[458] Bürgermeister im brokatnen Schlafrock – Vorige.
BÜRGERMEISTER. Nun Klaus? man referiere den Zusammenhang der schrecklichen Begebenheit.
KLAUS. Ew. Gestrengen wissen doch, daß ich der Delinquentin alle Abend ein halbes Pfund Brot, und einen Krug Wasser aus dem Stadtgraben bringen mußte? nun, das geschah auch heute. Sie war lustig und guter Dinge. Die Handschellen saßen fest. Ihr gutes Bett von altem weichen Stroh war aufgeschüttelt. Ich wünsche ihr Glück zu ihrem morgenden Ehrentage, schließe zu, verriegle, gehe zu Bett. Vor einer Stunde stößt mich meine Frau mit dem spitzen Ellenbogen in die Seite und spricht: hör' einmal wie oben die Katzen lärmen. Was Katzen! ruf' ich bedenklich: denen ist längst verboten auf dem Rathause zu erscheinen, seitdem, zur höchsten Ungebühr, einst eine Katze den Stuhl des Herrn Bürgermeisters zum Wochenbette erkoren.
BÜRGERMEISTER. Nur weiter.
KLAUS. Ich horche – ich lausche – ich mutmaße – ich verwundre mich – das mag wohl so eine halbe Stunde gedauert haben –
BÜRGERMEISTER. Viel zu lange!
KLAUS. Endlich sammle ich meine Lebensgeister. Ich stehe auf, zünde mein Laternchen an, schleiche hinauf, riegle los, stecke den Kopf hinein – rührt mich der Schlag auf der Stelle! das Nest leer – der Vogel ausgeflogen!
BÜRGERMEISTER. Mit Satans Hülfe?
KLAUS. Wie sonst? Die Handschellen hat sie abgestreift, die Wand durchbrochen, ist in meine Schinkenkammer gestiegen,[458] hat einen Schinken und drei Würste aufgepackt, und fort ist sie!
BÜRGERMEISTER. Eine Hexe! sie muß verbrannt werden! ich mache einen Bericht an die Kammer – der Oberförster muß herrschaftliches Holz zum Scheiterhaufen liefern.
KLAUS. Ja wenn wir sie nur erst wieder hätten!
BÜRGERMEISTER. Verdammter Streich! Neun Jahre lang hab' ich es mir sauer werden lassen, zu der Höhe eines Stockwerks sind die Akten angewachsen, Mit Pathos. morgen erschien endlich der große Tag, an dem ich die Früchte meines Fleißes ernten sollte – schon harrt ganz Krähwinkel der feierlichen Stunde entgegen – schon winkt der Pranger zu Ehr' und Ruhm des Hochweisen Stadtrates – und siehe, zerplatzt sind meine stolzen Hoffnungen wie die Seifenblasen der Gassenbuben!
KLAUS. Meine Reputation! meine Sporteln! mein Schinken!
BÜRGERMEISTER. Ist denn keine Spur zu entdecken, ob vielleicht eine verruchte Hand zu der Flucht beförderlich gewesen?
KLAUS. Der Satan, sonst keine Christenseele. Das Weib ist im letzten Kriege als Marketenderin mit in Lothringen gewesen, da hat sie den Teufel kennenlernen. Eine abgefeimte Kreatur! Die Worte wußte sie zu setzen wie eine Edelfrau, und lesen tat sie den ganzen Tag. Ein paar Bücher lagen auch noch auf dem Tische, und ein schmutziger Zettel. Ich kann nicht lesen.
BÜRGERMEISTER. Her mit dem Zettel! Er liest beim Licht der Laterne. »Ein Hochweiser Rat wird verzeihen, daß ich ihm den morgenden Spaß verderbe –« Spaß? es war nichts weniger als Spaß.
KLAUS. Hätten wir dich nur wieder! wir wollten dich bespaßen.
BÜRGERMEISTER liest. »Die Zeit wurde mir endlich gar zu lang. Ich hatte Lust frische Luft zu schöpfen –« Hätte sie denn nicht warten können, bis sie am Pranger stand?
KLAUS. Undankbares Mensch! Neun Jahr ist sie gefüttert worden.
BÜRGERMEISTER liest. »Dem Herrn Vizekirchenvorsteher verdank' ich meine Befreiung« – Wie! was! mein Bruder? ist er rasend?
KLAUS. Gott sei Dank, so halten wir uns an den.
BÜRGERMEISTER liest. »Er hat die Güte gehabt, mir manch schönes Buch aus seiner Lesebibliothek zu leihen« – Das[459] hat ihm der Teufel geheißen! – Liest. »unter andern Trenks Leben und Flucht aus dem Gefängnisse.« – ich wollte er säße selbst darin! – Liest. »Aus diesem Buche hab' ich gelernt, durch Mut, Geduld und Geschicklichkeit meine Flucht vorzubereiten. Der Augenblick ist gekommen – ich fliehe! –«
KLAUS. Das ist nicht wahr, sie ist schon fort.
BÜRGERMEISTER liest. »Dem gestrengen Herrn Bürgermeister danke ich für sein verschimmeltes Brot –« – Dummer Schnack! ich soll ihr wohl Kuchen schicken? – Liest. »dem Herrn Ratsdiener Klaus für sein schlammichtes Wasser –«
KLAUS. Es ist erlogen! der Stadtgraben hat unterirdische Quellen.
BÜRGERMEISTER liest. »Sämtlichen Einwohnern von Krähwinkel empfehle ich mein Andenken. Ich bereue von Herzen, vor neun Jahren die Kuh gestohlen zu haben, denn sie war sehr mager.«
KLAUS. Der Umstand ist richtig.
BÜRGERMEISTER liest. »Der Himmel segne dafür den Herrn Bürgermeister mit Fett, und lasse ihm auch den morgenden Festbraten gedeihen. Eva Schnurrwinkel.« – O du vermaledeite Eva!
KLAUS. Du Schlange!
BÜRGERMEISTER. Du Basilisk! Wie werden nun die Rummelsburger frohlocken! meine Ehre! der Ruhm der Stadt Krähwinkel! Alles verloren! – Hört Klaus! wißt Ihr keinen unter unserer getreuen Bürgerschaft, der aus Patriotismus, und um der Ehre willen – man könnt' ihm ja eine Larve vorbinden.
KLAUS. Es tuts keiner, gestrenger Herr Bürgermeister. Zusehen wollen sie alle; aber wenn einer selber hintreten soll, zum Wohl des Staats, ja, da ist niemand zu Hause.
BÜRGERMEISTER. Wehe! wehe! – und – mein Bruder! mein verdammter Bruder! der schläft quasi re bene gesta. Er trommelt an des Bruders Haus. Heda da! holla! heda!
HERR STAAR am Fenster. Tausend Sapperment! wer klopft so spät? Packt Euch fort! ich verkaufe nach zehn Uhr keinen Kaffee mehr. Schlägt das Fenster zu.
BÜRGERMEISTER. Nun höre mir einer den Maulaffen! ich, Bürgermeister auch Oberältester, komme zum Gewürzkrämer um ein Lot Kaffee, Klopft wieder. heda! holla!
HERR STAAR am Fenster. Wenn Ihr nicht bald geht, so lass' ich die Polizei aus dem ersten Schlafe wecken.[460]
BÜRGERMEISTER. Sei der Herr Bruder nur selber froh, wenn sie fortschläft.
HERR STAAR. Sieh da! ists der Herr Bruder? was bringt denn der so spät?
BÜRGERMEISTER. Eine Hiobspost. Komme der Herr Bruder nur herunter.
HERR STAAR. Ei, ei, es brennt doch nicht?
BÜRGERMEISTER. Wollte Gott die halbe Stadt wäre lieber abgebrannt, und des Herrn Bruders Haus vor allen.
HERR STAAR. Behüte der Himmel! Ich komme schon.
Er macht das Fenster zu.
BÜRGERMEISTER. Komm nur, komm nur. Eine ehrsame Bürgerschaft hat sich auf den morgenden Tag so gefreut; haben sich neue Röcke machen lassen und fette Schweine geschlachtet. Wenn sie hören, daß durch seine Schuld nichts passiert, so sind sie kapabel ihm das Haus zu stürmen, und seine ganze Lesebibliothek an den Pranger zu nageln.
KLAUS. Desto besser. Sie besteht so aus lauter Raubgesindel.
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