Zwei Troubadours

[841] »Wir ziehn zu Fuß in freudenloser Irre;

Die schönen Zelter sind entschwundne Träume,

Die weichen Sättel und die Prachtgeschirre,

Die Silberschellen und vergoldten Zäume.


Die frohen Tage sind für uns verloren.

Im freien Feld, in kühler Waldesnacht,

Wenn reitend wir ein neues Lied erdacht,

Wie gaben wir vergnügt dem Roß die Sporen!

Wenn sonst nach einer Burg die Sänger zogen,

Wie gastlich war und jubelnd der Empfang,

Wie rasch die Pforte aus dem Riegel sprang;

Den Sängern war ein jedes Herz gewogen.

Wie dort die edlen Ritter, holde Damen

Jed Wörtlein lauschend in die Seele nahmen!

Willkommner ist der Frühling nicht im Tale,

Als einst der Sänger im geschmückten Saale.


Das ist vorbei und wird nicht wiederkehren.

Nun rauscht die bange Welt von Kriegesheeren;

Die Pfeile finden jetzt den Weg zum Herzen,

Die Lieder nicht, mit Lust und süßen Schmerzen.

O schöne Zeit, die wir verloren haben!

O trübe Zeit, die den Gesang begraben![841]


Wenn sonst auch war ein wilder Streit entzündet,

War doch dem Leid die Freude stets verbündet;

Da tobte minder grimmig das Gefecht

Um ein Stück Land, um ein gekränktes Recht.

Da mochte noch in seinem Lagerzelte,

Als Not ihn und die Kampfgenossen quälte,

Der Troubadour von seiner Dame singen;

Vergessen ward der Hunger wie der Zorn,

Denn also lieblich ließ Bertrand de Born

Im Lied die Reize seiner Dame klingen,

Daß Sehnsucht süß in aller Brust erwachte

Und jeder träumerisch der Fernen dachte.


Nun aber ists ein Krieg um Himmel, Hölle;

Den ewigen Mächten ist sein Dienst geweiht,

Und fühllos tritt er, wie die Ewigkeit,

Der Leichen starres, blutiges Gerölle.


Der Krieg wird nicht beruhigt und versöhnt,

Wenn er das Land ersiegt, die Burgen bricht;

Und wenn der letzte Feind im Tode stöhnt

Und stille senkt das bleiche Angesicht,

So ist kein Friedensschimmer sein Erbleichen,

Wie Mondenlicht nach Sturm und Wetterstreichen.

Mag jeder Stein vom Tritt des Krieges beben,

Noch immer ist es nicht das rechte Land,

Die rechte Burg nicht, die er überwand,

Und nicht der rechte Tod, den er gegeben.


Was soll ein Minnelied bei Rachechören?

Wer mag in solchem Sturm den Sänger hören?

Die Vögel schweigen, wenn die Bäume krachen,

Die Nachtigall ist fremd im Lenz der Drachen.


Sie freveln hart; ich soll es weich beweinen?

Vielleicht mit einem Streitgedicht erscheinen?[842]

Ha! lieber soll mein Schwert in Schlachten singen,

Als je mein Lied mit rohen Knechten ringen.


Ich lasse ruhen hier an diesem Ast

Mein Saitenspiel, den sonst so werten Gast;

Und wird fortan der Wind die Saiten rühren,

Wird niemand doch den neuen Meister spüren,

Wenn eilig Wandrer ziehn vorüber hier,

Das Herz voll Unglück oder Kampfbegier.


Ins Lager fort des Grafen von Toulouse!

Nicht taug ich zum Gemahl in diesen Tagen

Für eine königliche Frau, die Muse;

Sie soll mir nicht den Bettlerbündel tragen.


Komm, folge mir und sei mein Kampfgefährte!

Wir wollen dort den Feinden unsrer Lieder

Eindringlich ins Gesicht und in die Glieder

Gewaltge Reime schlagen mit dem Schwerte.«


Doch andern Sinns, antwortet der Genosse:

»Ich sehne mich nach keinem Edelrosse,

Nach Prachtgeschirren nicht noch Prunkgewanden,

Was ich bedarf, ist wenig und zuhanden.


Ich schände nicht mein Herz mit wildem Hasse;

Dem Unglück bringt, wenn nur für Augenblicke,

Ein Lied des Friedens Traum; und ich verlasse

Die Muse nicht in ihrem Mißgeschicke.


Ich will den armen Menschen Lieder singen

Und Wohlklang in gestörte Seelen bringen;

Von tapfern Taten sing ich dem Bedrohten,

Und dem Betrübten lob ich seine Toten.

Ziehst du dein Schwert zum unheilvollen Streite,

War dies mein letzter Schritt an deiner Seite.«[843]

Und wieder spricht der kriegerisch Entbrannte:

»Die Zeit ist hin, die Harf und Herz bespannte;

Wo willst du singen, Ruhm und Lieb erwerben?

Nur einen Schluck vom Trank der edlen Trauben?

Die einen morden und die andern sterben,

Die einen betteln und die andern rauben;

So singe denn, dir ist die Wahl geboten,

Vor Bettlern, Mördern, Räubern oder Toten.

Sie haben Ruh zu wenig und zu viel,

Um aufzuhorchen deinem Saitenspiel.


Von Burg und Hütte wird man fort dich fluchen,

Und Herberg wirst du in den Wäldern suchen.

So hungre denn im Grünen und beneide

Singvögelein, die reichversorgten Gäste,

Und hol dir ihre Eier aus dem Neste,

Schling künftgen Waldgesang ins Eingeweide!

Nebst Hunger wird dich dann noch Zweifel plagen,

Wer wohl von beiden mehr beneidenswert:

Der Sänger, der am Ast den Wurm verzehrt?

Der Sänger, den im Grab die Würmer nagen?


Fahr wohl! Wenn doch einmal in frohem Zelt

Die alte Lust zu singen mich befällt,

Wenn ich nach guter Schlacht, beim Becherklang,

Zur Kurzweil schallen lasse Spottgesang

Und einen feigen Burschen Glied für Glied

Zusammenblas in meinem scharfen Lied

Und durch ihn geißle mit belachten Schwänken:

Dann will ich deiner Zug für Zug gedenken!«


Mehr schallt kein Wort; doch klirren ihre Degen,

Fern tönt der Wald von ihren harten Schlägen.

Die Sänger reimen gut mit ihren Klingen,

Für jede Wunde, die den einen traf,

Muß neu hervor das Blut des andern springen,[844]

Und beide sinken in den gleichen Schlaf,

Beim sanften Rieseln ihrer Purpurquellen,

Wo, weiches Moos, die Sterbekissen schwellen.

Sie liegen tot in tiefen Waldesgründen;

So leicht kann Unmut wilden Streit entzünden.


Wie manches Lied in ihrem Herzen ruhte,

Ob sichs verliert im Moos mit ihrem Blute,

Ob es verkläng an sturmbetäubten Ohren,

Gleichviel, es wäre immerhin verloren.


Am Baume liegen ihre Harfen beide,

Bis sie vermorschen einsam und verwittern;

Im Windeshauch die Saiten leise zittern,

Und flatternd spielt das Band von bunter Seide.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 841-845.
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Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe / Versepen 2. Savonarola, Die Albigenser, Don Juan, Helena

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