Zweiter Akt.

[117] Pallast in Theben.

Jokaste und die Hebammen.


JOKASTE.

Hat man Alles vorbereitet für die nahe Niederkunft?

ERSTE HEBAMME.

Alles, Königin, was immer Pflicht gebietet und Vernunft:

Auf dem Tische hier die Zangen, auch das Horoskop dabei,

Um's dem Kind sogleich zu stellen, und im Pfännchen hier der Brei.

ZWEITE HEBAMME.

Siebenhundert weiße Häubchen dort im Korb, in gleicher Zahl

Stehn in deiner Garderobe Steckenpferde nach der Wahl.

JOKASTE.

Pferdchen auch mit Pfeifen hinten, die ich mir zugleich erbat?

ZWEITE HEBAMME.

Diese nicht, auf unsres Königs eignes Schlafgemachsmandat,

Weil er ungestört zu sein wünscht, wann er schnarcht und wann er schnauft;

Abgesehen, daß die meisten schon nach Dresden sind verkauft,

Wo den Calderon man auspfiff, und den Clauren auserkor.

ERSTE HEBAMME.

Hinter jedem Spiegelrahmen guckt ein Birkenreis hervor.

JOKASTE.

Auch Erziehungsschriften, hoff' ich, hat man reichlich angeschafft?

ERSTE HEBAMME.

In der ersten Eile wurden tausend Stück herbeigerafft,

Nebst Philosophien für Kinder, unter andern die von Fries,

Der den deutschen Waisenhäusern diesen großen Dienst erwies.[118]

JOKASTE.

Wehe mir! Hinweg aus meinen Haaren, schaudervolles Thier!

ZWEITE HEBAMME.

Was befiel die Königin?

ERSTE HEBAMME.

Was ist geschehen?

JOKASTE.

Siehst du hier

Nicht die Fledermaus, die eifrig zwischen meinen Locken pfuscht,

Da sie durch das offne Fenster abendlich hereingehuscht?

ERSTE HEBAMME.

Schnell heraus mit ihr!

JOKASTE.

Vergebens! Sie verwirrt sich im Genick.

ZWEITE HEBAMME.

Böses Omen!

JOKASTE.

Und gerad' in diesem schwangern Augenblick!

Sendet nach Berlin, nach Doktor Raupels ärztlichem Beschluß,

Wie man's etwa bei so trag'schen Fehlgeburten machen muß?

ZWEITE HEBAMME.

Jener, heißt's, ist im Begriffe nach Sibirien zu gehn.

ERSTE HEBAMME.

Will die Fledermaus am Ende blos vielleicht Gevatter stehn?

JOKASTE.

Wehe mir, es naht die Stunde, meiner Last zu werden quitt,

Wie's der Dichter nennt, der neulich über unsre Bretter schritt!

Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei,

Und so fällt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei;

Aber ruft den König jetzo!

ERSTE HEBAMME.

Wohl! Ich eile schnell hinaus.

ZWEITE HEBAMME.

Wendet ab dieß Omen, Götter! Wendet ab die Fledermaus!


[119] Pallast in Corinth.

Zelinde, Diagoras.


DIAGORAS.

Dreißig Jahre sind vergangen und ich hab' umsonst gefleht,

Täglich, ob der Wind aus Westen, ob der Wind aus Osten weht,

Lag ich hier zu deinen Füßen, bat, beschwor dich, seufzte tief,

Ach, und gestern schrieb ich meinen millionten Liebesbrief!

Beide sind wir alt geworden, fünfzig ich und sechszig du:

Wann denn endlich wirfst du mir den ersten Blick der Liebe zu?

ZELINDE.

Nie, Diagoras! Doch besser dünkt mich ein platon'scher Sinn,

Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin.

DIAGORAS.

Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl

Ist ein Wüthrich, und du nahmst ihn nicht einmal aus freier Wahl.

ZELINDE.

Was er über mich verhänget, bin zu dulden ich bereit;

Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderlosigkeit.

DIAGORAS.

Hättest du Gehör mir früher eingeräumt, vielleicht –

ZELINDE.

O still!

Unterdrücke den Gedanken, den die Lippe bilden will!

DIAGORAS.

Jetzt sogar, o laß mich sprechen, da wir ohne Zeugen sind!

ZELINDE.

Nur auf legitime Weise wünsch' ich mir ein kleines Kind.

DIAGORAS.

Länger diese Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft.

ZELINDE.

O bedenke, dreißig Jahre warst du fromm und tugendhaft![120]

Willst du nun den Preis verlieren, den du dir mit Müh' errangst,

Bitter wirst du's dann bereuen in der letzten Todesangst.

DIAGORAS.

Meinem Tode bin ich näher, als du glaubst, o hartes Weib!

ZELINDE.

Für gewissenhafte Seelen ist der Tod ein Zeitvertreib.

DIAGORAS.

Doch der Selbstmord, sprich, Zelinde! däucht er dich moralisch gut?

Denn ich will in's Wasser springen, um zu löschen meine Glut.

ZELINDE.

Gottes Langmuth gönnt dem armen Sünder oft zur Reue Zeit:

Mög' er senden einen Haifisch, der dich schnappt und wieder speit!

DIAGORAS.

Nach der Apotheke lauf ich, und vergebe mich mit Gift.

ZELINDE.

Arzenei'n zu kaufen, Lieber, braucht's des Arztes Unterschrift.

DIAGORAS.

Einen Holzstoß bau' ich, wie der Phönix sein entflammtes Nest.

ZELINDE.

Und wie Dejanira schick' ich dir ein Kleid; doch von Asbest.

DIAGORAS.

Nun, so wird das Schwert mir halten irgend ein geduld'ger Christ.

ZELINDE.

Leichter ist, es vorzuhalten, als hineinzurennen ist.

DIAGORAS.

Sey es, doch mich auszuhungern, fehlt Entschluß und Muth mir nicht.

ZELINDE.

Morgen lad' ich dich zur Tafel; denn es giebt dein Leibgericht.

DIAGORAS.

Phlegma scheint mir deine Tugend!

ZELINDE.

Hitze scheint mir dein Vergehn!

DIAGORAS.

Wann denn endlich darf ich hoffen?

ZELINDE.

»Wann die Todten auferstehn!«[121]

DIAGORAS.

Nun, so laß mich sterben! Lebe wohl und deinem Gatten treu!

Eher als dein Herz entzündet sich ein Schober nasses Heu!

Dorten will ich sterben, wo ich dich zum erstenmal gesehn,

Wo die grünen Bäume rauschen, wo die leisen Lüfte wehn,

Auf Cithärons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn

Birschend einst im Wald du schweiftest, aufgeschürzte Jägerin!

Frühling war's, die Myrten blühten, voll und rauschend ging der Bach,

Rings erklang der Schafe Blöken und der Nachtigallen Ach.

Unter einer Pinie lagst du, deinen Köcher unter'm Kopf,

Dir zur Seite, sammt den Hunden, ein erschoss'ner Wiedehopf;

Schlummernd hielt ich dich für eine Göttin, und ich wagte nicht

Dich zu wecken; aber lange sah ich dir in's Angesicht:

Eine Mücke fing ich endlich, und ich setzte dieses Thier

Auf die Nasenspitze keck dir, auf die rothe Stelle hier.

Du erwachtest, zürnend aber; stammelnd rief ich: O verzeih!

Greifend an die Stirn nach einem schon gehofften Hirschgeweih;

Doch du lächeltest und sagtest: Nicht Diana bin ich, nein!

Aber keuscher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein.

Willst du mich platonisch lieben, magst du folgen deinem Drang:

Flüchtig ist gemeine Liebe, flüchtig wie der Wolke Gang:

Diese schwebt ihr ganzes Leben, rosig heute, morgen grau,[122]

Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thränenthau.

Also sprachst du, jede Sylbe merkt' ich mir und jeden Blick,

Und an jenes Baumes Aeste knüpf ich heute noch den Strick.

ZELINDE.

Wie du willst!

DIAGORAS.

Grausame! Deine letzten Worte wären das?

ZELINDE.

Ja.

DIAGORAS.

So lebe wohl, Zelinde!

ZELINDE.

Lebe wohl, Diagoras!


Diagoras ab.


ZELINDE.

Dieser dauert mich, doch ihn zu retten fiele mir zu schwer:

Eh' ich meine Tugend lasse, lass' ich sterben sechs wie er!


Pallast in Theben.

Jokaste, Lajus, die Hebammen, Oedipus in der Wiege.


JOKASTE.

O mein Gemahl, verlange nicht das neugeborne Kind zu sehn!

LAJUS.

Warum denn nicht, o Königin? Warum denn nicht? Was ist geschehn?

JOKASTE.

Vernimm! Allein es schaudert mir! Hebammen, sprecht und sagt es aus!

ERSTE HEBAMME.

O Majestät!

ZWEITE HEBAMME.

Die Königin –

ERSTE HEBAMME.

Erschrack vor einer Fledermaus,

ZWEITE HEBAMME.

Die frevelhaft verwirrend sich in ihres Haupts Frisur gesetzt.

LAJUS.

Sie that doch nichts Unrechtes dort?[123]

ZWEITE HEBAMME.

Das eben nicht; doch eben jetzt,

Als unser Prinz geboren ward, da zeigte sich auf seiner Brust

Die Fledermaus als Muttermal, sonst ist gesund er und robust.

LAJUS.

Das ist noch nicht so schauderhaft! Regieren kann er immerhin,

Wofern er nur zwo Fäuste hat, das Zepter festzuhalten drin;

Denn jetzo will's gehalten sein! Auf einem Spieltisch neulich blieb

Das meine liegen aus Versehn, indem ich just Gesetze schrieb:

Die blöde Stubenmagd erscheint, sie hält's für einen bloßen Pflock,

Setzt einen Kopf von Holz darauf, und braucht's als ihren Haubenstock.


Die Vorigen, Tiresias.


TIRESIAS.

O fürchterliche Neuigkeit!

LAJUS.

Was giebt's?

TIRESIAS.

O schreckenvolles Wort,

Wie sprech' ich dich?

JOKASTE.

So rede doch!

TIRESIAS.

Ich stellte kaum dem Prinzen dort

Das Horoskop, so fand ich –

JOKASTE.

Was?

TIRESIAS.

Er wird –

LAJUS.

Er wird?

TIRESIAS.

Es ist zu viel!

LAJUS.

Doch nicht im Whist verlieren einst?

TIRESIAS.

O wär' es blos ein Kartenspiel!

JOKASTE.

Doch keinen Kern verschlucken, wenn er Kirschen ißt?[124]

TIRESIAS.

O Kinderei'n!

Den Vater wird er tödten einst, und überdieß die Mutter frei'n.

JOKASTE.

Hebammen, helft der Königin!

LAJUS.

Und solch ein Weh, wie wird's erspart?

TIRESIAS.

Ihn aus dem Wege räume schnell!

JOKASTE.

Nur keine schlechte Todesart!

TIRESIAS.

In einem Mörser allenfalls zerstoßen ihn?

JOKASTE.

Im Mörser? Nein!

Die Köchin stieße Krebse drin ein andermal. Das ist gemein!

TIRESIAS.

In ein Kanönchen laden ihn?

JOKASTE.

Das Schießen greift die Nerven an.

TIRESIAS.

Vorwerfen einem wilden Thier?

LAJUS.

So sei's, und werde schnell gethan!

Denn sicher sind wir beide nicht, so lang' er lebt. He! Melchior!


Die Vorigen, Melchior.


MELCHIOR.

Gestrenger Herr!

LAJUS.

Den Prinzen nimm, und wirf ihn wilden

Thieren vor!

MELCHIOR.

Zu scherzen liebt die Majestät!

LAJUS.

O keineswegs!

MELCHIOR.

Das wilde Thier,

Wo fänd' ich das? Denn heut zu Tag sind alle zahm und voll Manier.

LAJUS.

Zum Berg Cithäron trage du das Kind; in jenen Wäldern ward[125]

Noch neulich mancher Leu gesehn und mancher bunte Leopard.

MELCHIOR.

Doch wenn ein solcher fertig mit dem Prinzen ist, so frißt er mich.

LAJUS.

Hat nichts zu sagen!

JOKASTE.

Melchior! Er fürchtet vor dem Tode sich?

MELCHIOR.

Das eben nicht.

LAJUS.

Schnell! Fort mit ihm!

JOKASTE.

Doch wickl' Er ihn sorgfältig ein,

Der Knabe kriegt den Schnupfen sonst.

MELCHIOR.

Ganz wohl! – Du armes Würmelein!


Ab mit Oedipus.


JOKASTE.

Mich dauert nur der Geldbetrag an Kinderzeug und an Papier:

Im Volk versteigern könnte man die pädagog'schen Schriften hier.

LAJUS.

Die Bücher nicht! Mein Unterthan soll pflügen, zahlen, und zugleich

In Devotion vor mir vergehn, dadurch allein besteht ein Reich!


Ab.

Berg Cithäron.


DIAGORAS allein.

Dieß ist die Stelle, wo mit bitterm Schafte

Der Gott der Liebe mir die Brust zertheilet,

Wo ich gesehn die schöne Tugendhafte,

Die mich so schnell verletzt und nie geheilet;

Denn solche Wunden trotzen jedem Tafte!

Mit ihrer Säge hat die Zeit gefeilet

In meine Stirn indessen manche Linie,

Ja, fast verknorpelt deinen Stamm, o Pinie!
[126]

Hier mögen glückliche Verliebte schweifen,

Den Schmerz genießen und die Freude klagen;

Hier mag ein Hirt der Hirtin Lieder pfeifen,

Und einen Kuß nach jedem Liede wagen;

Hier mag ein Faun nach einer Nymphe greifen,

Wo Büsche laubenhaft zusammenschlagen:

Mich mögen Schäfer hier im Moos begraben,

Und über mich die sanfte Heerde traben.


Doch eh' den Hals ich mit dem Seil umzwirne,

Will hier ich noch einmal des Schlafs genießen,

Er lehre mich und meine müde Stirne,

Wie leicht es ist, die Augen zuzuschließen:

Die Welt vergeht im menschlichen Gehirne,

Der Elemente Bildungen zerfließen,

Die Seele sieht, wie Sonn' und Mond erbleichen,

Und hört den Tod, wie auf den Zehen schleichen.


Er schläft ein.

Diagoras, Melchior mit Oedipus.


MELCHIOR.

Du armes Kind! Auf diesem grünen Platze

Blüht weiches Moos, hier will ich hin dich legen;

Nie möge hier die wilde Tigerkatze

Auffahrend schnauben ihrem Fang entgegen,

Nie hier der Löwe strecken seine Tatze,

Und nie die Natter sich im Kreis bewegen:

Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze,

Mag säugen dich und reichen dir die Zitze!


Festbinden will ich dich an diesen Zweigen,

Und wenn du sollst dein bittres Loos bezwingen,

So werden Nymphen hier dem Bach entsteigen,

Dir im Krystallglas einen Trunk zu bringen,

Und Oreaden ihren wilden Reigen

Bei Mondenschein in deiner Nähe schlingen,

Dich rufen hören, finden dich und laben

Mit süßen Früchten oder Honigwaben!
[127]

Was aber such' ich lange nach Dämonen,

Die ohne Mitleid in des Meeres Gründen,

Auf unersteiglichen Gebürgen thronen,

In Strömen baden, welche nie sich münden?

Hier schläft ein Mensch: Was keine Götter schonen,

Er schont's vielleicht zu Ehren seiner Sünden;

Ihm überlass' ich fliehend dich, o Kleiner,

Er finde, rette dich, und pflege deiner!


Er entfernt sich, Oedipus fängt an zu schreien.


DIAGORAS.

Was für ein Ton? Was sehen meine Blicke?

Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget,

Beständig schreit und zappelnd schwebt am Stricke,

Ja, wie es scheint, nach einer Brust verlanget?

Habt ewig Dank, ihr himmlischen Geschicke!

Ihr Arme, schließt euch, daß ihr's fest umfanget!

O welch Geschenk, o welch ein Angebinde

Für deine kinderlose Brust, Zelinde!


Ab mit Oedipus.

Pallast in Corinth.


ZELINDE allein.

Heute braucht mein Gatte lange, bis er sich zu Tisch begiebt:

Dreißig Jahre sind es, seit er jeden Tag mich minder liebt;

Täglich kommt zu Tisch er später: Als wir Hochzeit kaum gemacht,

Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der Nacht!


Zelinde, Diagoras.


ZELINDE.

Wie? Du kommst zurück, nachdem ich dich bejammert als erhenkt?[128]

DIAGORAS.

Ist das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geschenkt?

ZELINDE.

Deine Drohung, dieses wußt' ich, war gesprochen in den Wind.

DIAGORAS.

Und ein zweites Leben bring' ich dir zurück, ein kleines Kind.

ZELINDE.

Wie? Ein Kind? Was seh' ich! Sage, wie du's überkommen hast?

DIAGORAS.

Auf dem Berg Cithäron, an der Pinie hing die süße Last.

ZELINDE.

Welches Wunder! Ist des Kindes Name dir viel leicht bekannt?

DIAGORAS.

Da ich fand es in der Oede, hab' ich's Oedipus genannt.

ZELINDE.

Schenkst du mir's, so leg' ich's meinem Gatten als mein eignes vor.

DIAGORAS.

Gern, doch zeige mir von nun an einen leidlichem Humor!

ZELINDE.

Wie? So hast du mir den Säugling blos aus Eigennutz gebracht?

DIAGORAS.

Zürnst du, wenn ich stets an dich nur, immer nur an dich gedacht?

ZELINDE.

Dein Gemüth durchschau' ich endlich, welches, dieß erkenn' ich klar,

Nie das Rauchgefäß der wahren, überird'schen Liebe war,

Das von reiner Hand geschwungen nach des reinen Himmels Dom,

Dampft vom Wohlgeruch der Seele, wie von Myrrhen und Amom!

DIAGORAS.

Gern in solche Höhen hätt' ich meine Phantasie geschraubt,

Die sich wider meinen Willen andre Phantasien erlaubt:

Statt des Himmels Dom erblick' ich deines Bettes Himmel blos,

Und am Vorhang zieh' ich, knüpfe seine goldnen Schnüre los.[129]

ZELINDE.

Hör' ich recht? O welche Sitten! Welch ein Abscheu! Welche Pest!

Deine Kühnheit tödtet meiner kühlen Liebe schwachen Rest!

Dieses Kind, das du so eben in die Hände mir gespielt,

Hast du sicherlich mit einer Concubine selbst erzielt:

Während ich platonisch klagte, bist du heimlich mir entschlüpft,

Hast Gardinen aufgezogen, goldne Quasten aufgeknüpft;

Mich begabst du mit dem Bankert, den du in die Welt gesetzt,

Machst mich glauben, auf den Pinien wüchsen kleine

Kinder jetzt? Doch das Kind behalten will ich, und damit es nicht verrucht

Wie der Vater werde, will ich's auferziehn in strenger Zucht;

Aber du entweiche, fliehe dieß Gemach in raschem Lauf,

Eine lange Probe leg' ich, o Diagoras, dir auf!

Dreißig Jahre sollst du, meine Blicke meidend, irre gehn,

Kehren dann nach dreißig Jahren, eine Probe dann bestehn,

Da bisher du nichts als Täuschung, nichts als Hochverrath ersannst,

Ob du mich platonisch lieben, und aus Liebe sterben kannst.

DIAGORAS.

Ueberzeugen dich, ich könne sterben, will ich alsobald,

Fliehen nach der Löwenhöhle, fliehen zum Hyänenwald,

Oder fliehn an's Meeresufer, wo ein lecker Nachen winkt,

Ihn besteigend, will ich schiffen, bis er berstend untersinkt!


Ab.


ZELINDE.

Drohe nur! Nach dreißig Jahren seh' ich dich gesund und frisch

Hier am Hofe wieder; doch da kommt ja mein Gemahl zu Tisch.


[130] Polybus, Zelinde.


ZELINDE.

O mein Gemahl! Gedenke nicht der Nahrung,

Und freue jetzt dich einer süßern Gabe,

Die ich nach mancher ehlichen Erfahrung,

Wie eine Sara, dir zu bieten habe:

In dieser Windeln stiller Aufbewahrung

Schläft, was du lange dir ersehnt, ein Knabe:

Sieh dieses Kind, ich hab' es dir geboren,

Und ihm den Namen Oedipus erkoren.

POLYBUS.

Warum verbargst du diesen großen Segen,

Anstatt die Schwangerschaft mir mitzutheilen?

ZELINDE.

Ich that's, o Freund, des Ueberraschens wegen.

POLYBUS.

Nie pflegt' ich ja dein Lager mehr zu theilen.

ZELINDE.

Auch dieser Vorwurf macht mich nicht verlegen.

POLYBUS.

Besuchte dich Diagoras zuweilen?

ZELINDE.

Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben

Hab' ich verbannt ihn auf ein Menschenleben.

POLYBUS.

Du weißt, ich mache selten viele Worte,

Doch durch Exempel lernt man oft das Meiste:

Es war einmal an einem sichern Orte

Ein junger Kaufmann, welcher sich verreis'te,

Und als er wiederum an seine Pforte

Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiste,

Kommt seine Frau entgegen ihm und bringet

Ein jährig Kind ihm, welches ihn umschlinget.


Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken,

Da ich so lang gewesen in der Weite?

Das Weib erwiedert ohne nur zu stocken:

Ich lag am Fenster, als es eben schneite,

Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken,

Wodurch ich augenblicks gewann an Breite,

Bis dieses Kind zuletzt zur Welt ich brachte,

Und meines lieben Ehgemahls gedachte.
[131]

Dieß Alles glaubt der Mann, so scheint es, gerne;

Doch als das Knäbchen lesen kann und schreiben,

Da nimmt er's mit sich in die weite Ferne,

Auf daß es zeitig sich herumzutreiben,

Und auch die Kaufmannschaft zugleich erlerne,

Wiewohl die Gattin ihn ersucht zu bleiben;

Doch ging und endlich kam zurück der Gatte,

Der keinen Sohn an seiner Seite hatte.


Wo ist das Kind hin, fragt das Weib erschrocken,

Das ich so sehr dich flehte, wohl zu wahren?

Der Mann erwiedert ohne nur zu stocken:

Es ist mir ganz was Eignes widerfahren

Mit diesem wunderbaren Sohn der Flocken;

Denn als wir über einen Berg gefahren,

Den just der Sonnenstrahl beschien, der warme,

Schmolz mir das Kind in meinem Vaterarme!

ZELINDE.

Du spottest mein, statt eine Frau zu preisen,

Die weit erhaben über jedem Lobe!

POLYBUS.

Kannst du die Unschuld nicht sogleich beweisen,

So mord' ich dich in deiner Garderobe!

ZELINDE.

Kehrt einst Diagoras von seinen Reisen,

Dann will ich geben dir die höchste Probe!

POLYBUS.

So lange magst du zittern vor der Strafe!

ZELINDE.

In meine Tugend hüll' ich mich und schlafe!


Ab.


POLYBUS.

Diagoras! Ich werd' es nicht vergessen,

Und wenn Zelinde schlafen will, ich wache,

Und sollten fliehn auch dreißig Ostermessen,

Bevor du wiederkehrst zu meinem Dache!

Anlegen aber will ich selbst indessen

Den Schacht, aus dem ich meine süße Rache,

Den Gran Arsenik denke noch zu fördern,

Der einst mich beigesellen soll den Mördern!

Quelle:
August von Platen: Die verhängnisvolle Gabel / Der romantische Ödipus. Stuttgart 1979, S. 117-132.
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