Heißhunger

[124] Ach, komm doch!

Ich stampfe vor Wut,

Ich würge mein Blut:

Ach, komm doch!


Wo bleibst du?

Ich geh auf und nieder

Unsern alten Weg,

Unsern alten Weg

Geh ich auf und nieder.

Wo bleibst du?


Säh ich dein Kleid doch

Schimmern aus Weiten,

Schimmern von Seligkeiten!

Säh ich dein Kleid doch!


Komm, ach komm!

Wie du lächelnd vorwärts schwebtest,

Wie du lächelnd rückwärts strebtest,

Wie wir beim letzten Schritt zögerten beide,

Als wollten wir uns losreißen vom Leide,

Bis wir uns aneinander drängten[125]

Und uns küßten und zwängten

Durch alle die Liebe durch.

Komm, ach komm!


Ist es zu Ende?

Mir wird das Herz steinschwer.

Seh ich dich niemals mehr?

Und in meine rasende Ungeduld

Tritt mit königlicher Huld –

Was? Du hast mich geneckt?

Hattest dich hinterm Busch versteckt?

Bist herangeschlichen wien Dieb?

Hast mich beobachtet durch irgendein Strauchloch:

Wie die Qual mich hin und her trieb

Durch ihr Marterjoch!

Das nenn ich aber doch –

Und sie lacht, sie lacht und lacht und lacht

Und hat ihre Arme weit aufgemacht.


Quelle:
Detlev von Liliencron: Gute Nacht. Berlin 1909, S. 124-126.
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