Die Herbstfeier

[737] Auf! im traubenschwersten Tale

Stellt ein Fest des Bacchus an!

Becher her und Opferschale!

Und des Gottes Bild voran!

Flöte mit Gesang verkünde

Gleich des Tages letzten Rest,

Mit dem Abendstern entzünde

Sich auch unser Freudenfest!


Braune Männer, schöne Frauen

Soll man hier versammelt sehn;

Greise auch, die ehrengrauen,

Dürfen nicht von ferne stehn;

Knaben, so die Krüge füllen,

Und, daß er vollkommen sei,

Treten zögernd auch die stillen

Mädchen unserm Kranze bei.


Noch ist vor der nahen Feier

Süß beklommen manche Brust,

Aber weiter bald und freier

Übergibt sie sich der Lust.

Taut euch nicht wie Frühlingsregen

Lieblicher Gedankenschwarm?

Erdenleben, laß dich hegen,

Uns ist wohl in deinem Arm!


Wahrlich und schon mit Entzücken

Ist der Gott im vollen Lauf,

Schließt vor den erwärmten Blicken

Seine goldnen Himmel auf.

Amor auch hat nichts dawider,

Wenn sich Wang an Wange neigt,

Und der Mund, im Takt der Lieder,

Sich dem Mund entgegenbeugt.
[737]

Mädchen! schlingt die wildsten Tänze!

Reißt nur euren Kranz entzwei!

Ohne Furcht, denn solche Kränze

Flicht man immer wieder neu;

Doch den andern, den ich meine,

Nehmt, ihr Zärtlichen, in acht!

Und zumal im Mondenscheine,

Und zumal in solcher Nacht.


Laßt mir doch den Alten machen,

Der sich dort zum Korbe bückt

Und den Krug mit hellem Lachen

Kindisch an die Wange drückt!

Wie sein kleiner Sohn geschäftig

Sorge um den Zecher trägt

Und ihm mit der Fackel kräftig

Den gekrümmten Rücken schlägt!


Aber schaut nach dem Gebüsche,

Wo gedrungner Efeu webt,

Wie sich dort das träumerische

Marmorbild des Gottes hebt!

Lasset uns ihm näher treten,

Schließt mit Fackeln einen Kreis!

Flehet zu ihm in Gebeten,

Doch geheimnisvoll und leis.


Wie er lächelnd abwärts blicket!

Er besinnet sich nur kaum.

Herrlicher! dein Auge nicket,

Doch dies alles ist kein Traum;

Luna sucht mit frommer Leuchte

Dich, o schöner Jüngling, hier,

Schöpfet zärtlich ihre feuchte

Klarheit auf die Stirne dir.


Wie der Menschen, so der Götter

Liebster Liebling heißest du:

Selber Zeus rief seinem Retter

Herzliches Willkommen zu;

Dumpf ist des Olympus Dröhnen,[738]

Aber wie melodisch Gold

Muß sein starres Erz ertönen,

Wenn dein Thyrsus auf ihm rollt.


Und eh Mars im Kriegerschwarme

Sich zur Ebne niederläßt,

Schließet er in seine Arme

Dich, wie die Geliebte, fest,

Fühlet nun an Göttermarke

Sich gedoppelt einen Gott,

Und es brüllt der Himmlisch-Arge

Todeslust und Siegerspott.


Wie dir alle dienen müssen,

Schmiegt auch Eros' hohe Macht

Leise tot sich dir zu Füßen,

Oder schauert auf und wacht.

Und Apollo mit der Leier

Rufet Welt und Sternenbahn

Gern aus dem verklärten Feuer

Deines holden Wahnes an.


Vater! soll, zur Wut erhoben,

Jetzo mit zerschlagner Brust

Die Mänade um dich toben?

Fluchst du unsrer keuschen Lust?

Gib, o Fürst, gib uns ein Zeichen,

Daß wir deine Kinder sei'n!

Wundertäter ohnegleichen,

Laß ein Wunder uns erfreun!


Tritt in unsre bunte Mitte,

Oder winke mit der Hand,

Wandle drei gemeßne Schritte

Längs der hohen Rebenwand!

– Ach, er läßt sich nicht bewegen ...

Aber, horcht, es bebt das Tal!

Ja, das ist von Donnerschlägen:

Horch, und schon zum drittenmal!


Selber Zeus hat nun geschworen,

Daß sein Sohn uns günstig sei.[739]

So ist kein Gebet verloren,

So ist der Olymp getreu.

– Doch nach solcher Götterfülle

Ungestümem Überschwang

Werden alle Herzen stille,

Alle Gäste zauberbang.


Stimmet an die letzten Lieder!

Und so, Paar an Paar gereiht,

Steiget nun zum Fluß hernieder,

Wo ein festlich Schiff bereit.

Auf dem vordern Rand erhebe

Sich der Gott und führ uns an,

Und der Kiel, mit Flüstern, schwebe

Durch die mondbeglänzte Bahn!


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 737-740.
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