[289] (1773.)
Was du, Gott, auf Erden schufest,
Trägt das Bild der Sterblichkeit;
Und mit jedem Tage rufest
Du Dem Menschen: Sei bereit!
Wenn die Sonnenstrahlen glühen,
Und die Saat der Reifung lacht,
Muß der Blume Schmuck verblühen,
Die im Morgentau erwacht.
Wenn des Herbstes Früchte reifen,
O, so reifen sie dem Grab;
Winde stehen auf und streifen
Sie vom vollen Baum herab;
Dann beginnt des Winters Stille,
Wenn der Herbstwind ausgedroht,
Und in weißer Leichenhülle
Liegt umher die Schöpfung tot.
Zwar im neuen Feierkleide
Bricht der junge Frühling an;
Und Gebirg und Thal und Heide
Sind mit Blumen angethan;[289]
Bäume knospen auf und grünen,
Weiße Blüte hüllt sie ein,
Aber mitten unter ihnen
Welkt der schönste Baum im Hain.
Vögel singen uns im Kühlen
Von der Seligkeit im Mai;
Aber, eh sie ganz ihn fühlen,
Stürzet sie ein schnelles Blei;
Lämmer hüpfen sonder Sorgen
Durchs beblümte Rosenthal;
Aber – arme Lämmer! morgen
Sättigt ihr den Mörderstahl.
Kinder brechen, wo sie gehen,
Blumen sich zu Kränzen ab;
Aber unvermutet stehen
Sie auf der Gespielen Grab.
Wenn sich in erhellten Hallen
Jünglinge des Tanzes freun,
Und die Pauke tönt, erschallen
Plötzlich Todesglocken drein.
Ach, mit jedem Tage nahen
Wir uns der Vergänglichkeit!
Ach, uns alle zu empfahen,
Ist ein weites Grab bereit!
Darum laßt uns himmlisch denken!
Und von stiller Unschuld voll,
Unsern Geist zum Himmel lenken,
Wo er ewig bleiben soll!
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