus die Arme nach Christus,

Nach dem Versöhner Gottes, der ganz nun ihnen genaht war.

Und er grüßete sie mit seinem himmlischen Gruße:

»Friede sei mit Euch!« und er stand vor ihnen und sagte:

»Wie ein verstummendes Lamm zu dem Opferaltare geführt wird,

Ging er geduldig einher und schwieg. Ich werd', Ihr Geliebten,

Bald nicht mehr mit Euch des Wiedersehens genießen

Auf der Erde, mit Euch von Honigseime nicht essen,

Noch, was Ihr in der Frühe des Tags am Gestade bereitet,

Nicht im Schatten mehr ruhn; allein in den Hütten des Friedens,

Wo viel' Wohnungen sind, dort werdet Ihr Euren Messias

Wiedersehn und nebst den versammelten Vätern des Bundes

Freuden der Freundschaft empfahn, die Abschiednehmen nicht trennet!«

Und er sank vor den Zeugen in seiner Herrlichkeit nieder,

Betete mit erhabener Stimme: »Die Zeit war gekommen,

Deinen Eingebornen in seiner Schönheit zu zeigen.[99]

Siehe, Du hast ihn gezeigt und bist verherrlichet worden,

Vater, durch ihn! Ihm hast Du gegeben die Sterblichen alle,

Daß er sie auferwecke vom Tod und ewiges Leben

Ihnen gebe. Das aber ist ewiges Leben, Dich, Vater,

Der Du der Ewige bist, und den Du gesandt hast, erkennen,

Jesus, den Sohn und den Herrscher. Ich sehe, Vater, im Geiste

Schon die Fülle der ganzen Vollendung. Ich hab' auf der Erde

Dich verherrlichet, habe vollführt der Gottheit Rathschluß!

Nun erwarten mich Kronen zu Deiner Rechte! Du wirst mir

Wieder die Herrlichkeit geben, die mein war, eh wir erschufen.

Deinen gefürchteten Namen hab' ich den Erwählten verkündigt

Aus den Sündern. Du gabest sie mir. Sie haben die Weisheit

Die ich sie lehrte – selbst ich bin ihr Zeuge – mit Treue gehalten.

Nun erkennen sie auch, daß, was ich habe, von Dir ist.

Denn ich habe sie Alles gelehrt, was Du selber mich lehrtest.

Also haben sie's aufgenommen, die göttliche Wahrheit

Tief in das Herz gefaßt, daß ich von dem Vater gesandt bin.

Vater, ich bitte für sie, für die Welt nicht, weil sie auch Dein sind,

Weil wir in jedem Besitz der Seligkeiten vereint sind!

Vater, ich bitte für sie! Denn auch durch sie bin ich herrlich.

Ich verlasse die Erde nun bald und kehre gen Himmel,

Vater, zu Dir zurück; sie aber bleiben auf Erden,

Sehn noch lange der Sünder Müh' und fühlen ihr Elend.

Laß sie, heiliger Vater, der hohen Erkenntniß getreu sein,

Die sie haben werden von Dem, der jetzo versöhnt ist.

Laß sie eins sein, wie wir: ein Haus voll Brüder! Ich sorgte

Selber für sie, da ich noch gleich ihnen Mensch war. Ich wachte

Ueber ihren unsterblichen Geist. Hier sind sie, mein Vater!

Keinen hab' ich verloren! Nur hat der Sohn des Verderbens

Mich verlassen und ist den Propheten ein Zeuge geworden.

Nunmehr komm' ich zu Dir. Das sag' ich, da ich bei ihnen

Noch auf der Welt bin, daß sie an meine Herrlichkeit denken

Und sich freuen, wie ich mich freue. Sie haben die Worte

Deines Lebens gehört. Der Sünder hat sie gehasset,

Wie er mich haßte. Nicht bitt' ich, daß Du der Erde sie nehmest;

Schütze sie nur vor ihrem Verfolger, dem Geist des Verderbens!

Heilige sie in Deiner Wahrheit! Dein Wort ist die Wahrheit!

Vater, ich ließ mein Leben für sie, damit sie gereinigt

Von der Sünde vor Dir erscheinen! Doch bitt' ich, o Vater,

Nicht für die Jünger allein. Der neuen Schöpfungen Kinder[100]

Werden einst, wie aus dem Morgen der Thau, durch ihr Wort mir geboren.

Auch für Diese bitt' ich, mein Vater, daß Alle sie eins sei'n,

Wie wir eins sind, und daß die ganze Erd' es erkenne,

Daß Du mich, Vater, sandtest! Ich habe das ewige Leben,

Meine Herrlichkeit Denen gegeben, die Du mir geschenkt hast,

Daß sie eins sei'n, wie wir, zu einem göttlichen Endzweck

Alle vollendet, und daß die Sünder der Erd' es vernehmen:

Jesus sei von dem Himmel gesandt; Gott liebe die Kinder

Seiner Versöhnung, wie er den Erstling der Söhne geliebt hat!

Vater, es sollen meine Versöhnten zu mir sich versammeln,

Daß sie sei'n, wo ich bin, und meine Herrlichkeit sehen,

Jene, die Du mir, Liebender, gabst, eh die Himmel entstanden!

Dich verkennet die Welt, gerechter Vater; ich aber

Kenne Dich! Den Erwählten hab' ich enthüllt das Geheimniß

Meiner Sendung und Deiner Gottheit, und will's noch enthüllen,

Daß die Liebe, mit der Du mich liebtest, ihr Herz ergreife,

Und den unsterblichen Geist nur sein Versöhner erfülle.«

Also betet der Mittler, in Strahlen niedergesunken,

Und er richtet sich auf und entweicht der Sterblichen Auge.

Wenn erhabener Tempelgesang von der Auferstehung

Oder vom ewigen Licht, Erfindung der Töne, dem Liede

Gleich, und Stimme des Menschen und Hauch und Saite zu einem

Großen Zwecke vereint, mit Schönheit beginnt, jetzt steigend,

Sinkend jetzt fortfährt mit Schönheit, nun, steigender immer,

Inniger, sanfter, erschütternder mit Urschönheit endet;

Wie es dann den Hörenden ist: so war es (ich rede

Menschlich von himmlischen Dingen) den Jüngern, als sie den Herrn sahn,

Als sie strahlen ihn sahn und beten den Göttlichen hörten.

Aber sie machen endlich sich auf, verlassen die Palmen

Galiläa's und kehren zurück mit Wonne gen Salem.

Seraphim wallen mit ihnen hinauf, und vertieft in Gedanken

Ueber den großen Beginn des Reiches Gottes (sie waren

Jetzo nicht zu erscheinen gekommen), vergessen die Engel,

Daß die Jünger sie sehn, und kaum bemerken die Jünger,

Daß es Unsterbliche sind, die sie begleiten: so sehr ist

Ihre Seele versenkt in die Gnade der letzten Erscheinung.[101]

Selber von Denen, mit welchen er der Erlösung sich freute,

Sonderte sich Johannes. Er wollt' allein mit Gott sein;

Und, gesunken in tiefe Stille der Seele, gesunken

Ueber des ewigen Heils Fortgang in ernste Betrachtung,

Wallt' er einher in der Zukunft Irre. Voll inniger Demuth

Wagt er mit Tritte des Menschen die Wege Gottes und fehlt sie.

Doch mit Entzückung umschwebt ihn der grübelnde Wahn und giebt ihm,

Ach, der Freuden des Irrthums viel' nach jenem Rathe

Gottes von unserem Glück, das steigt auf tausendmal tausend

Stufen, dem Rath für die denkenden Wesen alle, deß Umfang

Nie ein Endlicher maß, und der für die Ewigkeit zureicht.

Aber, so licht der Schein auch war, der des Glücklichen Tiefsinn

Täuschte, so fühlt' er doch oft, daß ein Leiter vom Himmel ihm fehlte.

Voll des süßesten Mitleids stand bei dem Betenden Salem,

Und der Unsterbliche sah, daß ein Schlummer von Gott auf den Jünger

Fiel. Bald hellte des Eingeschlafenen Antlitz der Engel

Lächeln. So fand den Erwachenden noch die Genossin am Kreuze

Und an dem Throne dereinst vor des Bundes großem Vollender.

Und er rief ihr entgegen, des Mittlers Mutter und seiner,

Freudelaut entgegen: »O Mutter Christus', ich lernte

Weisheit und künftiges Heil in diesem Schlummer voll Wonne.

Ach, es war ein Gesicht! Viel anders war, was ich sahe,

Als ich mir es dacht' in dem Wahne von Gottes Enthüllung.

Denn ich hatte gewagt, hinauszugehn in die Fernen

Unsers Künftigen, hatte, was Gott thun würde, zu forschen

Mich, der ein Sünder noch ist und ein Sterblicher, unterwunden,

Ach, mich unterwunden, an jener Tiefe zu weilen,

Wo hinunter zu schaun umsonst selbst Engel es lüstet.

Siehe, wir waren mit herzlicher Einmuth in unserer Hütte

An dem Tempel versammelt. Der kleinen Gemeine Gespräch war

Frei, und Keines Meinung beherrschte des Anderen Meinung.

Mutter des Herrn, wenn nur die künftigen großen Gemeinen

Nicht verlassen der Liebe Pfad und sich rauhe der harten,

Bitteren Herrschsucht wählen! Wir sahen wol Licht; doch es dämmert'

Auch in dem Lichte. Wir waren zum Tod entschlossen; doch fehlt' es

Uns an Muth zu dem späteren Tode. Wir waren der eignen

Seligkeit viel zu begierig, um mit Verleugnung zu sorgen

Für die Seligkeit Andrer. Wir wollten auf Erden nicht säumen,

Ach, nicht säumen, ergriffen den Stab des Wanderers, hofften,

Dürsteten, bald bei Christus zu sein. Da erhub sich auf einmal

Um die Hütt' ein Brausen als eines gewaltigen Windes.[102]

Siehe, vom Himmel kam das erschütternde Brausen und füllte

Ganz die Hütte, worin wir saßen. Wir sahen uns an, sahn

Flammen uns auf der Zunge wehn. Noch mächtiger ward uns

Ausgegossen Gefühl in das Herz, wie wir niemals empfanden.

Flammen – wie lernten wir ihn da lieben – durchströmten die Seele,

Und die Dämmerung sonderte sich von unsrer Erkenntniß

Lichte. Wir waren entschlossen zum späteren Tode, entschlossen,

Graues Haar in Märtyrerblut zu senken. Wir liebten

Eigene Seligkeit, aber sie mit Verleugnung, mit heißer,

Inniger Sorge fürs Heil der gottgewählten Gemeinen;

Dürsteten zwar, bei Christus zu sein, doch gerne, geböt' es

Also der Wille des Herrn, nach vieler langsamer Jahre

Säumen erst, erst dann, wenn vor uns hinüber in Schaaren

Brüder wären gegangen, die wir erwecket, gelehret

Hätten, gestärkt, mit Labsal gelabt in dem Leben und Tode.

Fertige Wandrer, hinauf zu gehn zu der Heimath im Himmel,

Waren wir jetzo nicht mehr; wir standen gegürtet, erhoben

War der Wanderer Stab, umher auf der Erde zu wallen,

Hier mit Arbeit und Schweiß und vielen Thränen zu wachen

Ueber die Seligkeit Derer, die unsere Sendung erkennten,

Aber uns auch, wo sie des ewigen Lebens sich unwerth

Hielten, zu wenden und weichend den Staub von den Füßen zu schütteln.«

Also sagte Johannes und füllete durch die Erzählung

Seines Gesichts der Mutter des Herrn mit Wonne die Seele.

Jetzo wandte die Leier mit ihren lichtesten Sternen

Gegen die lichtesten sich des Altars. Dies that in den Himmeln

Kund, daß der Mittler sich nun zu der Rechte Gottes erhübe.

Dunkles Gefühl, und was er bei seiner letzten Erscheinung

Nicht verbarg, weissagten schon lang' den Jüngern: es werde

Jesus nun bald sie verlassen, er hin zu der Herrlichkeit gehen,

Sie zu der Fessel und Schmach, die aber zur Herrlichkeit führten.

Dennoch weineten sie. Lebbäus erwehrte sich lange

Seiner Klagen; es wölkte sich lang' in des Leidenden Seele,

Eh es herunterströmte. Ja, bitter ist doch vom Geliebten,

Jammervoll ist die Scheidung, der keine Stunde gesetzt ward,[103]

Ach, zu dem Wiedersehn, ist seelenerschütternd, durchdringet

Bis zu dem innersten Mark und Gebein des Bleibenden Leben,

Senket es, stürzet es nieder, zu welcher Wonne der Freund auch

Komme. Denn, ach, weit weg in der Fern' ist des Wiedersehens

Stunde, gehüllt, verborgen in Nacht! Kein Engel erbarmt sich

Und entdeckt nur leise mit einem Laut, wenn mit ihrer

Freude Schrecken sie kommen werde. Kein Todter erbarmt sich

Und entdeckt, nur fern und in Dämmrung erscheinend, mit einem

Laute, wenn kommen werde die theure, die heilige Stunde,

Wie kein Morgen sie brachte, kein Tag sie bestrahlte, kein Abend

Sie mit Schatten oder umgab mit dem Schimmer des Mondes.

Und Ihr waret doch unsere Brüder, Ihr Todten Gottes,

Kanntet der Menschen Schicksal und weinetet unsere Thränen!

Thomas hatte bei sich die Zwölf' und die Siebzig versammelt,

Nach Gethsemane sie zu führen und dort zu besuchen

Jene Stätte, wo Christus am Abend der früheren Scheidung

Niedergesunken zu tiefem Gebet vor dem Richter der Welt lag.

Thomas' Gedanke war's nicht; es war die Leitung des Mittlers,

Die ihn nach Gethsemane brachte. Auf einmal wandelt

Unter ihnen der Herr. Er führt die Zeugen; sie folgen,

Gehen langsam vorbei an dem Grabe der Bethanaitin,

Segnen die Schlummernde Gottes. Itzt wurden des Oelbergs Pfade

Steiler, Salem fernte sich, und die Gipfel des Berges

Ragten größer empor. Noch schweigt der Versöhner; sie aber

Reden mit Wehmuth unter einander. Sie glauben an Jesus

Etwas zu sehn, das ihnen die nahende Scheidung verkünde.

Schweres Herzens standen sie oft und sahen sich oft um

Nach dem Todeshügel und nach dem offenen Grabe,

Länger nach diesem. Der Liebende war von dort zu den Seinen

Wiedergekommen. Mit dem Labsal erquickten die Jünger

Ihre Seelen. Die Gipfel des Oelbergs deckt' ungesehen,

Voll Erwartung, die selige Schaar, die sich zu Begleitern

Seiner Auffahrt Christus erkor, erstandne Gerechte,

Seelen auch, die Seraphim alle, die ihm auf der Erde

Dienten von jener Nacht in Bethlehem an bis zu dieser

Letzten Verklärung. Wie eine der ältesten Cedern den Wipfel

Hebt auf Libanon's Höh', stand Gabriel unter der Heerschaar.

Und sie blickten hinab und sahn den Göttlichen wandeln,

Sahn die Jünger ihm folgen mit halbgeheitertem Kummer.

Leuchtender strahlet' Eloa als sonst. Er war zu der Erde

Erstem Hüter erkoren, der fluchentlasteten Erde[104]

Erstem Hüter. Sie hatte vernommen Worte des Segens.

Stumm war auf ihr die Stimme des Fluchs geworden, die Stimme,

Angekündet in Sturm und in Donner gesprochen. Sie hatte

Jesus von Golgatha rufen gehöret: Es ist vollendet!

Und mit Himmel umgab den gottgewählten Eloa

Dieser große Gedanke. Noch andere senkten ihn vorwärts

Von Aeon zu Aeon in der Erde Schicksal, bis endlich

Ihm ein himmlischer Jüngling der Auferstehungsposaunen

Eine brächte, daß er zum Gericht vor den Cherubim weckte.

Jesus war hinauf zu der letzten Höhe des Oelbergs

Mit den Jüngern gekommen. Gelindere Lüfte des stillen

Werdenden Tages umsäuselten sanft und kühlten die armen

Glücklichen, welche so schwer an der Sterblichkeit Bürde noch trugen.

Unter ihnen stand der Eingeborne des Vaters,

Schön und schrecklich zu schaun – so hatten noch nie den Messias

Seine Zeugen gesehn, noch nie auf der Erde die Engel –

Stand in einer Hoheit, die keine Saite nicht, keine

Stimm' ausdrückt des Menschen, kein himmelnaher Gedanke.

Wo von den äußersten Sternen hinab der Erschaffenen Auge

Schauen konnte, so weit aus den Welten allen, von allen

Polen umher des schon unermeßlichen Kreises, am fernsten

Aus den flammenden Strömen der Sonnen, waren die Geister

Alle, die Duft, die Feuer, die Heitre, die Staub, wie der Menschen,

Ueberkleidet, auf Den, der vollendet hatte, gerichtet.

Gottes Erwählter, Eloa, erblickt sie Alle, die Christus

Sehn, den unendlichen Kreis umher, und sinkt auf das Antlitz

Vor dem Versöhner Gottes und wirft die strahlende Krone

Feirend zur Erde nieder vor Dem, der vollendet hatte.

Christus stand auf der Höhe des Berges, um ihn die Zeugen,

Ungesehen um ihn die Cherubim und die Erstandnen.

Und er breitete gegen die Jünger mit Liebe die Arm' aus:

»Weicht von Jerusalem nicht! Harrt da der Verheißung des Vaters,

Die Ihr, als ich erstand, von mir vernahmet! Johannes

Hat mit Wasser getauft; Ihr aber sollet getaufet

Werden mit dem heiligen Geiste. Nur wenige Tage,

Und die Verheißung kommt.« Der Jünger etliche fragten:

»Richtest in diesen Tagen Du wieder auf, o Messias,[105]

Israel's Reich?« – »Die Stunde, die seiner Macht der Vater

Vorbehalten, gebührt, Ihr Sterblichen, Euch nicht zu wissen!«

Bei den Worten (er hielt nicht inne) blickt der Versöhner

Nach Bethania nieder. Verklärt wird Lazarus, eilend

Führt ihn sein Engel herauf, daß er mit zu der Herrlichkeit gehe.

»Aber Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfahen,

Der von dem Himmel auf Euch herab wird kommen, und werdet

Meine Zeugen sein in Jerusalem, werdet's in Juda

Und in Samaria sein und bis an das Ende der Erde!«

Christus nahte sich mehr, erhub die Hände und schaute

Auf die Zeugen mit inniger Huld: »Gott segn' und behüt' Euch,

Gott erleuchte sein Angesicht über Euch, sei Euch gnädig,

Gott erhebe sein Antlitz auf Euch und geb' Euch Friede!«

Also segnete sie der Versöhner. Himmel und Erde

Und Ihr All', Ihr Erlösten Gottes, nun hatt' es der Mittler

Alles, Alles auf Erden vollendet! Siehe, die Wolke

Kam herunter und hob ihn empor zu dem Himmel. Die Zeugen

Sahen lang' dem Gekreuzigten nach, dem Erstandnen vom Tode,

Lange mit freudeweinendem Blick, mit erschütterter Seele,

Ach, mit jenem Gefühl, wie es uns wird werden, wenn Christus

Wiederkehrt als Richter der Welt in den Wolken des Himmels!

Und sie sahn ihn nicht mehr. Zween Männer in weißem Gewande

Traten auf einmal vor sie. Die waren Eloa und Salem.

Und der Eine, mit lichterem Haar und dem goldenen Stabe

In der Rechten, sprach zu ihnen, die kaum in der süßen

Wonne Betäubung ihn hörten: »Ihr Männer von Galiläa,

Warum steht Ihr und schauet gen Himmel? Dieser Jesus,[106]

Welcher von Euch hinauf in den Himmel stieg, kehrt wieder,

Wie Ihr ihn sahet hinauf in den Himmel steigen!« Sie sagten's

Wendeten sich und wurden nicht mehr von du Jüngern gesehen.

Aber die Jünger verließen mit Dank und Preise den Oelberg,

Eilten und kamen hinab nach Jerusalem, waren beisammen

In dem Tempel, zu beten, zu beten, in ihrer Hütte

An dem Tempel beisammen und harreten, also geweihet,

Auf die Verheißung des Vaters, daß Kraft aus der Höhe zum Zeugniß

Von dem Versöhner über sie käme, daß über sie würde

Ausgegossen die Feuertaufe des heiligen Geistes.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Werke, Band 1: Der Messias, Berlin [1879], S. 74-75,77-107.
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