Der Delphin und der Affe

[74] Es war der Griechen Art und Weise,

Wenn uns nicht täuscht die alte Kunde,

Daß sie auf jede Meeresreise

Mitnahmen Affen und Gauklerhunde.

Einst stieß ein so gerüstetes Schiff

Nicht weit von Athen auf ein Felsenriff.

Es wäre alles umgekommen,

Wenn nicht Delphine mitgeschwommen.

Die sind uns Menschen sehr gewogen,

Sofern uns Plinius nicht belogen.

Sie retteten alle nach Möglichkeit.

Selbst einem der Affen, der Hilfe schreit,

Hat ein Delphin, den er betrogen

Durch seine Menschenähnlichkeit,

Den sichern Rücken hingebogen.

Der Aff stieg auf voll Ernst und Würde,

War wie Arion anzusehn.

Wie der Delphin nun seine Bürde

Gen Land trug, fragte er den Affen:

»Ihr seid wohl einer aus Athen?«

»Ja,« sagte der, »man kennt mich gut.

Habt Ihr dort einmal was zu schaffen,

Kommt nur zu mir. In Ansehn stehn

Wir dort, in unsern Händen ruht

Manch hohes Amt seit manchem Jahr,

Mein Vetter ist oberster Richter sogar.«

Da sagte Dank das Tier der Flut.

»So werdet Ihr auch hin und wieder,

Den herrlichen Piräus sehn?«

»Mein bester Freund ist der! So bieder

Wie er ist keiner in Athen.«[75]

Der Affe hatte, unwissend genug,

Den Namen, den der Hafen trug,

Für eines Menschen Namen genommen

Und schwatzte, wie es manchen gibt,

Der dreist von allem zu reden liebt,

Was er noch nie zu sehn bekommen.

Doch der Delphin erhob den Kopf,

Betrachtete sich den albernen Tropf

Und sah nun, daß er aus den Wogen

Nichts als ein Vieh herausgezogen.

Schnell warf er's ab und suchte umher,

Ob nicht noch ein Mensch zu retten wär.

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 74-76.
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