Die Erste Hinführung

[210] Christus Jesus wird im Gahrten Gethsemane von der Schar gefänglich angenommen und zu dem Hohenpriester Hanna geführet.


1.

Auff, liebe Seel', entzünde dich,

Daß Leiden deines Herren,

Die plagen, welch' Ihm grausahmlich

Sein' edle Glieder zerren,

Den Spott, das Fluchen, Schläg' und Pein,

Die mehr hieselbst als menschlich sein,

Ja durch die wolken dringen,

Im Glauben zu besingen.


2.

Wo die Verdamniß und der Tod

Sich erstlich angefangen,

Am selben ohrt' ist alle Noht

Der Seelen auch vergangen;

Den wie der Mensch durch Satanß list

Im Paradiß gefallen ist,

So läst Ihm Gott daß leben

Im Gahrten wieder geben.


3.

Auß Liebe fähet Christus an

Im Gahrten erst sein Leiden.

Hier schauet, was sein Lieben kan,

Sein Hertz weiß nicht zu Neiden:

Ob gleich sein Jünger Ihn verkaufft,

Dazu die Schaar Ihn schlägt und raufft,

Welch' Er kont' überwinden,

Läst Er dennoch sich binden.


4.

Man führet Ihn zuem Hannas hinn,

Mit Ketten hart verstrikket.

Sehr stoltz ist dieses Priesters Sinn:

So bald Er nur erblikket

Daß Gottes Lam, erfreüt Er sich,

Nur daß Er müge grausahmlich

Mit schelten, schmähen, schlagen

Den Lebens Fürsten plagen.


5.

O Grausahmkeit! wer zittert nicht?

Hie wird gantz ohn' erbarmen

Geschlagen in sein Angesicht

Daß heil und licht der Armen:

Der Himmels Fürst', Er selber Gott,

Er duldet so viel Hohn und Spott;

Der Schöpffer muß sich neigen,

Ja vor der Aschen schweigen.


6.

So must' es, Liebster Jesu, sein,

Solt' uns der Himmel werden:

Dein Leiden, Herr, vermocht' allein

Den Kindern dieser Erden

Vergebung aller Sünd' und Schuld,

Auch deines Vatters Gnad' und Huld

Durch ein so bitters sterben

Gantz völliglich erwerben.


7.

Ach aber, daß Ich Selber Dich,

Herr Jesu, so gebunden!

Ach liebster Heiland, daß Ich mich

Bei dieser Zunfft gefunden,

Die dich in der betrübten Nacht

Zum Priester Hannas hat gebracht!

Der Sünden dieses Orden

Bin Ich mit schüldig worden!


8.

Dies' ist die Faust, dies' ist die Hand,

Die leider hat geschlagen

Dein Antlitz, als man daß verband

Und anfieng dich zu plagen.

Ich laügn'eß nicht, HERR Jesu Christ,

Verzeih' eß mir zu dieser frist,

Begnade doch mich Armen:

Bei dir ist viel erbarmen.


9.

Lös' auff die starke Sündenstrikk',

In welchen Ich verwirret,

Und gib mir einen gnadenblik,

Mir, der Ich sehr geirret;

Reiss' endlich meine Füss' in eil

Sehr kräfftig auß deß Todes Seil,

Daß Ich dich müge fassen,

Wen Ich die Welt sol lassen.


10.

Herr, gib Mir ein beständigs Hertz,

Dafern Ich soll erleiden

In Banden auch viel Hohn und Schmertz,

Daß eß gesche mit Freüden.

Durch deine Strikk', O höchsteß Guht,

Verleihe Mir Krafft, Stärk' und Muht,

Mein Kreütz ohn' einigs klagen

In dieser Welt zu tragen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 210-211.
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