Zur Rückertfeier

[106] Zu »Schwert und Leier« in dem Sturme,

In dem sich Deutschland aufgerafft,

Klang wie des Wächters Ruf vom Turme

Ein Taglied, kühn und reckenhaft.

Das war ein Rütteln an der Kette,

Als dröhnend mit zum Waffengang

Die Schar geharnischter Sonette

Des Geistes helle Schwerter schwang.


Es war, als stiegen aus der Erde

Die eingesargten Hünen auf,

Als sprengten auf dem Musenpferde

Walküren her im Sturmeslauf.

Da hörte man von edlem Zorne

Gedanken knirschen, mit Gestampf

Den Versfuß klirren und die Norne

Das Schicksal weben um den Kampf.


Wohl glich ihr Sänger auch der Eiche,

So dauernd und so mächt'ger Kraft,

Der Sprache weitverzweigte Reiche

Gestaltend voller Meisterschaft.

Er immer selbst, die freie Seele;

Sein deutsches Herz gab stets sich kund,

Ob Madrigal, ob Spruch, Ghasele,

Ob Lieder sang sein reicher Mund.


Wie künstlich auch die Formen gipfeln,

Der Grund wie streng und schlicht und stark!

An ihm war alles von den Wipfeln

Bis zu der Wurzel gleiches Mark.[106]

Ja, unter diesem Eichenbaume

Erblühten Rosen, wunderzart;

Die Weisheit lag vertieft im Traume,

Beim Eisen der Juwel verwahrt.


Dem Dichter, der die süßen Lieder,

Den »Liebesfrühling« sang, ein All

Von Glück und Treue, blüh' der Flieder

Und singe stets die Nachtigall.

Des Dichters Denkmal wird gesungen,

Nicht nur gebaut aus Erz und Stein:

Stets wird es in Begeisterungen

Und im lebend'gen Worte sein.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 106-107.
Lizenz:
Kategorien: