Zweite Szene.


[165] Ranzau. Köller. Guldberg.


GULDBERG ihm nachsehend. Und nun sage man noch, es fehle dem Grafen die nötige Herzhaftigkeit! Er kann schwärmen, während der Thron in Gefahr ist. Das ist doch ein echter deutscher Landsmann, Herr Graf!

RANZAU. Die Königin-Witwe scheint recht zu haben mit ihrer leisen Anklage.

KÖLLER. Er liebt die Königin!

GULDBERG. St! Herr von Köller, wenn das der König hörte!

KÖLLER. Er hört es nicht, auch wenn man's vor ihm ausspricht.

GULDBERG. Ihr seid im Irrtum! Die traurige Krankheit unsers königlichen Herrn ist nicht zu berechnen. Zuweilen ist sein Kopfschmerz so anhaltend und betäubend, daß stundenlang alles spurlos über ihn hinzieht, und daß er nichts vernimmt als zusammenhangslose Worte. Aber kein Mensch kann vorhersagen, wie stark oder wie lange der Druck auf sein Haupt und auf die Verständniskräfte dauern werde, plötzlich und unversehens hebt sich die schwere Wolke von seinem Hirn, plötzlich und unversehens versteht er alles, selbst die feinste Beziehung, und er ist dann auf einmal der klar bestimmende Herr mitten unter uns. Denn sein Geist ist nicht gestört, sondern nur gebannt. Sein Geist scheint im Gegenteile unter der erzwungenen Ruhe all seine Kräfte eng zusammenzuhalten, denn in den Augenblicken der Freiheit ist er mächtig und königlich. Und eins, meine Herren, ist besonders wunderbar, und ich mache Euch Eurer Zu Köller. Äußerung wegen darauf aufmerksam: Zwei Namen sind's, die stets befreiend auf ihn wirken, es sind die Namen der Königin Mathilde und – Struensees. Was Ihr in Gegenwart des Königs von diesen zwei Personen sagt, das erwäget wohl, denn das müßt Ihr vor dem Könige gründlich verantworten.

KÖLLER. Nun, ich habe nichts zu sagen, wenn mich Struensee zum General macht.

RANZAU. Das tut er nicht.

KÖLLER. Wie?

RANZAU. Er hat mir's dergestalt abgeschlagen, daß Ihr hoffnungslos darauf verzichten mögt, solange Struensee am Ruder ist –[166]

KÖLLER. Struensee?!

GULDBERG. Das kann ein langer Verzicht sein, denn Struensee ist 35 Jahre alt!

KÖLLER. Der Emporkömmling!

RANZAU zu Guldberg. Und Ihr meint, er sei auf Lebenszeit am Ruder?

GULDBERG. Er war und ist Leibarzt des Königs. Kann er den König heilen, so hält ihn die Dankbarkeit des Königs, kann er ihn nicht heilen, so bleibt er als Arzt des Königs unentbehrlich.

RANZAU. Guldberg! Ihr seid ein kluger Mann, und Ihr seid unzufrieden wie wir, unzufriedener als wir mit dem Treiben Struensees –

GULDBERG. Ich wüßte nicht, daß ich dies jemals geäußert hätte!

RANZAU. Ihr werdet uns die Hand bieten, wenn es gilt, Hand ans Werk zu legen.

KÖLLER. Der freche Doktor muß gestürzt werden!

GULDBERG. Er brauchte aber nicht gestürzt zu werden, wenn er Euch zum General machte! Und kann er nicht morgen tun, was er heute verweigert hat?

RANZAU. Seid unbesorgt, das tut er nicht, er ist prinzipientoll, und Obrist von Köller findet seinen Generalsstab sichrer, wenn er sein Regiment für uns kommandiert.

KÖLLER. Das werd' ich.

RANZAU. Zögert nicht, Guldberg! Der entscheidende Augenblick naht mit reißender Schnelle. Der Aufruhr schreitet unaufgehalten, in der nächsten Minute kann er an die Pforten dieses Schlosses donnern. Diese Pforten sind bewacht durch Köllers Regiment, und Struensee, offenbar von einer heftigen Leidenschaft geblendet, versäumt jegliche Vorkehrung, es gilt rasches Handeln, und ehe die Sonne untergeht, kann alles vollbracht sein. Wenn der König die Unmacht Struensees gegen den Aufruhr erkennt, wenn er von uns und von Euch besonders hört, daß der Aufruhr nur Struensee gelte, wenn er sieht, daß wir den Aufruhr bannen, sobald der König die Macht in unsre Hände lege – dann, Guldberg, ist Struensee gestürzt! Schlagt ein!

GULDBERG. Dann wird Struensee vielleicht gestürzt, denn ein Auflauf in Kopenhagen ist noch weit entfernt von einem Sturme auf die Christiansburg, und diese ist viel besser geschützt, als Ihr[167] glaubt – das Zeughaus ist mit Kanonen und Kartätschen gespickt, und der Kommandant des Zeughauses gehorcht ihm, das fliegende Korps ferner gehorcht ihm, und während er hier sorglos den Regungen seines Herzens nachgeht, hält sein Busenfreund Graf Brandt sicherlich alle Verteidigungsmittel in Bereitschaft –

KÖLLER. Keineswegs, Graf Brandt ist auf die Hetzjagd geritten und kehrt vor Abend nicht heim!

GULDBERG. Wißt Ihr das so gewiß? Wer in Kopenhagen steht ein für den durchtriebenen, furchtbar beweglichen Grafen Brandt, den rechten Arm Struensees! Er züchtet die verhaßten englischen Pferde, können seine schnellen Reiter ihn nicht längst unterrichtet und zu fliegender Rückkehr bewogen haben? Das weiß Struensee vortrefflich, und deshalb kümmert er sich nicht um Straßenlärm. Wenn Eure Absichten, hochgeborne Herrn, verlautbaren, so könnt Ihr trotz Aufruhr und Köllers Regiment gefangen und des Hochverrats angeklagt sein, noch eh' die Sonne untergeht.


Pause; Guldberg entfernt sich einige Schritte zur Seite.


RANZAU. Guldberg! Euer Widerstand zwingt mich, das auszusprechen, was ich am liebsten unberührt gelassen hätte zwischen uns: Ihr haßt die Deutschen!

GULDBERG. Wer sagt Euch das?!

RANZAU. Ihr zögert, den deutschen Struensee zu stürzen für andere Deutsche. Ich verarge Euch dies keineswegs, aber ich mache Euch aufmerksam, daß Ihr in solchem unterschiedslosen Hasse gegen die Deutschen Euer Ziel, nämlich eine rein dänische Regierung, nicht erreichen könnt. Alle kundigen Staatsmänner Dänemarks sind seit langer Zeit und sind jetzt Deutsche: Wenn Ihr die Bernstorff, Moltke, Reventlow, Schimmelmann, Holck von dänischer Regierung ausschließt, was wird aus Dänemark?! Begnügt Euch zunächst mit unserm guten Willen, das Dänische zu Ehren und zu innrer Bedeutung zu bringen. Ich für mein Teil mißbillige Struensees deutsche Neuerungen, ich mißbillige es, daß alle Regierungsschriften deutsch abgefaßt werden, daß der Däne sich in deutscher Sprache an seinen König wenden muß. Denn dies erbittert. Die Sprache einer Nation angreifen, heißt ihr Herz angreifen, und ich für mein Teil würde dies ändern.

GULDBERG. Ich danke Euch, ich danke Euch sehr, Herr Graf, für diese gute Absicht. Aber –[168]

KÖLLER. Noch ein Aber!

GULDBERG. O, mehr als eins! Herr Graf, so wie Ihr da den Dänen Hilfe versprecht, so habt Ihr einst Struensee Hilfe versprochen und geleistet bis – er Euch plötzlich nicht mehr gefiel.

RANZAU. Bis er seinen Ursprung verleugnete. Er macht den Schulmeister zum Herrscher, er schadet. Soll ich mein Roß nicht wieder einfangen, wenn ich sehe, daß es keine Schranke achtet und wild zerstört?

GULDBERG. Euer Roß?! Graf Ranzau, Ihr seid fremd worden in der Christiansburg, Ihr schätzt Struensees Macht viel zu gering. Wer ist hier neben uns nach dem Könige die wichtigste Person? Die Königin. Wer ist's nach der Königin an diesem zusammengeschmolzenen Hofe? Die Gräfin Gallen –

KÖLLER. Das ist richtig.

GULDBERG. Nun fragt jede einzeln um Struensee. Die Gräfin Gallen – liebt ihn.

KÖLLER. Ach, Possen!

GULDBERG. Sie wartet auf seine Hand, und wenn Struensee ihr seine Hand reicht, so ist er familienhaft fest gewurzelt an diesem Throne.

KÖLLER. Warum nicht gar!

GULDBERG. Die Königin ferner –

RANZAU. Nun?

GULDBERG. Ich weiß nicht, ob es respektwidrig ist, zu sagen, daß – die Königin leichtlich wie ihre erste Hofdame empfinden könnte –

RANZAU. Wahrhaftig?

GULDBERG. Ich sage es deshalb nicht, aber ich versichre Euch, sie würde Struensee bis aufs äußerste verteidigen.

RANZAU. Und was würde der König zu solcher Verteidigung sagen?

GULDBERG. Ganz recht, Herr Graf, es liegen hier Elemente zu einem Kampfe und einer Katastrophe, aber –

RANZAU. Nun?

KÖLLER. Ein Pistolenschuß endigt alle diese Aber.

GULDBERG zu Köller. Dies ist ganz logisch –

RANZAU. Nun, Guldberg, Euer letztes Aber –

GULDBERG. Das ist schwer zu entwickeln. Es ist ein Naturgeheimnis.[169] Ich beobachte es täglich, aber enträtseln kann ich's nicht. Struensee mit seinem unerträglich hochmütigen Lächeln nennt es Naturzauber. Soviel ist gewiß: er übt eine körperliche Zaubermacht aus über den König, des Königs Wesen verwandelt sich, sobald Struensee zu ihm tritt. Deshalb, meine Herren, wenn euch alles gelungen ist zu Struensees Verderben, wenn alles bereit ist zum Todesstreiche, so tritt dieser deutsche Doktor zum Könige, und all eure Vorbereitungen sind nichtig, und ihr selbst seid verloren. – Pause. Und deshalb warn' ich euch, statt zu euch zu treten!

RANZAU. Still, die Tür öffnet sich, der König kommt zurück – Vetter, geht und versichert Euch Eurer Truppen und der Nachrichten über Brandt. Guldberg ist zaghaft geworden –

GULDBERG. Meint Ihr?

RANZAU ohne sich zu unterbrechen. Und versäumt den Augenblick. Die schwärmerische Neigung Struensees zur Königin ist der Feuerbrand, dessen wir bedürfen, um ein mit Pulver angefülltes Günstlingshaus in die Luft zu sprengen! Ich kenne den König. Er liebt Caroline Mathilde; er hat ein königliches Herz; eine Untreue der Königin würde er verstehen und strafen, lägen noch so schwere Gewitter auf seinem Haupte, ja säße der Tod auf seiner Zunge – mit einer Handbewegung würde er den frechen Günstling ins Verderben schleudern!

GULDBERG. Still, der König! Sie wenden sich und verbeugen sich vor dem Könige.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 24, Leipzig 1908–09, S. 165-170.
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