Liebespein

[25] 1778.


Als ich die Langersehnte fand,

Mein Herz sich an das ihre band,

Und, durch geheimen Zauberzug,

Ihr Busen mir entgegenschlug:


Da war ich froh in meinem Sinn!

Da tanzte Tag auf Tag mir hin,

Wie Bächlein hell im Sonnenschein,

So lauter und so silberrein!


Da lachte Freud' und süsse Ruh

Mir stets ihr blaues Auge zu,

Die ganze Welt vor mir vergieng,

Wenn mich ihr Schwanenarm umfieng!


Da war mir jede Stunde süß,

Mein Lebenspfad ein Paradies,

Denn alle Erdenseligkeit

Lag, sonder Maas drauf ausgestreut.


Wenn ich an ihrem Busen lag,

Wiegt' ihres Herzens leiser Schlag

Mich sanft zu Himmelsträumen ein;

Und mir schlug dieses Herz allein!


Wenn uns im Laubdach, kühl und grün,

Der liebe, volle Mond beschien,[25]

Sang Hain und Flur mir Sfärensang,

Und jede Seelensait' erklang.


Bald wallten wir durch Blumenaun,

Des Frühlings Zauberpracht zu schaun;

Doch blikt' ich ihr ins Angesicht,

Sah' ich die Lenzgefilde nicht!


Bald ruhten wir auf Quellenmoos,

Wenn sanft der Abend niederfloß,

Da drükte heiß sich Mund an Mund,

Zu festen unsren Liebesbund!


Wie Maienregen niederfleußt,

Auf Blütenbäume sich ergeußt:

Floß jeder Flammenkuß von ihr

Erlabend in die Seele mir.


Wir lebten Himmelswohnern gleich,

Wie sie an tausend Freuden reich,

Es wogt' und rauscht' ein Wonnemeer,

Nicht abzusehn, rings um uns her!


Genug der Freuden, o mein Lied,

Die einst mir Glüklichem geblüht!

Hinab! hinab! zum Trauerton,

Die Freuden alle sind entflohn!


Sie gab, in leichtem Flattersinn,

Ihr Herz an einen andern hin!

Zerriß das goldne Himmelsband,

Das Lieb' um unsre Seelen wand!


Das troknete, mit rascher Wuth,

Wie wilde Hundstagssonnenglut,[26]

Die Quelle meiner Freuden leer,

Von Stund' an floß kein Tröpfchen mehr!


Nun schleicht, bei wintertrübem Sinn,

Mein Leben langsamtraurig hin,

Ich irr' in düstrer Mitternacht,

Von keinem Sternlein angelacht.


Mein armes, tiefgequältes Herz

Durchwütet Angst, durchwütet Schmerz;

Verhasster Sorgen Natternbrut

Nährt grausam sich von meinem Blut!
[27]

Die Pein, die meinen Busen engt,

Mich wild bald hie bald dorthin drängt,

Mir rastlos in die Seele stürmt,

Mit Wolken stets mein Haupt umthürmt:


Hat meine Wangen abgebleicht,

Hinweg die innre Ruh gescheucht,

Zernagt mich, wie der Morgen graut,

Bis wenn der kühle Abend thaut!


Ha! wenn mich jezt die Falsche säh',

In all dem Ach! in all dem Weh!

Von Höllenleiden, sonder Zahl,

Umstrikt zu Folterpein und Quaal:


Vieleicht daß ihr ein Thränlein denn

Vom blauen Auge niederrän',

Ihr Herz, von Reu und Busse schwer,

Nun wieder ganz das meine wär'!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 25-28.
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