Casta regina!

[52] Wie oft zerriß ich

der Leidenschaft

schwüles Rosengerank

um Deinetwillen,

reines Weib,

und sang Dir, zartesten Glückes voll,

Anbetung und Liebe!


Dich,

die, keusch in innerster Brust,

ihrem Herren sich wahrt,

grüßt, Ehre bietend, mein Herz

und fleht aus der Sonne der Zukunft

den goldensten Strahl

Deiner Stirn.


Süß ist das Spiel der Liebe,

und die Rosen der Wollust duften heiß –

purpurne Lieder blühn ihr

aus meiner Harfe –

doch mit dem würdigsten Kranze

krön ich

die weiße Stirne der Keuschheit.
[53]

Trunkne Mänade

die du in fallenden Schleiern

vor glühenden Jünglingen

schrankenlos rasest –

lodernder Urgewalt

bist du ein göttlich Bild.


Aber vor Dir,

die, göttlicher noch,

der Mutter in sich

die Jungfrau opfert,

knie ich in Ehrfurcht,

und große Söhne

segnen mit mir

Dein heiliges Haupt.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 52-54.
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