Elfter Auftritt


[151] Die Vorigen, ohne die ersten vier Scheike. Der Vorbeter, hinter ihm seine Adjutanten und das übrige Gefolge. Er läutet die Hölzer und singt dazu:


Heeehhh alas salāh! Heeehhh alal = felāh! Auf zum Gebete! Auf zum Heile! Heeehhh alas salāh! Heeehhh alal = felāh! Allāh akbar! Allāh hu!


Dann kniet er nieder, hinter ihm auch Alle, die mit ihm gekommen sind. Das Ūmehā mit den stupiden Verbeugungen beginnt. Das rüttelt den Scheik aus dem Zustande halber Betäubung auf. Er fährt empor, reißt die Peitsche aus dem Gürtel und springt zornig auf den Vorbeter ein.


SCHEIK.

Was fällt dir ein, du Wurm, du Laus, du Milbe!

Ein solches Schnurren und ein solches Schnarren,

Nachdem du das Gebet der Bibel hörtest!

Bist du verrückt?

VORBETER bleibt knieen.

Was soll ich beten, Herr?

SCHEIK.

Die heilge Fāt'ha, nicht das Ūmehā!

VORBETER bescheiden, aber fest.

Die Fāt'ha bet ich nicht!

SCHEIK zunächst erstaunt, daß der Neger überhaupt wagt, Widerstand zu versuchen.

Du weigerst dich?[151]

VORBETER.

Du hast sie mir verboten!

SCHEIK.

Allerdings,

Und dazu hatte ich mein Recht. Verstanden?

Doch aber jetzt will ich das Gegenteil,

Und was ich will,


Klatscht.


geschieht; das ist bekannt!

VORBETER schaut bittend zu ihm auf.

Verzeih, o Herr! Ich möchte dich bewahren!

Gedenke an das »rasche Ende«, Scheik,

Das du mit ihr heraufbeschworen hast!

SCHEIK.

Nur mein Befehl und nicht mein Ende gilt!

VORBETER.

Und meine Lippe ist nicht deine Lippe!

SCHEIK.

Die Fāt'ha will ich!


Schlägt ihm bei der Silbe Fā die Peitsche über den Rücken.


VORBETER.

Nein!

SCHEIK.

Die Fāt'ha


Gibt ihm bei derselben Silbe einen zweiten Hieb.


VORBETER.

Nein!

SCHĒFAKĀ eilt auf den Scheik zu, der schon zum dritten Hiebe ausholt, und fällt ihm in die Peitsche.

O Scheik, o Scheik, du prügelst das Gebet![152]

SCHEIK.

Mit vollem Recht, wenn es mir nicht gehorcht.


Macht sich von ihr los und schlägt den Schwarzen wieder. Schēfakā hängt sich an seinen Arm und versucht, ihm die Peitsche zu entreißen. Die Aufregung geht auf alle Anwesenden über. Man ist empört. Man drängt sich herbei. Der Scheik der Todeskarawane verläßt das Zelt, um sich des Bedrängten anzunehmen. Er tut das ruhig, ohne eine Spur von Leidenschaftlichkeit und Uebereile. Die Phantasie und die Bibel bleiben im Zelte. Sie stehen nebeneinander, die Jüngere im Arme der Aelteren.


IMĀM.

Was das Gebet betrifft, bin ich der Herr.

Ich will das Ūmehā, die Fāt'ha nicht!

KĀDI.

Und was das Recht, zu strafen, anbelangt,

So habe ich es nur, kein Anderer!

SCHEIK grimmig.

Allāh, Allāh, wie lustig das hier wird!

Weil diese Schurken, die gegangen sind,


Mit der Peitsche hinter den vier Scheiken her drohend.


Nicht taten, was ich mir berechnet hatte,

Wagt es nun gleich der ganze heilge Glaube

Und auch das ganze, liebe, heilge Recht,

Sich von mir loszusagen.


Spuckt aus.


Pfui der Schande!


Schleudert Schēfakā von sich, so daß sie vor dem Scheik der Todeskarawane niederfällt, deutet auf den Neger und ruft herausfordernd.


Ich peitsche ihn, bis er gehorcht! Verstanden?!

Und wer mich hindern will, der wage es!


Schlägt weiter auf den Schwarzen ein.


SCHEIK DER TODESKARAWANE hebt Schēfakā auf und reicht sie ihrem in der Nähe stehenden Vater hin.

Das ist Kitāl, das Drachenungeheuer,

Die niedrige Gewalt, das – – – Menschentier![153]

SCHEIK sich ihm zuwendend und vom Schwarzen ablassend.

Kitāl, Kitāl, ganz richtig! Hast du Mut,

So komm heran, und hol dir meine Peitsche!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Wozu denn Mut? Kitāl ist ungefährlich!


Er geht langsamen Schrittes auf den Scheik zu, die Augen fest auf ihn gerichtet.


PHANTASIE ruft ihnen zu.

Schon wieder stellt er seinen König bloß.

Herunter mit dem Reif von Ēridū!


Die Beiden stehen sich Auge in Auge gegenüber. Der Scheik kann den Blick des Andern nicht aushalten. Es liegt jene Schuld darin, die ihn seit langen Jahren quält und peinigt. Die Worte der Phantasie erlauben ihm, einen Schritt und noch einen zurückzuweichen, um nach ihr hinzusehen.


SCHEIK.

Was will sie nur mit ihrem König immer,

Und mit dem goldnen Reif von Ēridū?!

HĀKAWĀTI.

Das weißt du nicht? Und wagst, dich Geist zu nennen?


Dieser Zuruf des alten Märchenerzählers gibt ihm Veranlassung, abermals einige Schritte nach rückwärts zu tun, scheinbar, um ihn zu sehen, eigentlich aber, um dem Blicke des Scheikes der Todeskarawane auszuweichen, der scharf und bohrend auf den seinigen gerichtet ist und ihn immer weiter treibt, von der Stelle weg, an welcher der Neger geschlagen worden ist. Die Andern alle machen Platz und schauen dem Vorgange, der sich ganz ähnlich wie im ersten Akte abspielt, mit großer Spannung zu. Endlich kann der Scheik den unbeweglich auf ihn gerichteten Blick nicht länger ertragen.


SCHEIK sich zornig aufbäumend.

Hinweg mit deinen Augen, Leichenknecht!

Die Peitsche kommt!

SCHEIK DER TODESKARAWANE den Blick nicht wendend.

Schlag zu![154]

SCHEIK.

Sofort, sofort!


Beim ersten »sofort« holt er aus; bei dem zweiten soll der Hieb fallen, aber der Scheik der Todeskarawane reißt sie ihm mit einem unerwarteten, blitzschnellen Griff aus der Hand.


SCHEIK DER TODESKARAWANE die Peitsche hinter sich hochhaltend.

Hier ist sie schon!

SCHEIK auf ihn eindringend.

Zurück mit ihr!

SCHEIK DER TODESKARAWANE schleudert ihn von sich.

Mit dir!

PHANTASIE mit den eigenen Worten des Scheikes.

Und ich der Scheik, ich bin die heilge Macht,

Die ich symbolisch in die Peitsche lege,

Um anzudeuten, was ich will und


Macht die Armbewegung des Peitscheknallens.


kann!

SCHEIK DER TODESKARAWANE die Kurbatsch betrachtend.

Ist das die ganze Macht? Die breche ich


Zerbricht die Peitsche.


Und werfe dir sie in das Angesicht!


Wirft ihm bei der Silbe »An –« die Peitsche in das Gesicht.


IMĀM erschrocken.

O Schmach!

KĀDI ebenso.

O Schmach!

BABEL ebenso.

Ein Todesschimpf!

ALLE durcheinander.

Ein Todesschimpf![155]

SCHEIK durch den erneuten Zuruf der Phantasie und die nur durch Blut abzuwaschende Entehrung seines Gesichtes ganz außer sich.

Ein Todesschimpf! Gebt mir ein Schwert, ein Schwert!


Reißt einem Ān'allāh den Säbel aus der Scheide.


Und einen Schild!


Nimmt einem Andern den ledernen Schild.


Und den Dscherīd! Schnell, schnell!


Bemächtigt sich des kurzen Wurfspießes eines Dritten und wendet sich mit diesen Waffen gegen den Scheik der Todeskarawane.


Und nun, du Hund, sink nieder – – – auf die Knie,

Und sprich die Todes-Sure, denn du stirbst!

Abū Kitāl, den Niemand je besiegte,

Holt sich dein Herz und deine Eingeweide

Zum Fraße der Schakāle und Hyänen!

SCHEIK DER TODESKARAWANE hält ihm die Brust hin, hebt aber die Faust.

So stich – – –! So stich – – –!

SCHĒFAKĀ abwehrend.

Den Unbewaffneten!

SCHEIK DER TODESKARAWANE verächtlich.

Das ist der »Geist,« der tausend Waffen braucht,

Um einen schwachen Körper zu vernichten!

SCHEIK.

Das rettet ihn!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Will ich gerettet sein?

Ich habe meine Faust, das heißt, mich selbst:

Stich zu!

SCHĒFAKĀ.

Nein, nein![156]

SCHEIK DER TODERKARAWANE.

Stich zu!

SCHĒFAKĀ.

Um keinen Preis!

SCHEIK wegwerfend.

Ein feiger Hund! Er weiß, daß ich nicht darf!


Auf ihn zeigend.


Gebt einen Säbel, einen Schild und Spieß!

Gebt Waffen ihm, so viel ihr immer wollt!

Ich werde ihn zermalmen!

SCHĒFAKĀ.

Schone ihn!


Die Ān'allāh bieten dem Scheik der Todeskarawane die genannten Waffen an, er weist sie aber zurück.


SCHEIK DER TODESKARAWANE zu ihnen.

Behaltet eure Wehr!


Zu Schēfakā beruhigend.


Ich fürchte nichts!

SCHEIK höhnisch.

Das klingt so kühn – – – die Maske aller Memmen!


Befehlend.


Ein Schwert für ihn, damit er fechten muß!


Es versuchen Mehrere, dem Scheik der Todeskarawane ihre Säbel aufzudrängen. Er weist sie wieder ab. Er steht grad an der Stelle, an der das Heft der in die Erde gestoßenen Klinge aus dem Boden ragt.


SCHEIK DER TODESKARAWANE zum Himmel aufblickend.

Verzeih, Allāh, verzeih! Ich bin gezwungen.

Im Erdenblute kreist ein Sonnenleben.

Es soll mir heilig sein!

SCHEIK verspottend.

Er phantasiert![157]

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Doch mit dem Säbel.


Reißt die Klinge aus der Erde.


Nun heran mit dir,

Um zu erfahren, wie ich phantasiere!

SCHEIK erschrocken.

Die Klinge des Kismēt! Allāh bewahre!

BABEL.

Die Klinge des Kismēt!

IMĀM.

Die Klinge des Kismēt!

ALLE durcheinander.

Die Klinge des Kismēt!

SCHEIK.

Die ich vergrub, als wir den Krieg beschlossen!


Zum Scheik der Todeskarawane.


Der Brauch ist dir bekannt?

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Ich kenne ihn.

SCHEIK.

Und zogst den Säbel doch!

SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Grad ihn!

ALLE durcheinander, betroffen.

Grad ihn!

SCHEIK.

So zogst du dir den Tod! Paß auf!


Er dringt bei »auf« mit dem Säbel auf ihn ein.


SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Paß auf!


Haut ihm bei »auf« den Säbel aus der Hand. Verwundertes Gemurmel.[158]


PHANTASIE mit lauter Stimme.

Ich biete Schach dem König!


Mit Nachdruck wiederholend.


Schach, dem König!

SCHEIK ohne auf dieses Gebot zu achten, staunend.

Wie war das möglich, Mensch! Paß auf!


Dringt bei »auf« mit dem kurzen Wurfspieß auf ihn ein.


SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Paß auf!


Schlägt ihm bei »auf« den Spieß aus der Hand. Lauteres Gemurmel, fast wie Beifall.


SCHEIK betroffen und ergrimmt zugleich.

Es scheint, der Teufel ist mit dir im Bunde.

So schlage ich dich tot! Paß auf!


Holt mit dem Schilde aus und dringt auf ihn ein, um ihn niederzuschmettern.


SCHEIK DER TODESKARAWANE.

Paß auf!


Nimmt den Säbel in die Linke und schlägt ihm bei der Silbe »auf« mit der Rechten auch noch den Schild aus der Hand. Das reißt die Menge hin. Lauter Beifall erschallt. Die bekannten Interjektionen erklingen. Der Scheik starrt den Sieger wie abwesend an. Er läßt die Arme wie Flügel hängen und spreizt alle zehn Finger auseinander. Er weicht vor ihm zurück, immer weiter zurück, wie vor einem Gespenste. Der Scheik der Todeskarawane aber bleibt stehen und steckt die Klinge des Kismēt in seinen Gürtelstrick.


PHANTASIE zum Scheik.

Nun auch herunter mit der Suri-Klinge!

SCHEIK fast stotternd.

Nun auch – – – herunter mit – – –


Er richtet vor Entsetzen über seine für ganz unmöglich gehaltene Niederlage einen stupiden Blick zur Phantasie hinüber, ist nicht im[159] Stande, ihre Worte vollständig nachzusprechen, und wankt zum Throne, auf den er wie gebrochen niedersinkt.


SCHEIK DER TODESKARAWANE zum Vorbeter.

Steh auf und geh!

Abū Kitāl wird nie dich wieder schlagen!


Vorbeter mit seinem Gefolge und den Musikanten ab, die nun nicht mehr am Platze sind und zu andern Rollen verwendet werden können.[160]


Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 151-161.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
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