An Otto Julius Bierbaum

[10] Otto Julius, frischester Dragonerlieutenant,

Mit den roten Backen, mit dem weichen Schnurrbart,

Mit der mächtigen Dichterstirn, mit großen, klugen

Augen, die, ob mit Pince-nez, ob ohne Klemmer,

Wunderbaren Wechsel zeigen immerwährend,

Einst, erinnerst du dich dessen, saßen oft wir

Bis zum Hahnenruf im Münchner Rathauskeller.

Und wir tranken Ale und Porter, Ale und Porter

Zu der Küche Meisterwerken, Beef und Fischen.

Kniffst du nicht der Kellnerin, der hübschen Betti,

Betti'n aus dem Ursulinerinnenkloster,

Gern, doch sanft, doch sanfter stärker drückend.

In die weißen Arme, daß sie leise Au schrie?

Für vorzügliche Zigarren, feinster Kenner,

Sorgtest du, das soll dir nicht vergessen werden.


Jene herzvertrauten Offenbarungs-Nächte,

Die wir mit einander trinkend, plaudernd, lachend,

Rauchend saßen unten am Gedecke Betti's,

Diese sind mir eben wieder eingefallen,

Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,[11]

Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,

Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,

Die mir säuerlich und muff verraten würde,

Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdeengel,

Tochter Seiner Excellenz, des Herrn Philisters.


Wenn erlauscht die guten Deutschen damals hätten,

Was wir sprachen, ausgelassen uns erzählten,

Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt:

So der Liebe Rätsel lachend zu entziffern,

So die Welt uns lachend um den Kopf zu schlagen.

Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt.

Und die Kritiker, es würden diese freilich,

Wenn sie die Epistel an dich lesen möchten,

Erst im Sechstrochäus fehlersuchend wühlen,

Aber dann, o Himmel, welche Lehrerschelte

Müßten wir erleben: »Unmoralisch! Scheuslich!

Seht die beiden als der tiefsten Hölle Diener.«


Wenn wir gegenseitig unsere Liebeshändel

Uns zum Besten gaben: Du mir die Geschichte

Deines schlanken, dunkeläugigen Waschermadls,

Das zu dir sich heimlich nachts in's Fenster drängte,

Das dich so beglückt mit ihren sechszehn Jahren;

Wie sie, trennungstraurig habest du geholfen,

Heimlich in der Frühe wieder sich entfernte

Auf dem gleichen Weg; wie du dem muntren Kerlchen

Nachgeschaut; wie rote kleine Morgenwolken

Himmelsheilig ihr die Kinderstirn beglänzten,

Ihr, die durch den Tau, am Wassersturz der Isar,

Schnellen, scheuen, leichten Schrittes sei entschwunden.

Hieß Jeanette nicht dein reizend Waschermadl?

Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte[12]

– Denk an das »Gerümpfe« edler Wackernasen:

»Waschermadel, Schneidermadel: Die Bekanntschaft« –

Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte,

Die, nicht anders ging's derweil, mir immer wieder

Stoffe brachte, Röcke, Hosen, Westen holte.

War nichts mehr zum Flicken vorrätig im Schranke,

Trennten Nähte wir, zerrissen Unterfutter.

Die mich mit den sechszehn Jahren hurtig küßte,

Küßte, bis die wenigen Minuten schwanden.

Später ward es besser, durch des Mädchens Schlauheit,

Eine Stunde blieb sie, stundenlang und länger,

Bis die erste heiße Liebesnacht herankam.

Wie sie nun am andern Morgen ängstlich fortschlich,

Warf sie ungeschickt vom Teller ihrer Rechten,

Ihre Finger spreizend, mir ihr letztes Grüßen:

Rührend war es mir, wie dir, dem ich's vertraute.

Saugend war ihr Kuß, ein wenig unanmutig,

Ganz, als söge noch sie an der Mutter Brüsten;

Doch Natur, Natur, jungwilde Ungezähmtheit.


Denkst du noch an unser kleines Abenteuer

– Cenz und Loni nannten sich die hübschen Frätzchen –,

Das Boccaz zum Vater hätte haben können:

Durch gemeinsam ausgeführte kleine Fahrten

Waren näher wir zu Viert bekannt geworden.

Als wir eine Wette machten auf die Treue

Unsrer Schätzchen, und zur gleichbestimmten Stunde

Jede an den andern sandten nach Gewünschtem,

Wie uns dann nach einigem Gesichterschneiden

– Zuckten nicht sekundenlang zwei durstige Dolche –,

Da wir uns das Wort gegeben, wahr zu sprechen,

Ein nicht enden wollendes Gelächter schüttert.

Lüstern nach verbotnem Speck ist jedes Mäuschen.[13]

Spricht nicht irgendwo ein alter Lebenskünstler,

Daß ergötzlich sei der Wechsel in der Liebe?

Apage!

Doch was ich sagen wollte, Lieber:

Blieb dir jener Winterabend im Gedächtnis?:

Beim Burgurder, Nuits, bei deinem Lieblingsweine,

Saßen wir schon lange. Alles war gegangen.

Unter Aufsicht des Ratskellerküfermeisters

War der Zug, je zwei auf zwei, der Kellnerinnen

In das Nebenhaus zum Schlafen abgezogen.

Nur ein Piccolo, die einzige Bedienung,

Lag, entschlummert, über einer großen Zeitung,

Und ein Blumenmädchen schlief an einer Säule,

Blassen Antlitzes, das wunderbar sich abhob

Aus den dunkelroten Rosen, die dem Korbe

Sich entschüttet hatten um die müden Schläfen.

Plötzlich durch die mitternächtige Stille klang ein

Dumpfes, mattes Rauschen; und ein uralt Männchen

Stand an unserm Tische, sich vor uns verneigend:

»Ihr da, Dichterlinge, thut mir den Gefallen,

Sagt mir, weshalb redet ihr so unablässig

Naseweis von unsrer guten deutschen Dichtung?

Besser wär's, statt immerfort zu raisonnieren,

Wenn ihre eure Kritzeleien so dem Landsmann

Dem gewohnten Lotternachmittagsschlafsopha

Näher rücktet, daß er's mühelos verdaute.

Und es würden euch die Portemonnaies bald voll sein,

Könntet ihr euch endlich doch entschließen: einzig

Eure Feder einzutauchen dieser Weise,

Daß sie träuft von faden Honigseimgeschichten,

Für die deutschen Bilderfibeln eingerichtet.«

Wütend sprangst du auf, ich hielt dich fest am Rockschoß,

Sonst, wahrhaftig, hättest du dem armen Männchen[14]

Sicher das Genick gebrochen, und du flammtest:

»Fort, Versucher, fort mit deinem Klingebeutel,

Troll' dich in dein Nichts zurück, verdammter Hämmling!

Schreiben wir, so schreiben uns wir und den wenigen

Gleichgesinnten, freiheitsfröhlichstolzen Herzen.

Unaussprechlich schnuppe ist für uns der Leser.«


Alles ist mir eben wieder eingefallen,

Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,

Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,

Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,

Die mir säuerlich und muff verraten würde,

Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdengel,

Tochter Seiner Excellenz, des Herrn Philisters.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Der Haidegänger und andere Gedichte, Leipzig 1890, S. 10-15.
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