Aschenbrödel

[215] Was für ein ärmlich traurig Leben

Mit fahlen Fäden dich umspinnt!

Der Freuden mußt du dich begeben,

Du armes, du verlass'nes Kind.

Von gold'ner Zier, von Sammt und Seide

Wird deiner Schwestern Reiz verklärt,

Umwallt vom grauen Alltagskleide

Sitzt Aschenbrödel still am Herd.


So sitzt sie schon seit manchen Jahren

Und wirkt und schafft den ganzen Tag,

Aufsammelnd für die Undankbaren,

Der Mühen köstlichen Ertrag,[216]

Zerstreut, gedankenlos empfangen

Sie, was die Arme ihnen reicht,

Und merken nicht, wie ihrer Wangen

Sanft blühend Rosenlicht erbleicht.


Nur selten, wenn für flücht'ge Stunden

Des Kummers fast vergess'ne Macht

Den Weg zu ihrer Brust gefunden,

Wird Aschenbrödels auch gedacht.

Da muß das treue Herz sie laben,

Das sie so oft, so schwer verkannt,

Und Trost, den sie ihr niemals gaben,

Empfangen sie aus ihrer Hand.


Doch, wenn aus dem geriss'nen Schleier

Die Sonne freundlich wieder blickt,

Wenn neu beginnt die Freudenfeier

Wird Aschenbrödel fortgeschickt.

Da stürzen sie ins Weltgebraus'e

Mit hast'ger Ungeduld hinein,

Und wieder sieht im öden Hause

Arm Aschenbrödel sich allein.
[217]

Sie kann dem Gram nicht länger wehren,

Der ihr verlass'nes Herz bezwingt;

Still fließen ihre heißen Zähren –

Doch was ist dieß? das Fenster klingt,

Durch ihre Kammer rauschen Töne

Voll Himmelslust, voll sel'gem Weh,

Und vor ihr steht in Zauberschöne

Die Poesie, die gute Fee!


Hold lächelnd neigt sie sich hernieder

Und segnet das gebeugte Haupt:

Von meiner Huld empfange wieder,

Was dir das Leben hat geraubt.

Mit meinem Strahlendiademe

Verklär' ich jeden reinen Schmerz,

Die von der Welt Verstoss'nen nehme

Ich liebend an mein Sonnenherz.


Wo trüb und einsam eine Seele

Verkümmern will im starren Frost,

Und ird'sche Hilfe fern, da stehle

Ich mich zu ihr mit lindem Trost,[218]

Bis sie, die trauernd stand im Leben,

Ein fremder, unwillkommner Gast,

Die Luft der Heimat trinkt, daneben

Das Glück der Glücklichen erblaßt.


Drum bin ich dir auch jetzt erschienen

In meines Kummers trüber Nacht!

Sieh, was an Perlen und Rubinen

Ich meinem Kinde mitgebracht!

Voll stolzer Mutterfreude schmück' ich

Mit reicher'm dich als Königsglanz

In deine weichen Locken drück' ich

Den unverwelkbar heil'gen Kranz.«


Doch wie ihr also herrlich prangend

Das Spiegelglas ihr Antlitz zeigt,

O wie sie schüchtern da und bangend

Das Haupt in frommer Demuth neigt!

»Der Glanz auf meinem Angesichte

Ich nenn' ihn nun und nimmer mein!

Er ist von einem ew'gen Lichte

Geheimnißvoller Widerschein!«
[219]

Hinweg aus ihrer armen Klause

Sieht sie mit süßem Schreck sich jetzt

In eines Festes Lustgebrause

Mit einem Zauberschlag versetzt.

Die sonst mit herrisch stolzen Mienen

Gekränkt des Kindes weichen Sinn,

Die huldigen ihr nun und dienen

Ihr wie der schönsten Königin. –


Doch wehe! wehe! kalt und nüchtern

Herein das Licht des Morgens fällt,

Von seinem Strahl entfliehet schüchtern

Die vielgeliebte Traumeswelt,

Dahin die Perlen, das Geschmeide,

Die heitre Pracht, die ihr beschert!

Umwallt vom grauen Alltagskleide

Sitzt Aschenbrödel still am Herd.


Allein ihr Stern ist nicht verglommen,

Und freudig lächelt sie in Weh,

Sie weiß, bald wird sie wiederkommen

Die schöne, die geliebte Fee![220]

Bald nimmt sie, was ihr Kind auch quäle,

Von hinnen mit Erlösungsmacht –

Und ahnend harrt die Dichterseele

Entgegen ihrer Weihenacht.

Quelle:
Betty Paoli: Neue Gedichte. Pest 21856, S. 215-221.
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