Lobgesang der erquicketen Seelen

[269] Wie sol ich gnug dich preisen,

Wie sol ich Dank erweisen

Dir, Jesu, süßes Leben,

Daß du mir Trost gegeben?

Nun kan ichs recht erkennen,

Daß ich dein Kind zu nennen,

Dieweil du durch dein Sterben

Verhindert mein Verderben.[269]

Ich schwebt' in tausend Nöten,

Bald ließest du dich töten,

Daß ja der Sünden Bürde.

Dadurch erhoben würde.

Lob sei dir, Herr, gesungen,

Daß du für mich gerungen

Am Oelberg' und erhitzet

Hast häufig Blut geschwitzet.

Lob sei dir, Herr, gesaget,

Daß du den Kampf gewaget

Und, als der Würger kommen,

Ihm hast die Macht genommen.

Ich preise dich von Herzen,

Daß du so bittre Schmerzen

In Ketten und in Banden

Für mich hast ausgestanden.

Ich lebt' im Lasterorden,

Du bist verstricket worden;

Die Sünd' hab' ich begangen,

Dafür bist du gefangen.

Man solte mich verklagen,

Drauf haben dich geschlagen

Die Buben in die Wette,

Nur daß ich Frieden hätte.

Wie kan ich dich gnug loben,

Daß du der Feinde Toben,

Ihr Schmähen, Schelten, Neiden

Für mich hast wollen leiden?

Wie kan ichs gnug erheben,

Daß du dein Haubt gegeben

Zum Schauspiel und die Spitzen

Des Dorns es lassen ritzen?

Dein Leib, der ganz zuschlagen,

Must auch erbärmlich tragen

Das Kreuz um meinetwillen,

Des Vaters Zorn zu stillen.

Du bist ja zugesellet

Den Mördern und gestellet[270]

Zum Scheusal allen Heiden;

O welch' ein schrecklichs Leiden!

Doch alle diese Schmerzen

Erlittest du von Herzen,

Dein Blut must' häufig fließen,

Nur meinen Fall zu büßen.

Ei, solt' ich mich mit Thränen

Nun auch nach dir nicht sehnen,

Der du mirs hast erworben,

Daß ich nicht gar verdorben?

Wolan, es bleibt versenket

Die Schuld, so mich gekränket,

Drauf preis' ich deinen Namen,

O Jesu, Helfer, Amen.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 269-271.
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