[184] Ihr Alle wißt, daß ich von Potschappel stamme, wo mein Vater ein armer, schutzverwandter Schneidermeister war. Die älteren Brüder mußten an die Nadel, ich aber, als der Jüngste, kam zu einem Bäcker in die Lehre, weil die Eltern meinten, daß ich es da eher zu etwas bringen könnte. Sie dachten nicht daran, daß man mit der Scheere eher sein eigener Herr werden kann, als vor dem Backtroge, wenn man nämlich nichts hat, was nach Silber klingt oder nach Hundertthalerscheinen raschelt.
Als ich ausgelernt hatte, ging ich auf die Wanderschaft, stand hier und da in Arbeit, wanderte dazwischen hin und her, so oft und viel ich Lust hatte, und kam auch eines schönen Tages hier im Städtchen an, um mir eine Stellung zu suchen, da mir Rock, Hose und Stiefel mit der Zeit ganz außerordentlich hinfällig geworden waren.
Zuerst ging ich in mein jetziges Haus zum Bäcker Hilbert. Er war Obermeister von der Innung und ließ sich mein Wanderbuch geben. Als er es durchgesehen hatte, guckte er mich so halb von der Seite an und zog die Nasenhaut in Falten. Ich sah nun freilich nicht gerade sehr vornehm aus. Den Rock hatte ich geschenkt erhalten; er war mir in der Taille um eine Elle zu weit und an den Aermeln um eine Viertelelle zu kurz. Die Weste war einmal von Sammet gewesen und hatte roth gesehen; jetzt schien sie von Sacktuch zu sein und hatte alle neunundachtzig Farben. Von den Hosen will ich ganz schweigen, es ist besser, und die Stiefel, die waren so offenherzig geworden, daß ich mit den Füßen fast noch besser als mit der Nase merken konnte, wo die Luft herkam. Woran das lag, das brauche ich nicht zu sagen; es wird Manchem von Euch in der Fremde vielleicht ebenso gegangen sein. Aber ein ehrlicher Kerl war ich doch, verstand mein Handwerk aus dem Fundamente und hatte weder den Betäl, noch sonst etwas Ungutes im Buche stehen. Darum verdroß es mich gewaltig, als er meinte:
»Auch ein Bruder Luftikus! Hier hast Du das Buch zurück und dazu das Geschenk. Platz hätte ich wohl für einen braven ordentlichen Gesellen; Dich aber kann ich nicht gebrauchen!«
»Nichts für ungut, Herr Meister, aber ich bitte –«
»Sei still! Ich mag Dich nicht, und damit basta! Du bist ein Sachse, und ich kenne diese Sorte.«
Da war allerdings mehr, als ich vertragen konnte; ich legte ihm also sein Geld wieder auf den Tisch und antwortete:
»Das ist eine Beleidigung, Meister, zu der Ihr kein Recht habt. Ich bin ehrlicher Leute Kind, und auf der Reise wird man kein feiner Hofcavalier. Wenn ich Arbeit hier in Orte finde, so werdet Ihr bald erfahren, daß ich mich vor Niemandem zu schämen brauche. Hier habt Ihr Euern Groschen wieder, und damit Adjes!«
»Schade um den hübschen Burschen!« hörte ich es leise, als ich die Thür schon in der Hand hatte. Es war die Meisterstochter, die Emma, die das zu ihrer Mutter sagte. Sie war ein herzig liebes Kind, wie ich das später zur Genüge erfahren habe, und ich drehte mich um und sah ihr noch einmal in das freundliche Gesichtchen, ehe ich die Thür zumachte.
Draußen aber blieb ich einige Augenblicke stehen und musterte[184] zum ersten Male meine Kleidage genau. Die Worte des Mädchens waren mir in das Herz gedrungen und öffneten mir die Augen.
»Du siehst aus wie ein Lump,« dachte ich; »aber, Franz, es wird anders, und zwar gleich von jetzt an!«
Gerade gegenüber wohnte der alte Bäckermeister Kießling; er wurde nur der Bäckerjakob genannt und hatte nicht übermäßig viel zu thun, da er kein großer Hexenmeister war und sich nicht übermäßig viel anstrengte. Sein Sohn war noch in der Fremde und hatte keine große Lust, bald wiederzukommen. Ich ging natürlich auch zu ihm.
»Glück und Segen ins Haus, Meister! Ich bin ein wandernder Bäckergesell, habe hier mein Buch und bitte um einen kleinen Zehrpfennig!«
Er nahm das Buch, setzte die Nasenquetsche ins Gesicht und buchstabirte so ein halbes Stündchen in den Blättern herum. Dann betrachtete er mich von Kopf zu Fuß und meinte endlich:
»War Er schon beim Obermeister?«
»Ja.«
»Hat Er etwas bekommen?«
»Ja; ich habe es der nicht genommen.«
»Warum?«
Ich erzählte es ihm.
»Hm, so, so!« brummte er. »Er ist ein Sachse?«
»Ja.«
»Das freut mich! Bin auch dort gewesen; sind gar brave, herzliebe Leute, die Sachsen. Habe zwei volle Jahre in Arbeit gestanden da in der Gegend von Potschappel.«
»Von Potschappel? Da bin ich her!«
»Das freut mich wieder! Wann will Er denn nach Hause?«
»Das kann ich nicht sagen. Für jetzt möchte ich gern hier im Orte bleiben. Braucht Ihr keinen Burschen, Meister?«
»Hm, eigentlich nicht; aber weil Er ein Sachse ist und in der Gegend von Potschappel zu Hause, so könnte ich es beinahe einmal mit Ihm versuchen.«
»Thut es, Meister; es wird Euer Schade nicht sein!«
»Meint Er? Da klingt ja recht wichtig! Jetzt sieht Er freilich nicht danach aus; aber Er gefällt mir, und wenn Er den guten Willen hat, so wird Er gar bald auch wieder zu guten Sachen kommen. Hat Er ein Felleisen?«
»Ja; es liegt auf der Herberge.«
»So hole Er's; wir sind jetzt einig. Nur merke Er sich das: Ich rede nicht gern viel, aber wir wollen einmal Beide dem stolzen Hilpert da drüben zeigen, daß Er ein Sachse, nämlich ein ordentlicher Kerl und kein Luftikus ist. Da ist meine Hand, schlage Er ein!«
»Meister, das ist ein Wort, welches mir wohl thut. Habt Dank dafür!«
»Schon gut. Jetzt gehe Er, damit Er bald in Ordnung kommt!«
Als ich mit dem Felleisen von der Herberge kam, trat die Meisterin aus der Küche. Sie wollte natürlich den neuen Gesellen sehen und gab mir freundlich die Hand. Sie hatte so wundergute Augen und ein Gesicht wie heller Sonnenschein.
»Nicht wahr, Er heißt Franz?«
»Ja.«
»Dann willkommen, Franz! Gebe Er den Tornister her; das ist meine Sache!«
Natürlich waren keine Pretiosen in dem alten Ranzen, und ich schämte mich, sie hineingucken zu lassen. Sie machte aber wenig Federlesens, schnallte ihn auf und nahm die Sachen heraus.
»Ach Gott, ist Er schlimm daran, Er armer Tropf! Von den Sachen kann Er ja gar nichts mehr gebrauchen! Komme Er mit hinauf in die Kammer, da liegen noch Kleider und Wäsche von unserem Jungen; das wird Ihm passen!«
Ihr könnt Euch denken, wie selig mir zu Muthe war, zu so herzensguten Leuten gekommen zu sein. Ich wurde ausstaffirt nach Möglichkeit und ging dann mit Freuden an die Arbeit. Sie ging mir aus Liebe doppelt schnell von der Hand, und schon nach einigen Tagen klopfte mir der Meister freundlich auf die Schulter.
»Höre Er, Potschappler Franz, Er ist kein unebener Kerl. Fahre er so fort!«
Das war mir lieber, als wenn er mir zehn Thaler geschenkt hätte. Ich sah, daß sein Vertrauen immer mehr wuchs, und wurde wie ein Kind gehalten. Na, ich will mich nicht loben, aber Ihr wißt ja Alle, wie ich backe. Ich hatte da Meine gelernt, gab mir Mühe und bemerkte schon nach kurzer Zeit, daß unsere Kundschaft wuchs. Das Brod war stets gut und rein, und als ich mich gar aufs weiße Bachwerk legte, was der Bäckerjakob ganz vernachlässigt hatte, da sah ich den Herrn Obermeister stundenlang drüben am Fenster stehen und grimmige Gesichter herüberschneiden. Wir thaten ihm gewaltig Abbruch, das war nicht zu verkennen.
Aber es stand noch Jemand zuweilen am Fenster oder unter der Thür und warf einen verstohlenen Blick herüber, dem man allerdings weder Haß noch Aerger anmerken konnte. Das war die Emma. Ich war ihr seelensgut, das könnt Ihr mir glauben; aber ich ließ es mir nicht merken. Was hatte auch der arme Potschappler, der Luftikus, mit der reichen Obermeisterstochter zu schaffen! Aber wenn ich mir früh das Wasser holte und sie am Brunnen traf, wo ich einen freundlichen Gruß bekam, dann war den ganzen Tag Sonntag, und ich konnte bei der Arbeit singen und pfeifen wie eine Haidelerche.
So verging ein halbes Jährchen und noch eins. Da Geschäft ging besser und immer besser, so daß wir beinahe einen zweiten Gesellen nöthig hatten, da der Meister nur hier und da einmal zum Vergnügen mit zugriff. Ich konnte mir ein Stück Kleidung und Wäsche nach dem anderen kaufen und fand eine wahre Lust daran, ein netter Kerl zu sein. Meine größte Freude war, wenn ich den Eltern ein Weniges nach Hause schicken konnte, und die Briefe, die ich jetzt von ihnen bekam, lauteten ganz anders als die früheren.
Da sitze ich eines Sonntags Abends am Tische und lese in der Hauspostille. Ich war noch in kein Wirthshaus oder auf einen Saal gekommen, denn ich hatte meinen Lohn zu nothwendigeren Dingen gebraucht. Da tritt der Meister hinter meinen Stuhl und schlägt mir das Buch vor der Nase zu.
»Höre Er, Potschappler Franz, kann Er tanzen?«
»Ja.«
»So will ich Ihm einmal etwas sagen. Es ist ganz gut, wenn so ein Jungbursche, wie Er, ordentlich ist und gern daheim bleibt. Man bringt dabei etwas für sich. Aber allzuviel ist auch nicht gut, und ein Kerl, wie Er, gehört auch zuweilen unter die Leute. Man hört und sieht und lernt da Manches, was Einem Nutzen macht, und wird für keinen Duckmäuser angesehen. Jetzt zieht Er seinen Rock an und geht hinauf in den ›goldenen Stern‹, da ist Tanz. Und morgen sagt Er mir, wie's Ihm gefallen hat. Hier ist der Hausschlüssel; vorwärts, marsch!«
Ich hatte keine rechte Lust; aber eigentlich hatte er Recht, und ich folgte ihm.
Im »Stern« ging es gar munter her. Die Bursche sahen mich zwar ein wenig fremd an, doch war ich bald mitten unter ihnen und sah mich endlich gar nach einer Tänzerin um. Wißt Ihr, wen ich da bemerkte? Die Emma. Sie saß mit einigen Anderen an einem Tische bei Seite. Ich beobachtete sie und sah, daß sie einige Male das Tanzen abschlug. Wollte sie überhaupt nicht tanzen, oder waren es die Rechten nicht gewesen? Es war ein gar großer Abstand zwischen ihr und mir, aber ich nahm mir das Herz und ging hin. Sie wurde wie eine Kirsche so roth im Gesichte, aber sie stand auf und gab mir ihre Hand.
»Darf ich wiederkommen?« fragte ich, als wir fertig waren.
»Ja.«
Ich hätte für dieses »Ja« ihr sonst etwas zu Liebe thun können, und Ihr mögt Euch nur immer denken, daß ich von jetzt an fast jede Tour mit ihr tanzte. Als es die richtige Zeit für ein ordentliches Mädchen war, ging sie mit den Anderen nach Hause. Aber wir hatten uns noch nicht gar viele Male auf dem Saale wiedergetroffen, so durfte ich an deren Stelle mitgehen.
Wie es nun weiter kam, das brauche ich Euch nicht zu sagen. Die ganze Stadt erfuhr es, daß wir uns lieb hatten, und endlich ihr Vater auch. Na, das hat einen Heidenspectakel gegeben! Sie durfte nicht mehr fort, und wenn wir uns einmal sehen wollten, so mußten wir uns auf allerlei Schliche legen,[185] wie sie bei solchen Gelegenheiten gebräuchlich sind. Wir trafen uns im Garten oder gingen ein Stückchen zur Stadt hinaus; aber als der Winter kam, da wollte das nicht mehr gehen; es wurde zu kalt dazu. Wir huschten nun in die Brodkammer oder in den Hausflur, und endlich machte sie es gar möglich, daß ich mit in die Wohnstube durfte, wenn Alles schlafen gegangen war. Hört einmal, Ihr Leute, das sind glückliche Zeiten, obgleich man dabei Gefahr läuft, den Rücken durchgebläut zu bekommen und zur Thür hinausgeworfen zu werden. Ich will sie Euch nicht beschreiben; denkt lieber daran, wie's bei Euch auch gewesen ist![186]
Das ging so eine ziemliche Weile, bis uns der Obermeister einmal einen fürchterlichen Strich durch die Rechnung machte. Er mußte etwas gemerkt haben, auf welche Weise, das weiß ich heut' noch nicht. Kurz und gut, wir saßen eines schönen Sonntags Abends allein beieinander in der Stube und bauten allerlei Luftschlösser, wie sie bei jungen Leuten gebräuchlich sind; da kommt auf einmal Jemand langsam die Treppe herabgestiegen, untersucht die hintere Thür und dann auch die vordere und zieht den Hausschlüssel ab, den die Emma im Schlosse hatte stecken lassen. Wir sind natürlich nicht wenig erschrocken und sehen uns nach Rettung um.
Es gab Euch wahrhaftig keinen Platz, wo ich mich bequem hätte verstecken können; aber dahinten auf dem Tische in der Ecke stand ein Tragkorb; das war die einzige Möglichkeit, denn draußen in der Backstube hätte ich zwischen den nackten vier Wänden erst recht keinen Ort gefunden.
»Steig' rasch in den Tragkorb, Franz; ich decke Dich zu!« bat Emma. Es war ihr himmelangst, denn der Störenfried konnte kein Anderer, als ihr Vater sein.
Schnell war ich auf dem Tische, steige in den leeren Korb, ducke mich zusammen, und kaum hatte sie ein Mehltuch darüber gebreitet und mit dem Strickstrumpfe wieder an dem Tische Platz genommen, so wurde die Stubenthür geöffnet.
Der Obermeister war's.
»Ich denke, Du bist schon längst schlafen gegangen!« meinte er.
»Ich habe noch nothwendig zu stricken.«
»So, hm, und ich noch nothwendig zu lesen!«
Durch eine Spalte in dem Weidengeflechte konnte ich den ganzen Raum überblicken und bemerkte, daß er sich sehr aufmerksam in der Stube umsah. Er trat an den Ecktisch, faßte den Korb und schüttelte ihn ein wenig.
»So, so, also gestrickt hast Du! Hat Dir vielleicht Jemand mit geholfen?«
»Wer sollte denn?«
»Nun, ich weiß nicht, vielleicht der Lehrjunge. Zu Zweien strickt sich's besser. Na, mach' nur Deinen Kram.«
Er langte auf das Bret über der Thür und nahm die Nürnbürger Bilderbibel herab, trug sie zum Tische und begann zu lesen.
»Gieß' Oel in die Lampe, Emma,« befahl er nach einer[200] Viertelstunde. »Mach' sie richtig voll; ich bleib' gleich auf, bis das Backen losgeht!«
Na, das war eine schöne Zuversicht! Er wollte da bleiben; ich stak im Tragkorbe, und drüben bei mir hatte ich den Hefenteig stehen, der sicher aus dem Backtroge in die Stube lief, wenn ich nicht nach Hause konnte. Hätte ich nur genau gewußt, ob er etwas gemerkt hatte; aber er that so gleichgiltig, daß es mir möglich schien, ich könnte mich hinter seinem Rücken aus dem Korbe machen und leise davon schleichen. Das hatte aber gute Weile. Es war so still in der Stube, daß man die geringste Bewegung von mir hören mußte. Wenn ich nur den Kopf ein wenig rührte, so prasselte es rund um mich herum, und ich kann Euch die Stellung, in der ich mich befand, und die Unbequemlichkeit, die sie mir verursachte, gar nicht beschreiben.
Endlich mochte ihm doch die Geduld ausgehen.
»Geh' nun einmal schlafen, Emma, und schicke mir den Gesellen herab!«
Sie mußte gehorchen, nahm gute Nacht und ging fort.
Jetzt stand er auch vom Stuhle auf und ging, sich vergnügt die Hände reibend, in der Stube auf und ab. Nun wurde mir erst wirklich unheimlich zu Muthe. Durch die Spalte sah ich deutlich die schadenfrohen Blicke, die er in meine Ecke warf. Es war richtig, er hatte den Braten gerochen und nur geschwiegen, um irgend einen Plan ausführen zu können. Was war zu thun? Sollte ich stecken bleiben oder –
Da trat der Geselle ein. Er hatte im ersten Schlafe gelegen und gähnte entsetzlich.
»Erst um Zwölf! Was soll ich denn, Meister?«
»Das soll Er gleich hören. Komm Er einmal vor an die Thür!«
Sie flüsterten leise miteinander. Es war klar: ich sollte denken, ich sei noch nicht entdeckt, und darum ruhig stecken bleiben, ohne zu hören, was der Geselle eigentlich sollte. Ich hörte ihn heimlich lachen und dann durch den Hausflur hinaus in den Hof gehen. Dann vernahm ich den Schall einer Hacke, die auf Holz traf. Jetzt wußte ich auf einmal, was sie mit mir vornehmen wollten, und schon stand ich im Begriffe, emporzufahren und der Sache ein Ende zu machen, als sich mir ein Ausweg eröffnete.
»Meister, ich bring's nicht allein fertig; die Breter sind eingefroren!« klang es mit unterdrückter Stimme von der Hinterthür her.
»So muß ich helfen; aber mach' rasch!«
Er eilte hinaus. Er mochte denken, ich habe noch keinen Verdacht geschöpft und werde nicht den Muth haben, die wenigen Augenblicke zu benutzen. Schnell aber stand ich in der Stube und öffnete die Thür zur Bäckerei. Ich hatte mich gleich bei meinem Kommen dort umgesehen und neben der Beute einen Korb bemerkt, welcher gerade wie der meinige mit einem weißen Tuche bedeckt war. Ich versuchte ihn; er hatte ein ziemliches Gewicht, und im Nu war er mit dem anderen umgewechselt. Dann flog ich unter den Tisch und drückte mich so tief in den Schatten, daß ich wenigstens nicht auf den ersten Blick erkannt werden konnte.
Dies Alles hatte kaum eine Minute in Anspruch genommen; aber die Zwei waren auch schnell gewesen und traten jetzt wieder ein. Ohne ein Wort zu sagen, nahm der Geselle den Korb auf den Rücken und trug ihn hinaus. Der Meister folgte ihm. Ich schlich mich hinter ihnen her. Draußen war es vollständig dunkel, so daß ich unbemerkt bis in den Hof gelangte, wo ich hinter einem Baumstamme Posto faßte.
Noch heute denke ich mit Vergnügen daran, wie ich sie mit heimlicher Freude an die Grube treten hörte, die ich Euch gar nicht erst zu nennen brauche. Gewöhnlich war sie mit Bretern verdeckt. Jetzt hatten sie dieselben entfernt. Der Geselle ließ die Tragbänder locker; der Meister griff mit zu, riß das Tuch hinweg, der Korb wurde schnell umgestülpt, und – plumps und klirrrrr –
»Himmeltausendele – was ist denn da drin gewesen? Das war ja der Kerl gar nicht! Rasch hinein, er muß noch in der Stube sein!«
Sie sprangen in das Haus zurück; ich aber war mit einem raschen Schwunge über den Zaun hinweg und hinaus in den Garten und in wenigen Minuten daheim bei meinem Hefenteige. Er war prächtig in die Höhe gegangen, und ich kam gerade zur rechten Zeit, den Backofen zu heizen.
Am frühen Morgen klopfte es an die Hausthür. Ich öffnete.
»Guten Morgen!«
»Guten Morgen, Frau Bürgermeisterin! Was wünschen Sie so zeitig?«
»Ach, mein Lieber, kann ich nicht bei Ihm gleich Kuchen backen?«
»Kuchen? Und gleich? Vielleicht ist's möglich zu machen! Bestellen Sie fertig, oder besorgen Sie die Zuthat selbst?«
»Das muß ich erst mit Ihm verhandeln; ich weiß vor Aerger noch gar nicht, wo mir der Kopf steht. Denke Er sich: Meine Tochter hält heute Kindtaufe, und ich habe gestern das Mehl, das wir ja selbst erbauen, und alles Erforderliche zu Hilbert's geschickt, um Kuchen zu backen. Ich bin für jetzt bestellt worden, und als ich komme, haben sie mir einen Teig zusammengeknetet, der unmöglich der meinige sein kann. Ich wollte ihn ja selbst machen. Mein Mehlsack fehlt, mein Geschirr ist fort, die Butter ist anders, der Zucker befindet sich in blauen Düten und ich hatte weiße, mein Korb ist naß und hat eine Farbe und einen Geruch – nein, ich kann bei diesen Leuten nicht mehr backen! Ich habe auf meine Fragen keine einzige kluge Antwort bekommen und bin endlich vor Zorn fortgelaufen und herüber zu Ihm. Ich habe gehört, daß Er seine Sache versteht. Will Er mir aus der Noth helfen? Er kann dann auch für später auf meine Kundschaft rechnen!«
»Na, da kommen Sie herein, Frau Bürgermeisterin; es wird sich machen lassen!«
Buchempfehlung
Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
140 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro