14. Gemeineidgnössisches Lied

[78] Treue, liebe Eidsgenossen,

Aus der Helden Blut entsprossen!

Singt! und uns'rer Lieder Schall

Ströme, wie ein Wasserfall

Von den hohen Felsen nieder!

Felsen, Thäler hallet wieder!

Wer von alter Treue glüht,

Sing mit uns ein Schweizerlied!


Heilig, Brüder, sey die Stätte,

Wo die Väter um die Wette

Stritten und im Feur der Schlacht

Sich und Enkel frey gemacht!

Heil euch, Schwerdter tapf'rer Ahnen,

Heil euch, theurerworbne Fahnen!

Wer nur Freyheit fühlen kann,

Sieht euch ohne Schaur nicht an!


Hier, auf diesem Boden standen,

Die zur Freyheit sich verbanden,

Hier, hier flammt' ihr Heldenmuth,

Floß ihr, floß der Feinde Blut!

Blutgedüngter Boden zittre,

Daß sich Leib und Seel' erschüttre!

Rufe, Blut, vom Schlachtfeld: »Sey

Ewig, Schweizer, stark und frey«!
[78]

Brüder, werft euch auf die Kniee!

Dankt dem Himmel späth und frühe,

Dessen treue Vaterhand

Herz und Herz zusammenband!

Alte Eintracht, erste Liebe,

Feuer brüderlicher Triebe,

Löscht nicht mit der Jahre Lauf!

Lebt im Enkelbusen auf!


Jeder Staat soll allen Staaten

Gutes wünschen, Gutes rathen,

Jeder von dem Neide rein,

Alle nur ein Herze seyn,

Welche Freude! welch Entzükken,

Tausend Brüder zu erblikken!

O! wie lieblich ist's und schön,

Daß für einen alle stehn!


Friede soll in unsren Gränzen

Lang wie Eisgebürge glänzen!

Eh' auf jeder Alpenhöh,

Ferner Jahre tiefer Schnee,

(Unsers Bundes Zeuge) schmelzen,

Sich durch Monarchien wälzen,

Ehe sich durch Zank und Streit,

Brüder, unser Herz entzweyt.


Wenn Europens Völker kriegen,

Singen wir von alten Siegen,

Sehen im Gefühl der Ruh

Ihren Blutgefechten zu.

Weiden selbsterzogne Heerden,

Pflügen sicher eigne Erden,

Essen froh nach altem Schroot.

Käse, Milch und Roggenbrod.
[79]

Einfalt, Einfalt laßt uns lieben,

Friedlich uns in Waffen üben!

Unser Herz und unser Arm

Bleibe für die Freyheit warm!

Schweizer! Weichlinge verachten,

Nach der Väter Stärke schmachten!

Weh, wenn Wollust, Stolz und Pracht

Aus uns Freyen Sclaven macht!


Auch das Gold in Königshänden

Soll kein Schweizerauge blenden,

Soll uns seyn wie Wind und Rauch:

Goldne Fesseln fesseln auch!

Nein, nach Schmeicheley der Fürsten

Soll kein freyer Schweizer dürsten!

Demuth bleibe unser Ruhm,

Freyheit Schweizereigenthum!


Fremder Fürsten Feinde schlagen,

Feil sein Blut und Leben tragen,

Schweizer, das ist Raserey!

Das ist Knechtschafft! bleibet frey!

Sucht bey keinem fremden Heere,

Sucht nur in der Freyheit Ehre,

Stärke in der Eintracht nur,

Lieblingssöhne der Natur!


Treue, lieb Eidsgenossen,

Hand in Hand, ihr Heldensprossen,

Singt, und unsrer Lieder Schall

Töne mächtig überall!

Hallt ihr täglich, unsre Lieder

Von Kanton zu Kanton wieder!

Wer von alter Treue glüht,

Schweizer, sing diß Schweizerlied!


Quelle:
Johann Kaspar Lavater: Ausgewählte Werke. Band 1, Zürich 1943, S. 78-80.
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