Die böse Stunde

[143] Die Stunde, die nicht Wachen mehr,

Und noch des Schlafes Gut nicht spendet,

Sie ist's, die aller Foltern Heer

Verräth'risch gegen mich entsendet.


Ob mich der Blitz des Himmels trifft,

Willkommen biet' ich den Gewittern!

Doch jener Stunde schleichend Gift

Macht mein gestähltes Herz erzittern.


Da sind die Waffen hingelegt,

Womit ich muthig kämpf' am Tage,

Die hingeschied'ne Sehnsucht regt

Sich leis' in ihrem Sarkophage.
[144]

Da strahlt voll schmerzenreicher Huld

Dein Aug auf mich im Liebesscheine

Und fragt mich: Wessen ist die Schuld,

Daß du nicht mein, du ewig Meine?


Da übertönt dein süßer Laut

Des Lebens tosende Orkane,

Und fragt: Du meine Geistesbraut!

Liebst du mich auch, wie ich es ahne?


So ruft's, und jeder Natter Stich,

Das tiefe Elend ist vergessen!

In wilder Inbrunst möcht' ich dich

An meinen Busen jauchzend pressen.


Mein Geist flammt auf zu Gottes Lob,

In meinem Aug' glänzt eine Zähre,

Mein Herz erbebt und schwillt, als ob

Ich nicht schon längst gestorben wäre.


Hinweg du böser Spuk! zurück,

Du bängster von den Schrecken allen,

Um ewig unerreichbar Glück

Ruh'los, ein irrer Geist, zu wallen!

Quelle:
Betty Paoli: Neue Gedichte. Pest 21856, S. 143-145.
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