Roger, Vicomte von Beziers

[859] Roger, der junge Held, im Kerkerturm;

Kein Blitz so scharf, daß er die Nacht durchdränge,

So heftig tobt auf Erden nie ein Sturm,

Daß nur ein Laut davon hinunter klänge.

Verlöre jetzt die Sonne ihren Schimmer,

Dem Glühwurm gleich, der sterbend sich verdunkelt,

Wie von Beziers die letzte Kohle funkelt

Und Asche wird beim letzten Sterbgewimmer,

Roger erführe das in seiner Gruft

Nur am Erkalten seiner Kerkerluft;

Die Nacht in diesen festen Quaderschichten

Kann sich zu tiefrer Schwärze nicht verdichten.


Fiel je auf diesen Fleck der Sonne Schein?

Der moderfeuchte hat es längst vergessen;

Hier mag Roger, wie viel an Land noch sein,

Im steten Hin- und Widergange messen.


Sein Lebensglück ist ihm verweht zur Sage,

Die er sich selbst erzählt; sie klingt so traurig!

Ihm ist der helle Strom der Jugendtage[859]

Gestockt zu einem Sumpfe, schwarz und schaurig.

O Fürstenglanz! wie bald bist du verblichen!

O Waffenglück! wie treulos du gewichen!


Verraten und gefangen mußt er werden

Von Simon, dem Verhaßtesten auf Erden.

Mit Ritterwort ward Freigeleit gelobet,

Dem Ketzer wird die Treue nicht erprobet. –

Um Frieden wollt er dingen für die Seinen,

Die nun verwaist um ihren Retter weinen;

Sie flohn aus Carcassonne still und sacht

Durch ein geheimes Pförtlein in der Nacht.


Aufs Halmenlager wirft Roger sich hin

Und läßt Vergangenheit vorüberziehn.

Vorüberträumt an seinem Gram und Zorne

Sein Jugendglück: wie er zur Morgenstunde

Die Sonne aufgeweckt mit seinem Horne,

Den Jägertroß und die erfreuten Hunde.

Wie sie lustlärmend durch die Wälder eilten

Und wacker Hirsch' und Rehlein niederpfeilten;

Frisch auf! Ha! Ho! die starken Keuler brechen;

Er schwingt den breiten Spieß zum Bärenstechen;

Wie dann beim frohen Mahl die Becher klangen

Und Troubadours das Lied der Liebe sangen.


Wohl bitter ists, in Kerkerfinsternissen

Den Sonnenschein, den Strahl der Sterne missen,

Gebirg und Wald und hellen Vogelsang,

Der Wasser Rauschen und der Donner Klang;

Doch bittrer ists, den Blick des Freundes meiden,

In dessen Strahl entschlummern unsre Leiden,

Gleichwie im warmen Frühlingssonnenschein

Die Nattern süß ermüdet schlafen ein;

Doch bittrer ists, des Freundes Wort entbehren,

Dem selbst das Elend glaubt die holden Mären,[860]

Daß alles noch sich werde fröhlich wenden

Und jeder Gram in Ruh und Freuden enden.


Kein Frühling weiß so traut und wohl zu klingen,

Als wenn zum Herzen Freundesworte dringen;

So tönt kein Lied in kummervollen Stunden,

Wie wenn der Freund das rechte Wort gefunden.

Roger gedenkt an seinen Freund Alfar,

Den liebsten aus der kühnen Männerschar. –


Dann fährt er auf im schmerzlichsten Ergrimmen,

Wenn er zu hören meint die fernen Stimmen

Der Seinigen, die unter Rosseshufen

Und auf den Scheitern ihn um Hülfe rufen.


Wohl ihm, wenn ihn ergreift Erinnerung,

Wenn ihm ertönt das Feldgeschrei: »Zu Waffen!«

Die Rosse wiehern im beherzten Sprung,

Die Schwerter schallen und die Wunden klaffen,

Die Kolben krachen und die Lanzen splittern,

Die Rosse stürzen samt den Kreuzesrittern;

Die Pfeile schwirren, tausend Wunden stechend,

Als Mücken dieser heißen Abendzeit,

Und Held Alfar, den Feindesschwarm durchbrechend,

Erglänzt, ein Stern im Strahl der Tapferkeit,

Ein Nachtgestirn, das in dem Kampfgewühle

Ringsum den Feinden sendet Todeskühle.


Abrede hat mit ihm Roger genommen:

Von Osten ist der eine zugefahren,

Der andre haut von Westen in die Scharen,

Und mittens wollen sie zusammenkommen.

Und jeder führt sein Häuflein Kampfgenossen,

Sie stürmen auf den schlachtberauschten Rossen

Einander zu, zur Rechten und zur Linken[861]

Im Lückenbruch erschlagne Feinde sinken.

Und jeder freut sich, trifft er im Gefecht

Den Gegner kriegserfahren, kampfgerecht,

Wenn seine Kunst, das Roß im Kreis zu schwenken,

Die Art, im Anlauf seinen Speer zu senken,

Von ferne schon den edlen Helden loben,

Was Stich und Hieb in harter Näh erproben.

An seinem Harnisch ist der Speer zersprungen,

Doch hat Roger, Alfar sein Schwert geschwungen,

Dann muß der Held des Siegens sich entwöhnen

Und, hingestreckt, Lebwohl der Erde stöhnen;

Die matte Hand greift irr und ungewiß

Umher schon in der Todesfinsternis.


Nun sieht der Freund des Freundes Helmbusch wallen

Er kennt ihn an des Schwertes lautem Schallen;

Der rot und schwarze Busch begegnen sich,

Wie Blut und Tod, wo dies Gefieder strich. –

Schon sind sie durch – es fiel der letzte Schlag –

Sie wünschen sich gar fröhlich: »Guten Tag.«


Roger ist aus dem schönen Traum erwacht,

Still wünscht sein Feind dafür ihm: ›Gute Nacht‹,

Denn durstend greift er nach dem Krug

Und trinkt den herben Tod mit einem Zug.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 859-862.
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