Zweiter Auftritt

[17] Selima. Die Vorigen.


SELIMA. Mein Vater, werde nicht zornig, daß ich schon wieder dein Gebot übertrete. Aber höre mich, mein Vater. Es geht ein Mann, ein Mann, wie ich noch keinen gesehen habe, um unsre Hütte herum und droht mir, daß ich ihm die Hütte öffne. Er will zu Adam. Er erschreckte mich sehr. Es müssen noch irgendwo Menschen wohnen, die deine Söhne nicht sind, und deren Sohn er ist. Er ist Adams Sohn nicht!

ADAM. Wie ist der Mann gestaltet, Selima?

SELIMA. Es ist ein hoher drohender Mann. Er hat tiefe Augen, mit denen er wild umherschaut. Er hat sich mit fleckigen Häuten bedeckt, die schimmern. Er trägt eine schwere knotenvolle Keule. Er sieht verbrannt und doch bleich aus; aber nicht so bleich, als du jetzt bist. Ach, mein Vater! –

ADAM. Hatte der Mann seine Stirn' entblößt?

SELIMA. Ja, er hatte sie entblößt und auf derselben etwas, das ich nicht beschreiben kann, weil ich es kaum anzusehen vermochte. Röthlich, glühend, fürchterlich lief es über sie herunter, wie der zückende Blitz.

ADAM. Es ist Kain, Seth, es ist Kain! Der Allmächtige hat ihn gesandt, daß er mir meinen Tod noch bittrer mache. Geh, daß wir gewiß erfahren, ob ihn der Allmächtige gesandt habe, geh, sag' ihm, daß er sich wende und mein Angesicht nicht sehe! Aber, wenn er dennoch kommen will, so hab' ichs verdient, daß er komme, und so hat ihn Gott gesandt! Doch verschleuß vorher den Altar, daß er seines Bruders Blut nicht sehe.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 17-18.
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Der Tod Adams
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