Sechste Szene.


[163] Obrist Köller erscheint oben durch die Glastür. Die Vorigen – später die Pagen.


STRUENSEE. Was bedeutet der Trommelwirbel, Obrist von Köller?

KÖLLER aufgeregt. Die Truppen des Schlosses werden unters Gewehr gerufen, weil Ihre Majestät die Königin beleidigt worden und in vollem Rosseslaufe vor aufrührerischen Volkshaufen in den Schloßhof geflüchtet ist.

KÖNIG hastig aufstehend.

STRUENSEE. Die Königin?

RANZAU. Beleidigt?

GULDBERG. Geflüchtet?

KÖNIG. Die Königin beleidigt? Wehe dem, der's tat!

GULDBERG. Und dem, der es veranlaßte!

STRUENSEE. Sie ist unverletzt?

GULDBERG. Nein, ihr Ansehn ist verletzt.

STRUENSEE. Zu ihr! Und das fliegende Korps soll zu Pferde steigen, Obrist, die Frevler zu greifen. Will gehen.

KÖNIG. Halt da! Erzählt, Obrist!

KÖLLER. Als Ihre Majestät vor uns durch die Straßen ritt, zeigten sich schon überall trotzige Gruppen der Kopenhagener, die[163] träg und widerwillig oder gar nicht grüßten. An der Zollbude draußen aber lärmte der zahlreichste Haufe, und als Ihre Majestät an der abschüssigen Stelle, die auf den gefrornen Sund hinabführt, ihr Pferd in Schritt setzte, trat ein verwegener Kerl aus dem Haufen, griff in die Zügel und rief Ihrer Majestät achtungslos eine Rede zu, die wir im Gefolge nicht verstehen konnten, da die Königin uns ein wenig vorgeeilt war. Aber das zustimmende Geschrei des Haufens ließ uns keinen Zweifel über die Bedeutung der Worte, es waren Schmähworte gegen die Königin und –

STRUENSEE. Und Ihr rittet die Frevler mit Euren Rossen zu Boden?!

KÖNIG. Still! Und –?

KÖLLER. Und Schmähworte gegen Graf Struensee, den »Doktorgrafen«, wie der Haufe ihn nannte. Ehe wir noch einsprengen konnten, hatte die Königin mit ihrer Reitgerte auf den verwegenen Kerl geschlagen, die Zügel befreit und das Pferd gewendet, sie war zornesrot, und ihr rasches Umkehren und Zurücksprengen verhinderte uns, den Aufrührern eine Lektion zu geben. Das Roß der Königin setzte mitten unter uns hinein und verwirrte das Gefolge, sogar die Falkeniere kamen dergestalt ins Gedränge, daß mehrere die Falken fahren ließen, und über Kopenhagen kreisen jetzt ziellos die Jagdvögel. In vollem Galopp und in Unordnung sprengte alles nach der Christiansburg zurück.

KÖNIG. Und die Königin?

STRUENSEE. Die Königin?

KÖLLER. Sie war totenbleich geworden und sank unten im Hofe ohnmächtig der Gräfin Gallen in die Arme! Die Pagen erscheinen – Struensee, der bei den letzten Worten bis an den Bogen geeilt ist, bleibt stehn, und als die Königin gestützt auf die Gräfin Gallen oben erscheint, ruft.

STRUENSEE. Die Königin kommt! Sie lebt!


Allgemeine Stille.


KÖNIG einige Schritte ihr entgegeneilend und sie mit der Hand grüßend, bleibt stehn und sagt. Sie lebt trotz Struensee! – Struensee hat zu verantworten, was ihr begegnet ist.


Vorhang fällt.

Das Orchester spielt nur einige Takte in langen, starken Strichen, und der Vorhang erhebt sich wieder.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 24, Leipzig 1908–09, S. 163-164.
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