45. Constantin an Eneus Florianus.

[35] Hierapolis, im Junius 302.


Vielleicht hat das tausendzüngige Gerücht meinen geehrten Vater, und dich, meinen väterlichen Freund, mit dem Unglücke und der Niederlage unseres Heeres bekannt gemacht, ehe dieser Brief den weiten Raum zwischen den Ufern des Euphrats und der Tamasis zurücklegt. Auf jeden Fall werden die amtlichen Berichte des Diocletian und Galerius meinen Vater schon weitläufig von allen Umständen dieser unseligen Begebenheit unterrichtet haben; ich enthalte mich also aller näheren Beschreibungen. Und die Ursache unseres Unglücks? Die Unzufriedenheit der Offiziere und Soldaten flistert sie sich leise in's Ohr. Ich werde sie Niemand nennen, als meinem Vater und dir, denn nur Ihr kennt mich so, daß natürlicher Widerwille gegen einen heimlichen Feind die Stimme der Billigkeit nicht in mir übertäubt. Ich war Zeuge, Teilnehmer der Schlacht. Nur ein stürmisch heftiges Gemüth, wie Galerius, konnte durch das Andenken an alte Schmach so erhitzt werden, um mit einem ungleich schwächeren Heere und in ungünstiger Stellung anzugreifen. Jetzt bereitet der stolze Perser die schimmernden Gezelte weit diesseits der Gegend aus, wo vor einem Monate die römischen Adler standen. Wir sind am rechten Ufer des Euphrats.

Diocletian, der sich zu Anfang des Feldzugs in Antiochien aufhielt, ist jetzt nach Nikomedien zurückgegangen. Er hat den Cäsar die ganze Schwere seines Zornes fühlen lassen1. Zu Fuß – im Purpur, der in diesem Augenblick den Stachel des Schimpfes schärfte, mußte[36] der stolze Galerius eine Stunde weit dem Wagen des Kaisers folgen. Es wäre thöricht und anmaßend von einem Jünglinge, das Verfahren verständiger Greise, deren gemeinnützige Klugheit achtzehn glückliche Jahre bewährt haben, laut tadeln zu wollen. Doch kann ich nicht bergen, daß mir diese außerordentliche Bestrafung, die mehr von einem Durst nach Rache, als einer weisen Absicht zu bessern zeigt, nicht in Diocletians gewöhnlichem Charakter zu liegen scheint. Entweder hat ihn seine Kränklichkeit reizbarer gemacht, oder es hat der List und den Ränken gelungen, die langgenährten Funken der Zwietracht endlich in eine helle Flamme ausbrechen zu machen. Galerius ist schlau und stolz genug, um seine Demüthigung mit Gelassenheit zu ertragen, und vor der Welt durch Unterwerfung unter den Willen seines Augustus sie als eine väterliche Züchtigung minder entehrend scheinend zu machen. In ihm kocht Rache und Wuth. Er haßt den Augustus, er haßt auch mich, und ich kann Diocletian eben so wenig lieben, wie er. So stehen wir einander entgegen, Jeder gerüstet, Jeder mißtrauisch, Jeder im Andern seinen Untergang befürchtend.

In solchen Verhältnissen ist der Gewinn eines offenen treuen Freundes größer und bedeutender als je. Ich habe mir einen erworben. Es ist ein junger Nikomedier, den ich im Hause des Bischofs kennen lernte. Sein Aeusseres, der Geist, der sich in seinen Reden zeigte, gewann ihm meine Achtung; jetzt hat im genauern Umgange seine Denkart meine Liebe erworben. Er ist auf dem Wege, ein Christ zu werden, in seinem Kopfe ist Raum für viel umfassende Plane, in seiner Brust Liebe und Muth genug, sie auszuführen. Ich suche ihn an mich zu ketten.[37] Doch wozu dies absichtsvolle Wort? Unsre Herzen finden und verstehen sich von selbst. In der letzten Schlacht hat gleiche Gefahr im Sturm des Gefechts unsern Freundschaftsbund, wie ich hoffe, unauflöslich geknüpft. Er ist mein, ich sage es mit Stolz und Liebe, ich habe ihn mir erworben, und ich glaube in jedem Fall auf ihn zählen zu können.

Noch muß ich meinen Vater und dich um Nachsicht bitten, daß dieser Brief so spät, so lange nach den Gerüchten der Schlacht vor Euch kommen wird. Ich war verwundet, nicht beträchtlich, doch so, daß es mich einige Zeit im Schreiben hinderte. Dieser lange Brief und meine Versicherung sollen Bürge für meine vollkommene Herstellung seyn.

Fußnoten

1 Die Hauptzüge dieser Begebenheit sind ganz nach Gibbon.


Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 33, Stuttgart 1828, S. 35-38.
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