Siebentes Kapitel.

Unglück bringt uns oft dem Glücke näher.

[50] Graf Viktor von Mayland lebte in heimlicher Fehde mit einem Fürsten aus dem Hause Visconti. Der Grund ihrer Streitigkeiten und die Ursach, warum beide sich nur heimlich zu schaden suchten, sind Dinge, welche hieher nicht gehören. Ehrgeiz und Rache trieben den Grafen an Wenzels Hof, er bot ihm hundert tausend Gulden, eine für die damaligen Zeiten ungeheure Summe, wenn ihm der Kaiser den herzoglichen Titel gewähren wollte. Der Kaiser war taub gegen die Vorstellung seiner Fürsten, Graf Viktors Bitte abzuschlagen, er hörte nur seinen Eigennutz, er gab, ganz wider die Reichsverfassung, dem Grafen was er öffentlich verlangte, und versagte ihm, wie die Sage berichtet, auch das nicht, warum er heimlich bat, das Recht in seinen Landen ein Freygericht zu stiften, das ist, wider jeden den er haßte, und einen Schein des Verbrechens ausbringen konnte, tausend heimliche Henker zu bewafnen, die ihn richten konnten, wo sie ihn fanden, ohne daß jemand sein Blut rächen durfte.

Dieser letzte Theil von Graf Viktors Gesuch liegt zu sehr in Dunkelheit gehüllt, als daß sich etwas zuverläßiges davon sagen ließ, aber so viel ist gewiß, daß er alles erhielt, was er verlangte, und[50] des Kaisers Willfährigkeit noch großmüthiger bezahlte, als er versprochen hatte.

Jetzt waren, nach Wenzels Meynung, unerschöpfliche Schätze in seinen Händen. Ganz Prag erschallte von dem Getümmel der Freude, tausend schwelgerische Feste wurden gefeyert, zu denen Herzog Viktors Erhöhung die Veranlassung seyn mußte. Die Unterthanen, so sehr sie auch die Ausschweifungen ihres Kaisers tadelten, bildeten sich doch im Stillen ihm nach. Wenzels Verschwendung gab auch andern Mittel zum Wohlleben in die Hände, und der Rausch, von welchem bei Hofe alles taumelte, verbreitete sich in die entferntesten Quartiere der Stadt.

In einer von denen in dieser Epoche durchschwelgten Nächten, war es, da im östlichen Theil der Stadt jene schreckliche Feuersbrunst ausbrach, von welcher noch einige der ältesten Chroniken gedenken. Mitternacht war bereits vorbey, der Kaiser und sein Zechgeselle, der Fürst von Ratibor, schenkten eben den Pokal ein, der den letzten Ueberrest ihres Bewußtseyns ersäufen sollte, indessen um und neben ihnen bereits alle diejenigen ohne Verstand lagen, die den Wettstreit der Schwelgerey mit ihnen begonnen hatten. Lallend und mit wildem Gelächter erzählten sie einander, wie einer ihrer Gefährten nach dem andern, von Wein übermocht, dahingesunken[51] war, stritten, zuweilen fast bis zur Thätlichkeit, über die Ordnung, in welcher dies geschehen war, und über den Augenblick, in welchem sie das Schicksal der andern treffen würde.

Mittlerweile hatte der jüngere, kleinere und bessere Theil der Gesellschaft nur aus dem Becher der Freude getrunken, und ergötzte sich mit dem edlern Vergnügen des Tanzes. Herrmann war mitten in dem jugendlichen frölichen Zirkel. Nachdem er lange unter dem Trupp lachender Jünglinge und Mädchen allein traurig gesessen, bald sich an ein Fenster gestellt hatte, wo er die Gegend von Idas Wohnung sehen konnte, bald sich unmuthig hinweg gewandt, und den tausendmal vergeblich gefaßten Entschluß erneuert hatte, das reizende Bürgermädchen zu vergessen, so fieng er endlich an seine Zuflucht zu dem gefährlichen Gegengift des Kummers, dem Trunke, zu nehmen. Er war zu edel, sich um sein Bewustseyn zu trinken, aber doch hatte er endlich den Becher oft genug geleert um froh zu seyn, und in jedem Mädchen, das an seiner Hand die bunten Reihen hinabschwebte, eine Ida zu sehen.

Mitten in dem frohen Taumel, in welchem er und alle seine Gefährten sich befanden, wurden sie durch ein ungewohntes Geschrey erschüttert. Es ist die Schildwacht, sagte eine liebliche Blondine zu dem schönen Herrmann, und drückte seinen Arm fester an ihr Herz; sie verkündigt den Tag, laß uns[52] die fliehenden Stunden nicht versäumen! Die Schildwachen, vielleicht die einigen ganz nüchternen Männer in der Gegend des Schlosses, verdoppelten ihr Rufen. Die Musik schwieg, man horchte. Es ist Feuer! riefen einige Stimmen. Feuer! riefen die andern, und der ganze Schwarm der Tänzer wickelte sich in einen Knäuel zusammen, und stürzte nach den Thüren und den Fenstern, um theils zu fliehen ehe man wußte wo die Gefahr war, theils zu forschen, wo sie sey.

Herrmann war unter den letzten. Er flog an das Fenster, wo er diesen Abend so oft gestanden hatte, und sahe den hohen Schloßberg hinab in die weite Ferne hinaus. Die ganze östliche Gegend des Himmels schwamm in Feuer. Plötzlich stieg der Gedanke an Ida in seiner Seele auf, der Taumel der Selbstvergessenheit verschwand. Er rief den Namen seines Mädchens aus, schleuderte die holde Blondine, welche noch an seinem Arm hieng, von sich, und wandte sich halb ausser sich um, das Zimmer zu verlassen. Er arbeitete sich durch das drückende Gedränge, welches das Fenster und die Thüren besetzt hielt, stieß zu Boden was sich ihm widersetzte, und erreichte endlich die Gasse.

Ohne sich der Dauer des Weges bis zu Münsters Hause, oder der Art, wie er ihn zurück gelegt hatte, bewußt zu seyn, langte er daselbst an, und – doch man erspare mir die Beschreibung des[53] schrecklichen Schauspiels, welches sich Hermann hier gezeigt haben würde, wenn er für irgend etwas, als die Gefahr seines Mädchens, Sinn gehabt hätte.

Wahrscheinlich war man das Unglück in dem Viertel der Stadt, welches von demselben betroffen wurde, später gewahr geworden, als es die nüchterne Schildwache auf dem hohen Schloßberge ausgerufen hatte. Ein Theil der unglücklichen Bewohner dieser Gegend hatte im schwelgerischen Rausche von Festen, die auch hier gefeyert wurden, der andere in jenem tiefen Schlafe gelegen, in welchen die Arbeitsamkeit ihre Freunde einwiegt.

Die Bewohner des Münsterschen Hauses waren unter den letztern gewesen, bey ihnen wußte man nichts von üppigen Lustbarkeiten, sondern widmete einen Wochentag wie den andern dem Fleiße und die Nächte der Ruhe. Es war die Nacht vor Kreuzerhöhung, da sich diese fürchterliche Begebenheit zutrug, und eine solche Nacht zu durchschwärmen, würde bey dieser frommen Familie doppelt strafbar gewesen seyn.

Der halbentseelte Herrmann fand den alten Münster und seine Frau mit gerungenen Händen bey ihrem brennenden Hause stehen, und nach ihrer Ida rufen, mit Mühe hatten die unglücklichen Eltern ihr eigenes Leben gerettet, der Vater, welcher in die Gluth zu rückgekehrt war, und seine Tochter vergebens auf ihrem Zimmer gesucht hatte, fühlte[54] nicht die Schmerzen seines bey dieser Gelegenheit schwer beschädigten Arms, und die Mutter schien alle Augenblick im Begriffe zu seyn, sich ins Feuer zu stürzen, um die Verlorne zu suchen, oder mit ihr zu sterben.

Ida? rief Herrmann, als er die Klagen der Eltern hörte, Ida ist verloren? ha! ich muß sie suchen, sie retten! Diese Worte waren kaum geendigt, als er eine Leiter ergriff, und sie an dem Theile des halb zerstörten Hauses anlegte, den ihm die Mutter mit dem Finger zeigte; die lodernde Gluth hatte sich von dieser Ecke gewendet; über glimmende Balken und glühende Steine klimmte Herrmann zu der Kammer seines Mädchens. Der dicke Rauch verbarg ihn dem Auge der Schauenden. Idas Eltern konnten den Retter ihrer Tochter nicht mehr sehen. Auch er ist dahin! schrie die Mutter, und rang die Hände, aber in dem Augenblicke kam er wieder hervor, drängte sich tiefer in die rauchenden Trümmern, verschwand nochmals, zeigte sich wieder, fieng an die Leiter hinabzuklimmen, stürzte sich einigen, die ihm zu Hülfe kamen, in die Arme, und blieb ohnmächtig liegen.

Leer? rief die herbeydringende Mutter, er kommt leer? Ach Gott, wo ist meine Tochter!

Indessen die Mutter über Ida jammerte, beschäftigte sich der Vater mit dem heldenmüthigen Jünglinge, der sein Leben vergeblich gewagt hatte.[55] Der Rauch hatte ihn auf seinen wiederholten Bemühungen um die, die er liebte, fast erstickt, Angst und Anstrengung seine Kräfte aufgezehrt, seine Ohnmacht war dem Tode ähnlich, und nur die Schmerzen der Beschädigungen, die er erlitten hatte, konnten ihn endlich erwecken.

Mit der zunehmenden Gluth mehrte sich auch die Anzahl der herbeydringenden Menge, der Tag war angebrochen, die Schwelger und Schläfer von Prag wurden wach, und man fieng an ernstlich auf Rettung zu denken, die nun fast zu spät kam.

Idas Eltern verliessen die Gegend des Schreckens, wo sie alles verloren zu haben glaubten, und begaben sich nach einem kleinen Hause, welches von den Flammen verschont geblieben war, und welches ihnen gleichfals zugehörte. Idas unglücklicher Retter ließ sich auf ihre Bitte von seinen Leuten an den nemlichen Ort bringen, weil die Mutter schwur, sie könne seine Wartung niemand als sich selbst anvertrauen.

Sie hatten den Weg dahin noch nicht halb zurück gelegt, als aus den immer mehr zuströmenden Gedränge, ein Mädchen, als Ida, sich in ihre Arme stürzte.

Es ist unmöglich die Wirkung zu beschreiben, die die Erscheinung der Verlornen bey den dreyen, die sie so unaussprechlich liebten, anrichtete; der schwache Herrmann ward von neuem ohnmächtig,[56] und der Mutter gieng es nicht besser. Nur der Vater hatte Besonnenheit genug, die Tochter, die weinend in seinen Armen lag, um die Möglichkeit, um die Art ihrer Rettung zu fragen.

Rettung? rief Ida, Gott sey Dank, daß ihr gerettet seyd, ich habe nichts von Gefahr gewußt, nichts davon geträumt, bis ich von dem Unglück hörte, daß sich in unserer Gegend zugetragen habe, und halb sinnlos herbeyeilte, euch gerettet zu sehen, oder mit euch zu sterben.

Jetzt erst besann sich der Vater, daß Ida noch des vorigen Abends spät um Erlaubniß gebeten hatte, nebst ihrer Magd, die Metten in der entfernten Marienkirche zu besuchen, welche gleich nach Mitternacht angieng, und mit Anbruch des Tages endigte; dort hatte das Gerücht von dem Unglück ihrer Eltern das fromme Mädchen getroffen; und der gute Engel, der sie vor ihrem eigenen Verderben vorüberführte, brauchte sie nunmehr zum Mittel, auch die andern zu trösten, und sie mitten im Unglück den höchsten Grad von Freude fühlen zu lassen.

Herrmann war zu sich selbst gekommen, man stellte ihm die lebende Ida vor, die ihm ganz so dankte, wie das, was er für sie gethan hatte, es verdiente. Er blieb in dem Hause ihrer Eltern, sie ward seine Wärterin, und ob seine Liebe dadurch genährt, und die ihrige angefacht wurde, läßt sich denken.[57]

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 50-58.
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