Achte Szene

[428] Frau Staar – Der Bürgermeister – Herr Staar – Sperling – Sabine.


BÜRGERMEISTER. Man muß Se. Majestät begleiten.


Er will nach.


SABINE hält ihn auf. Lieber Vater, was soll das heißen? wie kommen Sie auf den Einfall?

BÜRGERMEISTER. Naseweis! es ist unser König.[428]

SABINE. Gott bewahre! wer hat Ihnen das weisgemacht?

HERR STAAR. Weisgemacht?

BÜRGERMEISTER. Hat die Frau Mutter nicht den Großvater gesehn?

HERR STAAR. Hat sie nicht das Portrait?

FRAU STAAR. Von ihr selbst hab' ich es empfangen.

SABINE. Ah! nun versteh' ich – ja lieber Gott, das war nur ein Scherz.

ALLE. Ein Scherz?

SABINE. Verzeihen Sie liebe Großmutter –

FRAU STAAR. Ich drehe dir den Hals um!

SABINE. Konnt' ich das vermuten –

FRAU STAAR. Gottloses Kind! du wußtest also, wen das Portrait eigentlich vorstellt?

SABINE sich etwas verlegen heraushelfend. Nein – das wußte ich nicht –

FRAU STAAR. Wie kamst du dazu?

SABINE. Ich – ich hab' es gefunden.

FRAU STAAR. Gefunden? wo? wie?

SABINE. Als ich noch in der Residenz war – auf einem Spaziergange – im hohen Grase – ich steckt' es in die Tasche, und hab' es vergessen bis auf den heutigen Tag.

FRAU STAAR. Ei! woher denn aber die Zärtlichkeit, mit der du das Bild angafftest, als ich diesen Morgen hereintrat?

SABINE. Zärtlichkeit?

FRAU STAAR. Ja ja, Mamsell, dir war Hören und Sehen vergangen.

SPERLING. Ei, ei, Mademoisell.

SABINE. Ah das kann ich Ihnen leicht erklären. Aufmerksamkeit war es. In den Zeitungen wurde ein verlornes Bild angezeigt. Da fiel mir das meinige wieder bei. Schnell zog ich es aus der Tasche, um es mit der Angabe zu vergleichen.

FRAU STAAR. Ich habe ja keine Zeitungen gesehn?

SABINE. Dort liegen sie noch auf dem Tische.

FRAU STAAR zieht die Brille heraus. Gib doch her, ich will den Artikel selber lesen.

SABINE erschrocken. O ja – warum nicht – hier sind sie – ach verwünscht! da haben die Kinder das Butterbrot daraufgelegt. Es ist alles durchgeweicht, alles unleserlich.

FRAU STAAR. Verschmitzte Kreatur! wenn ich nun das Bild an einer Zitternadel auf meine Haube gesteckt hätte? Die ganze Stadt hätte mit Fingern auf mich gewiesen. – Fort[429] damit! Laß es mir nie wieder vor die Augen kommen.

BÜRGERMEISTER. Gib es dem Fremden zurück.

SABINE. Ei freilich, er könnte ja sonst wunder glauben –

SPERLING. Der Ersatz sei meine Sorge. Ich selber lasse mich malen.

SABINE beiseite. Lieber ausstopfen.

HERR STAAR. Die Jungfer Nichte ist eine Närrin! Daß doch so eine leichtfertige Dirne eine ganze reputierliche Stadt wie ihren Strickbeutel umkehrt. Ich muß nur gehen, und die Bürgerschaft beruhigen.


Ab.


BÜRGERMEISTER. Und ich will die Schützendeputation abfertigen. Das sag' ich dir! bringst du mir noch einmal einen solchen König ins Haus, so schick' ich dich auf die Spinnstube.


Ab.


FRAU STAAR. Alle Freude umsonst! ich sah schon die Ehrenwache vor unserer Tür; ich erzählte es schon meinem seligen Herrn im Grabe – und indessen sind meine Braten zu Kohlen verbrannt, du Rabenkind! Ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 428-430.
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