Das Mammut

[231] Tief unten im Moore das Mammut bläst,

Man hört es hoch oben auf der Geest;

Aus allen Lagern rund um das Moor

Eilen bewaffnete Männer hervor,

Gefolgt von der mageren Meute;

Jagdtag, Fleischtag ist heute.


Die Kinder spielen das schöne Spiel

Vom Mammut, das in die Grube fiel;

Das dickste Mädchen muß Mammut sein,

Im Erdloch sitzen und lauthals schrei'n,

Die ganz kleinen Kinder sind Meute;

Jagdtag, Spieltag ist heute.


Der Zaubersmann geht wichtig einher:

Jaja, jaja, wenn ich nicht wär'!

Ich machte gestern den großen Wind,

Da wurde das Untier dumm und blind,

Nun denket auch meiner, ihr Leute;

Jagdtag, Zahltag ist heute.


Das Mammut trompetet in Angst und Not,

Von allen Seiten naht sich der Tod;

Es zischt der Pfeil, es saust der Speer,

Der Quälgeister werden immer noch mehr,

Wie Ameisen bei ihrer Beute;

Jagdtag, Schlachttag ist heute.


Der Häuptling teilt richtig und brüderlich,

Die Mürbebraten behält er für sich;

Ein jeder sackt seinen Anteil ein,

Des Zauberers Stück, das ist grade nicht klein,

Am Gerippe balgt sich die Meute;

Jagdtag, Beißtag ist heute.
[231]

Was kriecht denn da aus dem Busche heran?

Vom Nachbarstamme ist es ein Mann.

Und noch einer kommt und immer noch mehr,

Des Mammuts Todesschrei lockte sie her.

Hand von dem Wildbret, ihr Leute!

Jagdtag, Rauftag ist heute.


Wir gruben das Loch und wir hetzten's hinein.

Aber wir schlugen's tot und unser soll's sein.

Es funkeln die Augen bluthungrige Lust,

Ein Krieger fällt um, einen Speer in der Brust.

Hilfe, zu Hilfe ihr Leute!

Jagdtag, Bluttag ist heute.


Ein Kriegsgeschrei hier, ein Kriegsgeschrei dort,

Die Männer werfen die Fleischballen fort;

Es knirscht der Speer, das Beil das kracht,

Der Zauberer schnell sich von dannen macht,

Erwischt noch manch Stück von der Beute;

Jagdtag, Rafftag ist heute.


Die Sonne hinter der Geest versinkt,

Vom Lager die Totenklage erklingt;

Im Moore liegt ein vergessener Mann,

Der weder leben noch sterben kann

Umringt von der Wölfe Meute;

Jagdtag, Fleischtag ist heute.

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 231-232.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein blaues Buch
Mein blaues Buch. Balladen
Mein blaues Buch: balladen (German Edition)

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon