Dritter Auftritt

[1567] Guido. Julius.


GUIDO. Julius, kannst du die Tränen eines Vaters ertragen? ich kann's nicht.

JULIUS. Ach, Bruder, wie könnt ich!

GUIDO. Meine ganze Seele ist aus ihrer Fassung, ich möchte mir das Gewühl einer Schlacht wünschen, um wieder zu mir selbst zu kommen. – Und das kann eine Träne? Ach was ist der Mut für ein wunderbares Ding! Fast möcht ich sagen, keine Stärke der Seele, bloß Bekanntschaft mit einem Gegenstande – und wenn das ist, ich bitte dich, was hat der Held, den eine Träne außer sich bringt, an innrer Würde vor dem Weibe voraus, das vor einer Spinne auffährt!

JULIUS. Bruder, wie sehr gefällt mir dieser dein Ton!

GUIDO. Mir nicht, wie kann mir meine Schwäche gefallen! Ich fühle, daß ich nicht Guido bin. Wahrhaftig, ich zittre – o wenn das ist, so werd ich bald auf die rechte Spur kommen! – ich hab ein Fieber.

JULIUS. Seltsam – daß sich ein Mensch schämt, daß sein Temperament stärker ist, als seine Grundsätze.

GUIDO. Laß uns nicht weiter davon reden! – meine itzige Laune könnte darüber verfliegen, und ich will sie nutzen, man muß gewisse Entschlüsse in diesem Augenblick ausführen, aus Furcht, sie möchten uns in den künftigen gereuen. Du weißt es, Bruder, ich liebe Blankan, und habe meine Ehre zum Pfande gegeben, daß ich sie besitzen wollte. – Aber diese Tränen machen mich wankend.

JULIUS. Du setzest mich in Erstaunen.

GUIDO. Ich glaube meiner Ehre genuggetan zu haben, wenn sie niemand anders besitzt, wenn sie bleibt, was sie ist – denn wer kann auf den Himmel eifersüchtig sein? Aber du siehst, wenn ich meine Ansprüche aufgebe, so mußt du auch die deinigen mit allen den Entwürfen, sie jemals in Freiheit zu setzen, aufgeben. – Laß uns das tun, und wieder Brüder und Söhne sein! – Wie wird sich unser Vater freuen, wenn er uns beide zu gleicher Zeit am Ziel sieht, wenn wir beide aus dem Kampfe miteinander als Sieger zurückkommen, und keiner überwunden: – und noch heute muß das geschehn, heut an seinem Geburtstage.

JULIUS. Ach Guido![1567]

GUIDO. Eine entscheidende Antwort!

JULIUS. Ich kann nicht.

GUIDO. Du willst nicht? so kann ich auch nicht. Aber von nun an bin ich unschuldig an diesen väterlichen Tränen, ich schwör es, ich bin unschuldig. Auch ich bekäme meinen Anteil davon, sagt er. – Siehe, ich wälze ihn hiemit auf dich. Dein ist die ganze Erbschaft von Tränen und Flüchen!

JULIUS. Du bist ungerecht – glaubst du denn, daß sich eine Leidenschaft so leicht ablegen lasse, wie eine Grille, und daß man die Liebe an- und ausziehen könne, wie einen Harnisch? – Ob ich will – ob ich will – wer liebt, will lieben und weiter nichts. – Liebe ist die große Feder in dieser Maschine; und hast du je eine so widersinnig künstliche Maschine gesehn, die selbst ein Rad treibt, um sich zu zerstören, und doch noch eine Maschine bleibt?

GUIDO. Ungemein fein, ungemein gründlich; – aber unser armer Vater wird sterben!

JULIUS. Wenn das geschieht, so bist du sein Mörder! – Deine Eifersucht wird ihn töten, und hast du nicht eben gesagt, du könntest deine Ansprüche aufgeben, wenn du wolltest – heißt das nicht gestehn, daß du sie nicht liebst, und doch bleibst du halsstarrig? Dein Aufgeben wär nicht Tugend gewesen, aber dein Beharren ist Laster!

GUIDO. Bravo! bravo! das war unerwartet.

JULIUS. Und was meinst du denn?

GUIDO. Ich will mich erst ausfreuen, daß die Weisheit ebenso eine schlanke geschmeidige Nymphe ist, als die Gerechtigkeit, ebensogut ihre Fälle für einen guten Freund hat. Ich könnte meine Ansprüche aufgeben, wenn ich wollte? – Wenn die Ehre will! – Das ist die Feder in meiner Maschine – Du kannst nichts tun, ohne die Liebe zu fragen, ich nichts ohne die Ehre: – wir können also beide für uns selbst nichts, das, denke ich, ist doch wohl ein Fall.

JULIUS. Hat man je etwas so Unbilliges gehört, die erste Triebfeder der menschlichen Natur mit der Grille einiger Toren zu vergleichen!

GUIDO. Einiger Toren? – Du rasest! – Ich verachte dich, wie tief stehst du unter mir! Ich halte meine Rührung durch Tränen für Schwachheit – aber zu diesem Grade meiner Schwachheit ist deine Tugend noch nicht einmal gestiegen.

JULIUS. Es ist immer dein Fehler gewesen, über Empfindungen zu urteilen, die du nicht kennst.[1568]

GUIDO. Und dabei immer ums dritte Wort von Tugend zu schwatzen! – ich glaube, wenn du nun am Ziel deiner Wünsche bist, und deinen Vater auf der Bahre siehst, so wirst du anstatt nach getaner Arbeit zu rasten, noch die Leichenträger unterrichten, was Tugend sei, oder was sie nicht sei. –

JULIUS. Wie habe ich mich geirrt! Bist du nicht schon wieder in deinem gewöhnlichen Tone?

GUIDO. Siehe, du hoffest auf seinen Tod, kannst du das leugnen? glaubst du, daß ich es nicht sehe, daß du alsdenn das Mädchen aus dem Kloster entführen willst? – Es ist wahr, alsdann bist du Fürst von Tarent, und ich bin nichts – als ein Mann. – Aber dein zartes Gehirnchen könnte zerreißen, wenn du das alles lebhaft dächtest, was ein Mann kann. – Gott sei Dank, es gibt Schwerter, und ich hab einen Arm – einen Arm, der noch allenfalls ein Mädchen aus den weichen Armen eines Zärtlings reißen kann! – ruhig sollst du sie nicht besitzen, ich will einen Bund mit dem Geiste unsers Vaters machen, der an deinem Bette winseln wird.

JULIUS. Ich mag sowenig, als unser Vater, von dir im Affekt hören, was du tun willst. Ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1567-1569.
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