Leise Lieder

[17] Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,

Lieder, die kein sterblich Ohr vernimmt,

noch ein Stern, der etwa spähend wacht,

noch der Mond, der still im Äther schwimmt;


denen niemand als das eigne Herz,

das sie träumt, in tiefer Wehmut lauscht,

und an denen niemand als der Schmerz,

der sie zeugt, sich kummervoll berauscht.


Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,

dir, in deren Aug mein Sinn versank,

und aus dessen tiefem, dunklen Schacht

meine Seele ewige Sehnsucht trank.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 17-18.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ich und die Welt
Christian Morgenstern. Sämtliche Dichtungen / Ich und die Welt