Scena II.

[126] Hier setzet sich der Praesident mit denen Adsessoribus. Dann erscheinet Justitia und redet sie an.


Habt Gerechtigkeit lieb / ihr Regenten auf Erden. Sehet zu / was ihr thut. Denn ihr haltet das Gerichte nicht den Menschen / sondern dem Herren / und er ist mit euch im Gericht. Darum lasset die Furcht des Herren bey euch seyn. Denn bey dem Herren / unserm GOtt / ist kein Vnrecht / noch ansehen der Person / noch annehmen des Geschenckes. 2. Paral. XIX.


Gehet ab.


PRAESES zu dem Barbirer. Wir haben nicht unterlassen können / Krafftragenden / und von der Durchlauchtigsten Signoria zu Venedig anbefohlenen Amts / euch / Barbirer / vorzubringen / welcher gestalt ihr beschuldiget werdet / wie ihr einen Spanischen / aus dem Königreiche Neapolis entloffenen Soldaten / eurer längst empfundenen curiosität ein genügen zu leisten / samt etlichen andern Gehülfen in einen dunkeln u tieffen Keller geführet / daselbst mit Händen und Füssen gebunden / endlich aufgeschnitten / den motum cordis, so lange der Mensch gelebet betrachtet / und endlich das Hertz gar heraus gerissen habet. Demnach[126] denn nun dieses eine abscheuliche That / so dm / wenn sie von euch verübet worden / einer Exemplarischen Straffen wohl würdig / als begehren wir von euch / daß ihr euch mit wenigem erkläret / ob ihr solches gestehet.

CHIRURGUS. Hocherleuchtete Herren Rechtere / großgeneigte Patronen / wie hoch ich mich über diesem Anbringen entsetzet / und gleichsam von mir selbst entfernet habe / das ist meiner blöden Zungen unmüglich nur etlicher massen zu entwerfen. Himmel einfallens hätte ich mich ehe versehen / als daß ich einer solchen unmenschlichen That beschuldiget werden könte. Meine Berüchtiger / so diese grundfalsche Auflage vor so hohe Personen zu bringen sich unternommen haben / müssen gar keine Scheu im Hertzen / und keinen Witz im Kopfe gehabt haben. Denn wie könte ich / der ich ein schwacher Mensch bin / einen so jungen / geraden / und starken Menschen zu Boden werfen / denselben alleine halten / die Brust aufschneiten / das Hertz heraus nehmen / und was dergleichen mehr ist? Gesetzt aber / daß ich so viel Kräfte des Leibes gehabt / wie wäre mir müglich gewesen / eine so barbarische / ja mehr / als barbarische That mir vor zu setzen? Man weiß ja meinen Wandel / und ist iedermanne bey dieser hoch berühmten Stadt bewust / daß ich / als ein eifriger Römisch Catholischer / alle Tage eine Messe höre / die Heiligen Gottes gebührend ehre / in die Kirchen und Klöster nicht wenig spendire / und der heiligen Brüderschafften[127] Gebet mit ansehnlichen Kosten erkauffe. Wie könte denn ein böser Wille und Vorsatz in einen rechten Christen fallen? Gelanget derowegen an meine hochgeneigte Patronen mein demütiges bitten / sie wollen nicht alleine mich von dieser grossen injurien, die ich mir tief zu Hertzen ziehe / großgünstig absolviren / sondern auch meine Verleumdere also mit einer Exemplarischen Straffe ansehen / daß sie förderhin bedenken nehmen / ehrliche Leute so unverschuldeter Weise zu beschmitzen.

ADSESSOR I. Barbirer / mit Worten ist es nicht außgerichtet. Wir haben satten Beweiß in Händen / daß ihr das / wessen ihr beschuldiget werdet / gethan habet. Ihr wendet ein / daß ihr alleine eine solche That nicht verüben können. Dessen aber hat euch niemand beschuldiget. Hat euch doch der Herr Praesident selber gesaget / daß ihr etliche Helfershelfer bey euch gehabt / die wir euch / so es nöhtig seyn wird / alle mit Nahmen nennen und vorstellig machen können. Daß es auch ferner euch am Willen nicht ermangelt / kan ein iedweder / so gesundes Gehirns ist / auß eurer curiosität gar leichtlich schliessen. Denn ihr möget ie nicht leugnen / daß ihr lange Zeit begierig gewesen / einen lebendigen Menschen aufzuschneiten / und also per experientiam den motum cordis humani zu erlernen. Sehet / hier ist eure Supplication in originali, die ihr vor diesem deswegen bey uns angegeben.[128]

ADSESSOR II. Vnd was habt ihr / als ihr damals von uns abgewiesen wurdet / alsobalden im hinaußgehen vor der Thür geredet?

CHIRURGUS. Ich kan mich nichts ungeziemendes erinnern.

ADSESSOR II. Habt ihr nicht außdrüklich gesagt / ihr müsset de och zu eurem Zwekke gelangen / es geschehe recht- oder unrechtmässiger weise?

CHIRURGUS. Hiervon / mein Patron, ist mir nichts wissend.

ADSESSOR II. Wie? wenn ich euch den Gerichtsdiener fürstellete / der es euch ins Gesichte sagte? Schämet ihr euch denn nicht / vor uns / die wir an stat der Durchlauchtigsten Signoria hier sitzen / so liederlich zu verneinen / das ihr doch so gewis geredt habt / und alsobald überwiesen werden könnet? Daraus ist leicht abzunehmen / daß wir eurem Leugnen in der Hauptsache nicht so leicht Glauben beymessen können.

CHIRURGUS. In Wahrheit / meine hochgeehrte Patronen / ich kan die Hauptsache nicht gestehen.

ADSESSOR III. Ihr werdet sie aber bald gestehen müssen. Denn was wollet ihr noch länger leugnen. Es ist vorgestern Hans Vnfug / einer auß der verfluchten Banditen-Gesellschafft / einer Missethat wegen auff die tortur gebracht worden / damit wir nicht allein die[129] Vmstände seiner Mißhandlung / sondern auch / ob er etwa ein mehrers begangen / erfahren möchten. Als dieser den Ernst des Nachrichters empfunden / hat er eure That mit allen Vmständen / was ihr / er selbst / und die andern drey darbey gethan / haaresklein erzählet und berichtet. Vnd meinet ihr nicht / daß der wunderbahre GOtt solche ungeheure That bey Zeiten habe an des Tages Licht bringen wollen / damit ihr euch nicht gelüsten lassen mögtet / mehr dergleichen Proben vorzunehmen / auf daß ihr ex inductione argumentiren köntet?

CHIRURGUS mit zittern der Stimme. Meine großgeneigten Patronen werden nicht einem Banditen mehr glauben / als einem redlichen Manne.

ADSESSOR IV. Wolan / ist euch das Zeugnis des Banditen nicht genug / so wollen wir euch die andern zweene Helfer / so albereit apprehendirt, und in die Custodi bracht / auch vor die Augen stellen / und euren Gesellen balde darzu bekommen. Denn die Diener sind schon nach ihm geschikkt. Seyd ihr nun nicht gnugsam überwiesen? Was vor ein Gemüht können wir auß solcher ungegründeten tergiversation schliessen? Gehet ihr nur in euch selbst / fragt euer böses Gewissen; das wird euch eben das sagen / was wir euch gesagt haben.

PRAESES. Sie sehen doch / meine Herren / wie ihn das Gewissen schon plaget und naget. Kann er doch weder[130] Hände noch Füsse stille halten / so trutzig er anfänglich redete.

CONSCIENTIA peitschet ihn. Wilst du es noch nicht bekennen? Wilst du es noch nicht bekennen? Ich höre nicht auf zu peitschen / biß du es bekennest.

CHIRURGUS. Meine Patronen geruhen doch dies Weib hinaus zu schaffen. Darnach will ichs bekennen.

ADSESSOR I. Was vor ein Weib? Wir sehen keins.

CHIRURGUS. Die Conscientiam.

PRAESES. Kommt er mir doch vor / als wär er nicht mehr recht bey Sinnen.


Kehrt sich zum Chirurgo.


Wollt ihrs bekennen / so thuts bey Zeit. Wo nicht / so müßt ihr auff die tortur.

CHIRURGUS. Weil Conscientia spricht / sie wolle mir nicht ehe Friede lassen / biß ichs bekandt / so bekenne ich mit grosser Hertzens-Angst / daß ich alles gethan / wessen ich beschuldiget worden. Bitte aber gantz demütig um Linderung der Straffe.

PRAESES gegen die Adsessores. Weil er die That gestehet / muß er in Hafft genommen werden.


Adsessor I. klingelt / darauf ko it der Büttel / zu welchem der Adsessor sagt.
[131]

Ni i den Barbirer in Hafft / und verwahre ihn wohl / daß er nicht entkomme.

BÜTTEL. Wie ich befehlichet / so will ich thun. Kommt / geht mit mir.

CHIRURGUS. Ach! ich armer! was hab ich gethan?


Gehen beyde ab.


PRAESES. Morgen werden wir wieder zusammen ko ien.


Gehet mit den andern ab.

Moriones agiren.


Quelle:
Johann Sebastian Mitternacht: Dramen. Tübingen 1972, S. 126-132.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Weiße, Christian Felix

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon