Vierzehntes Kapitel.

Hofscenen.

[123] Die Münsterin brach in Thränen aus. Ihr Mann hatte recht; die letzte Vorstellung rührte sie am meisten. Ida nicht mehr zu sehen, welch ein Gedanke! Gern hätte sie zurück genommen, was sie gethan hatte, um nur nicht die Trennung von derjenigen erfahren zu müssen, welche sie über alles liebte, aber – es war nunmehr zu spät. – Ida ward noch diesen Abend zur Kaiserinn gerufen, und bedeutet, sie müsse sich entschließen, das Haus ihrer Eltern zu verlassen, und das Hofleben zu versuchen.

Es ist unmöglich die Verfassung des jungen Mädchens bey einem Antrage zu beschreiben, der ihr so unerwartet kam, (denn die Reden ihrer Mutter dünkten ihr nur Scherz zu seyn) dessen Grund sie nicht einsehen und von welchem sie sich selbst nicht erklären konnte, ob er ihr Freude oder Kummer machte. – Allerdings war etwas in ihr, das ihr sagte, sie sey nicht für die Sphäre geboren, in welcher sie bisher gelebt hatte; aber doch war auch so vieles, das ihr in ihrer bisherigen Lage gefiel. Sie sollte die ruhige Stille, die sie liebte, die ihrem sanften Charakter so angemessen war, mit dem Geräusch der großen Welt vertauschen,[123] sollte Eltern verlassen, um unter Fremden zu leben? – Münster sah ihren Kampf und beklagte sie. Ihre sogenannte Mutter drückte sie fest an ihr Herz, sprach vom Glück, Schicksal, Trennung, und tausend Dingen, deren Sinn das Mädchen nicht einsehen konnte, weil man nicht für gut fand, ihr den kleinsten Wink von demjenigen zu geben, was sie doch so nahe anging. – Vielleicht würde die Münsterinn jetzt bey dem Eintritt einer der wichtigsten Epochen ihres Lebens kein Bedenken getragen haben, ihr alle Geheimnisse zu entdecken, aber Münster verbot es ihr, und sie mußte sich entschließen, nach so vielen eigenmächtig gethanen Schritten doch in einem Stücke zu gehorchen. – Die Kenntniß ihrer Herkunft nützt ihr nichts, sagte er, sie wird ohne dieselbe weit weniger Versuchung haben, von der Demuth, der Bescheidenheit, der löblichen Zurückhaltung abzuweichen, die ihr zukommen, und die noch das einige sind, was sie auf dem schlüpfrigen Wege, den sie antritt, aufrecht erhalten können. Auch mag sie immer glauben, daß man sie aus eigner Bewegung nach Hofe fordert; dieses kann ihr auf der andern Seite einen kleinen Stolz einflößen, der sie veranlassen wird, nie die gute Meynung zu verscherzen, welche man jetzt von ihr zu haben scheint, auch könnte es vielleicht seyn, gute Marie, daß sie dir es in der Folge nicht sehr[124] danken würde, daß du unvorsichtig genug warest, ihr ihren gefährlichen Posten zu erkaufen, und es ist dir doch wohl daran gelegen, in den Augen der verständigen Ida nicht zu verlieren.

Der Mann sprach wie ein Orakel, man folgte ihm diesmahl, und das junge Mädchen ward mit allgemeinen guten Lehren abgefertigt, welche in nicht viel mehrern bestanden, als darinn, sie sollte immer ihrem redlichen truglosen Herzen gemäß handeln, und sich in zweifelhaften Fällen des Raths ihrer Eltern bedienen. Münster war der altmodischen Meynung, daß der gerade Weg nie trügen könne.

Die Geschichte meldet nichts umständliches von Idas Aufnahme bey Hofe, nur dies sagt sie, daß sie die Kaiserinn, für welche sie eine so große Ergebenheit in ihrem Herzen fühlte, bey weitem nicht so hold und gnädig fand, als da sie sie an Allerheiligen zum erstenmahl sahe.

Diese Erscheinung war etwas sehr natürliches; Sophie, so kurze Zeit auch seit ihrem Leben am Hofe verflossen seyn mochte, war jetzt nicht mehr die junge unerfahrne Prinzeßinn, die beym ersten Schritt aus dem Kloster in die Welt von jedem neuen Gegenstande heftig gerührt wurde, und ihre Gefühle ohne lange Ueberlegung, ohne Zurückhaltung äusserte. Auch hatte ihr die Fürstinn von Ratibor ein gewisses Bewustseyn ihrer Hoheit eingeflößt,[125] welches sie hinderte ganz so liebenswürdig zu seyn, als sie konnte, sie war eine majestätische Fürstinn, aber für den, der ihr gleichgültig war, keine einnehmende Frau, und gleichgültig war ihr Ida für den gegenwärtigen Augenblick. – Der ehemahlige Eindruck war gänzlich verschwunden, sie sah in Ida nichts als das gemeine Bürgermädchen, welches sich erkühnte, schöner und einnehmender zu seyn, als ihr Stand mit sich brachte. Auch verlor Ida dadurch unendlich viel, daß sie Sophien aufgedrungen ward. Der Kaiser hatte mit seiner gewöhnlichen heroischen Art seiner Gemahlinn erklärt, daß er wünsche die junge Münsterinn unter ihrem Frauenzimmer zu sehen. Sophie hatte, wie sie denn manchmal pflegte, gefragt, warum? und Wenzel hatte sich wohl gehütet zu antworten, weil mir die Mutter zweyhundert und funfzig goldne Schilde dafür gezahlt hat, sondern er hatte ganz kaltsinnig seinen Willen, und die Schönheit des jungen Mädchens zur Ursach angeführt; eine Erklärung, welche von Sophien mit Stillschweigen und von ihrer Oberhofmeisterinn mit einem höhnischen Seitenblick auf ihre Gebieterinn beantwortet wurde.

Soll ich Ew. Majestät zur glänzenden Verwahrung ihrer Hofstatt glückwünschen? fragt die Fürstinn von Ratibor als sie mit Sophien allein war. Die Kaiserinn schwieg. – Nun wahrhaftig,[126] fuhr die Fürstinn fort, wenn wir die gemeinen Bürgerdirnen unter unsere Fräuleins aufnehmen wollen, so wird unser Hof bald allen andern zum Muster dienen können! – Doch jedes Ding hat seine Ursach. Die Münsterinn wird für schön gehalten wie ich höre, und Susanne wird alle Tage häßlicher. Ein kleiner Tausch, ein Wechsel ist ja wohl dem Herrn des deutschen Reichs erlaubt.

Man hört aus dieser Probe, daß die Oberhofmeisterinn Erlaubniß hatte, sehr frey mit Sophien zu sprechen, sie war die einige Vertraute von Wenzels unglücklicher Gemahlin und dieses gab ihr ein Recht, zu sagen was sie wollte. Sie fuhr in ihrer giftigen Rede fort, und fand so viel Eingang bey der Kaiserin, daß es Wunder war, wie Ida noch so empfangen werden konnte, als sie empfangen ward.

Das junge Mädchen merkte indessen wohl, daß sie hier andere Blicke würde ertragen lernen müssen, als sie gewohnt war, doch beredete sie sich, dies sey Hofton, und rechnete das, was ihr von dieser Art mehr als andern zu Theil ward, sehr demüthig auf ihren niedrigen Stand. Zuweilen fiel es ihr denn auch wohl ein, warum man sie aus ihrer Dunkelheit hervorgezogen habe, wenn man ihr nicht besser begegnen wollte, doch half[127] ihr die fromme Einfalt ihres Herzens alles zum besten erklären, und alles ertragen.

Aller Augen waren indessen auf das junge Bürgermädchen gerichtet, ungeachtet alle sich stellten sie zu übersehen. Die Männer flüsterten sich hinter ihrem Rücken zu; sie ist schön, sehr schön, und die Damen spähten mit Adleraugen nach Fehlern an derjenigen, welche so widerrechtlich in ihre glänzende Reihe eingeschoben wurde.

Keine von allen Frauen des Hofs war aufmerksamer auf Ida als die Fürstinn von Ratibor, sie lauerte auf Gelegenheit die Meynung, die sie Sophien von ihr beygebracht hatte, zu bestätigen. Vergebliche Mühe! Die junge Münsterinn, wie man sie hier nannte, ging still und ruhig ihren Weg vor sich hin, ahndete nicht einmahl, daß sie bemerkt wurde, und handelte doch so, daß sie die Augen der ganzen Welt zum Zeugen haben konnte. Sie füllte ihren Platz bey Hofe aus, wenn es ihr ziemte, brachte die übrige Zeit mit ihrem Mädchen auf ihrem Zimmer zu, ging täglich in die Kirche, besuchte ihre Eltern an den Tagen da es ihr erlaubt war, und führte sich, wenn Spiel oder Tanz bey Hofe war, so anständig auf, daß alle Pfeile der Verläumdung von ihr abprallten. Dazu kam auch noch, daß der Kaiser gar keine Notiz von ihr nahm, und dadurch die Winke der[128] Fürstin von Ratibor, die sie Sophien des Abends von Idas Aufnahme gab, völlig Lügen strafte. Wenzel war wie bekannt, kein Feind der Weiber, aber die Schönheit der Dirnen, welche ihm gefielen brauchte von keinem so hohen Styl wie Idas Reize zu seyn; Susannens Person war so ohngefehr das Model von dem, was ihn fesseln konnte.

Da die Oberhofmeisterinn nichts schlimmers von dem jungen Mädchen zu sagen wußte, so schwieg sie gar. Sophie hörte nichts böses mehr von Ida, und da sie sie täglich in ihrer vollen Liebenswürdigkeit vor sich sah, so fing sie von neuem an ihr gewogen zu werden. Sie stach so gar sehr vor den andern Fräuleins hervor, welche sie zu bescheiden war, ihre Gespielinnen zu nennen, und die doch immer ihrer stolzen verächtlichen Blicke ungeachtet nur wie ihre Dienerinnen neben ihr standen. Es war in diesen jungen Personen ein unabläßiges Streben einander zu verdunkeln, ein Haschen nach Blicken der Aufmerksamkeit, ein Ringen nach einem Lächeln ihrer Fürstinn, und dieses ließ sie neben der holden unbefangenen Ida in einem unendlich nachtheiligen Lichte erscheinen.

Es war zum Anfange schon genug, daß Herrmanns Geliebte nicht mehr von ihrer Gebieterinn verächtlich übersehen, daß sie mit einigem Wohlwollen[129] angeblickt wurde, es war nur ein kleiner Zufall nöthig, dieses Wohlwollen in Gewogenheit zu verwandeln.

Sophie hatte eines Tages Langeweile, wie es, wenn man es recht bedenkt, Fürstinnen in ihrer Lage oft begegnen muß. Es ist unbekannt, wie sie sich an den Tagen, an welchen sie keine Langeweile hatte, zu beschäftigen pflegte; aber so viel ist gewiß, daß an diesem alle gewöhnliche Artikel der Unterhaltung ausgegangen waren. So gar von Susannen gab es nichts zu sprechen, denn der Kaiser hatte jetzt, da sich einige Hoffnung zeigte, seine Gemahlinn würde ihn mit einem Erben beschenken, sich von seinen Räthen bereden lassen, diesen Stein des Anstoßes auf einige Zeit nach Kunradsburg zu schaffen. Die Kaiserinn durfte jetzt schlechterdings keinen Anlaß zu Verdruß und Aergerniß bekommen, es hing zuviel davon ab, daß der schwankende Thron des schwelgerischen Wenzels durch einen Reichsnachfolger befestiget wurde.

An diesem Abende also, der so ganz leer an Zeitvertreib war, fiel es der Kaiserinn ein, ihre Jungfrauen aufzufordern, und einen Preis für diejenige aufzusetzen, welche irgend ein Mittel ausfündig machen könnte, ihr die schleichenden Stunden angenehm zu vertreiben.[130]

Augenblicklich kam alles in Bewegung, jede der jungen Damen wollte ihre Geschicklichkeit zeigen. Die Sängerinnen, die Tänzerinnen, die Märchenerzählerinnen drängten sich herbey, und thaten ihr Werk so gut sie konnten, aber entweder sie verstanden ihre Künste schlecht, oder der Geist des Unmuths, der Sophien quälte, war so hartnäckig, daß er keiner Beschwörung weichen wollte. – O schweiget, schweiget! rief die Kaiserinn, hört auf, ich bitte euch! Was für Töne! was für Schritte! welche langweilige Tiraden! wie unglücklich bin ich solche ungeschickte Geschöpfe an meinem Hofe zu haben!

O ihre Majestät klagen nicht, rief die boshafte Ratibor. Hier ist ja noch die Münsterinn übrig, sie steht so müßig und unbesorgt da, als ob die Bedienung ihrer Fürstinn sie nichts angienge, und doch zweifle ich nicht, sie wär im Stande alle unsere Fräulein mit ihren Talenten zu verdunkeln. Kommt her, Jungfer, fuhr sie in ihrem höhnischen Tone fort, sprecht, was für Künste versteht ihr die Kaiserinn zu unterhalten? Ihr müßt nicht glauben, daß man um nichts und wieder nichts, eine solche Stelle wie die eurige einnimmt.

Ohne Zweifel war es die Absicht der heimtükischen Oberhofmeisterinn, Ida durch eine unvorhergesehene[131] Aufforderung, durch eine Aufforderung in diesem Tone, so aus der Fassung zu bringen, daß sie, sie möchte auch können was sie wolle, mit Schande bestehen müße. – Ihr Anschlag verunglückte. Ich spiele ein wenig die Harfe, sagte Ida mit einer freymüthigen Verbeugung, und ich würde schon um Erlaubniß gebeten haben sie zu holen, wenn ich es hätte wagen dürfen, Geschicktern als ich vorzugreifen, oder wenn ich hoffen könnte. – –

O hole, hole sie, mein Kind! rief Sophie, ich liebe sie, die Harfe! Ida entfernte sich, und die Fürstinn von Ratibor erwähnte indessen gegen die Kaiserinn, daß sie nächstens ihre Tochter aus dem Kloster erwarte, welche, wie man ihr sage, die Harfe meisterhaft spiele.

Ida trat indessen mit ihrem Instrument herein, stellte sich Sophien zur Seite, griff einige vorläufige Accorde, welche die Meisterinn bezeichneten, und begann – o ihr Genien der Harmonien, welcher unter euch gab ihr den Gedanken ein – begann das Lied, das auf die Kaiserinn an ihrem Vermählungsfeste so eine wundernswürdige Wirkung that. – Sophie athmete kaum, sie heftete ihr Auge fest auf ihre reizende Harfnerinn, die mit ihrem unschuldigen Engelsblick da stand, als ob sie nichts sähe als ihre Saiten, und bald darauf ihr schönes Auge erhob, um den Worten, die sie[132] ihrer entzückten Zuhörerinn sang, doppelten Nachdruck zu geben. – Das Lied war zu Ende, Sophie saß noch mit starr auf sie geheftetem Blick, als spähte sie dem letzten Ton der Harmonie nach, da trat das liebliche Mädchen näher, setzte ein Knie auf die Erde, nahm den Blumenkranz von ihrem Haar, und legte ihn, wie es die Worte des Gesanges heischten, zu Sophiens Füßen. –

Himmlisches Mädchen! Zauberinn! rief Sophie, indem sie die Arme um Idas Nacken schlug, und sie küßte. Welche Empfindungen hast du in meine Seele zurück gerufen! – Steh auf, mein Kind, sagte sie nach einer Weile, als sie die Blicke ihrer Aufmerkerinn, der Ratibor, fest auf sich gerichtet sah, steh auf, du hast deine Sachen gut gemacht! – Der Blick und der Ton der Kaiserinn bey diesen Worten war nicht ganz so gnädig als ihre Umarmung. Ida erkühnte sich noch einmahl, die dargebotne Hand zu küssen, und trat auf die Seite.

Und wär Ida die ausgelernteste Seelenkennerinn gewesen, so hätte sie nichts wirksameres ersinnen können, das Herz der Kaiserinn völlig zu erobern, als das Lied das sie sang. Sophiens Empfindungen bey der Erscheinung der jungen Mädchen an ihrem Hochzeitfeste musten entzückend gewesen seyn, da schon die bloße Erinnerung an diesen Auftritt sie so bezaubern konnte. Doch[133] Dinge von dieser Art sind nichts ungewöhnliches; für wem giebt es nicht gewisse Töne, gewisse Winke, welche ihm den oder jenen Auftritt seines Lebens dermaßen vergegenwärtigen können, daß er alles, was er damals fühlte, von neuem zu erfahren glaubt, und, ist die Erinnerung von angenehmer Art, durch einen unwiderstehlichen Zug zu demjenigen hingerissen wird, der sie hervorbrachte?

Sophie war aufgestanden, und trocknete am Fenster ihre Augen. Die Fräuleins musterten die ruhig an ihre Harfe gelehnte Ida mit neidischen Blicken, und die Oberhofmeisterinn merkte an, daß es sehr spät sey, daß Ihro Majestät der Ruhe bedürften, und daß man sich entfernen müsse. Sophie jahte es, und man gehorchte.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 123-134.
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