Das Tal der Unrast

Einstmals war ein stilles Tal,

Unbewohnt; mit Schild und Stahl

Zog das Volk in Kriege fort;

Hielten milde Sterne dort

Vom arzurnen Turm zur Nacht

Über all die Blumen Wacht,

Über denen jeden Tag

Rot und faul die Sonne lag.

Jetzt wird jeder Wandrer sehen

Unrast dieses Tal durchwehen,

Nichts ist da, das nicht sich regt,

Luft nur brütet unbewegt

Ob der Zauber-Einsamkeit.

Ach, kein Lüftchen weit und breit

Rührt der Bäume Blätterkleid,

Die da pulsen ohne Frieden

Gleich dem Eismeer der Hebriden.

Ach, kein Lüftchen jagt und bauscht

Das Gewölk, das ruhlos rauscht,

Rastlos rauscht von früh bis spät

Über Myriadenbeet

Blauer Veilchen, sorgenreich,

Myriaden Augen gleich,

Über Lilien, die so weich

Wehend, weinend schaun herab

Auf ein namenloses Grab!

Wehend: aus dem Duft heraus

Kommen Tropfen ewigen Taus.

Weinend: von den zarten Zweigen

Ewig Tränen niedersteigen,

Die gleich Edelsteinen schweigen.

Quelle:
Edgar Allan Poes Werke. Gesamtausgabe der Dichtungen und Erzählungen, Band 1: Gedichte, Herausgegeben von Theodor Etzel, Berlin: Propyläen-Verlag, [1922], S. 57,67.
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