|
1.
O Grosser Gott ins Himmels Thron,
Hilff, daß ich mög' erkennen,
Wer doch gewesen die Person
Vnd wie sie sey zu nennen,
Die hie für mich
So ritterlich
Biß in jhr Grab gestritten,
Als sie den Todt erlitten.
2.
Ach ist es nicht dein liebstes Hertz,
Dein Kind vnd Eingeborner?
Wie leydet denn so grossen Schmertz,
O Gott, dein Außerkohrner?
Wie kan es seyn,
Daß solche Pein
Dem Helden wird gegeben,
Der allen gibt das Leben?
3.
Ja, Vater, ist er nicht der Mann,
Von dem du selbst gesaget:
Er ist es, der mich stillen kan,
Mein Sohn, der mir behaget?
Wie muß denn er
Jetzund so schwer
Die Bürden auff sich nehmen,
Den Todt dadurch zu zähmen?
4.
Ist er nicht selbst die Herrligkeit
Vnd wird dennoch verspeyet,
Ja ist er nicht ein Held im Streit'
Vnd wird so leicht zerstrewet?
Ist er nicht Gott
Vnd leidet Spott,
Ist er nicht sonder Schulden
Vnd muß den Todt erdulden?
[170]
5.
O frommes, vnbeflecktes Lamm,
O schönster Mensch auff Erden,
O Manna, das vom Himmel kam,
Du must geopffert werden.
Dein Händ' vnd Füss',
Als die so süss'
Am letzten End' vns laben,
Die werden gantz durchgraben.
6.
Dein würdig Häupt, O Gottes Sohn,
Das wir mit Zittern ehren,
Bedecket eine Stachel-Kron,
Dein Elend zu vermehren.
Dein trewer Mund,
Der Warheit Grund,
Die rosenfarbe Lippen
Sind bleicher als die Klippen.
7.
O grosse Lieb'! jtzt seh' ich recht
Die Wund in deiner Seiten,
Dadurch du wilt mir armen Knecht'
Ein ewigs Reich bereiten.
Diß Hertzen-Blut,
Das hohe Gut,
Deßgleichen nicht zu finden,
Befreyet mich von Sünden.
8.
Dein' Augen voller Freundligkeit,
Der Menschen Lust vnd Wonne,
Die klärer waren vor der Zeit
Als die so klare Sonne,
Die andren sich
Nun jämmerlich;
Die schönsten Liechter schwellen
Von lautren Thränen-Quellen.
9.
Sie rinnen wie ein Wasserfluß
Auff die zuschlagne Glieder,
Sie fallen wie ein Regen-Guß
Die zarten Wangen nieder.
Ach! nichts ist hie
Als Angst und Müh';
Es wird mit tausend Plagen
Der schönste Leib zuschlagen.
10.
Du trägst die Straffen meiner Schuld'
Vnd schweren Missethaten,
Ja lässest dich aus lauter Huld'
Am Pfal des Creutzes braten.
Das that die Lieb',
Herr, die dich trieb,
Die Sünder aus dem Rachen
Der Hellen frey zu machen.
11.
O Wunderwerck! der herrlich ist,
Nimpt auff sich vnser Schande;
Der keusch, gerecht vnd sonder List
Gepriesen wird im Lande,
Trägt mit Gedult
Gantz frembde Schuld,
Ja hat sein eignes Leben
Für vnsers hin gegeben.
12.
Wie niedrig bist du worden, Herr,
Vmb vnsrer Hoffart willen.
Dein Geißlen, Marter vnd Beschwer
Must' vnsre Frechheit stillen.
Nur vnsre Lust,
Der Sünden Wust
Gebaren deinem Hertzen,
O Heyland, so viel Schmertzen.
13.
Ich bin, Herr Jesu, gantz verflucht,
Du aber bist der Segen.
Noch hat der Segen mich gesucht
Auff gar verfluchten Wegen.
Ich hab' allein
Die Höchste Pein
Mit Sünden wol verdienet:
Du hast mich außgesühnet.
14.
Ich war verkaufft zur Hellengluth
Vmb so viel böser Thaten;
Da wust' allein dein göttlichs Blut
In solcher Noth zu rathen.
Der thewre Schatz
Behielt den Platz;
Der Sathan muste weichen,
Sünd', Hell' vnd Todt deßgleichen.
[171]
15.
Nun höret auff des Höchsten Rach',
Es ist sein Zorn gestillet
Durch so viel schmertzen, Pein vnn schmach,
Nun ist die Schrifft erfüllet.
Des Herren Todt
Hat nun die Noth
Auff Erden weggenommen,
Der Fried' ist wieder kommen.
16.
HERR Jesu, nimb mich gnädig an,
Vertilg in mir die Sünde,
Die ich nicht gantz ertödten kan,
Wie leyder ich befinde.
Eins bitt ich dich:
HERR, lasse mich
Dein thewres Blutvergiessen
Biß in mein Grab geniessen.
Buchempfehlung
Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.
50 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro