Das Fünfzehnde Katechismus-Lied, Uber den Dritten Artikul unseres Christlichen Glaubens:

Der empfangen ist vom Heiligen Geiste, Gebohren aus Maria, der Jungfrauen

[301] Dises kan man singen nach der Melodie unseres alten Weihenachtliedes: Ein Kindelein so löbelich, u.s.w.


1.

Kein grösser Wunder findet sich

Im Himmel und auf Erden,

Als das so gahr verächtiglich

Gott wolt' ein Kindlein werden:

Der Herr, der ausser aller zeit

Ein wahrer Gott von Ewigkeit

Erzeüget und gebohren,

Der wird ein schwaches Menschenkind,

Auf daß es wiedrüm das geschwind'

Erlöste, was verlohren.


2.

Komt, lasset uns hie stille stehn,

Dis Wunder recht zu schauen.

Wer hat doch in der Welt gesehn

Vom Saamen der Jungfrauen

Ohn Mannes Hülff' ein Kindelein

Empfangen und gebohren sein?

Vernunft kan dis nicht fassen;

Ihr ist verborgen, was diß heist:

Es solte sich durch Gottes Geist

Maria schwängern lassen.


3.

Dis ist der Geist starck, ewig, gros,

Der nach des Vatters willen

Sich in die keüsche Mutter goß,

Des Höchsten Grim zu stillen,

Worinn Er nach hochweisem Raht

Das Fleisch und Bluht gereinigt hat,

Aus welchem solte kommen,

Der Gott und Mensch, heist Jesus Christ,

Der Fleisch und Bluht zur selben frist

Hat willigst angenommen.
[301]

4.

Da steiget nun aus Seinem Thron'

Hinunter zu der Erden

Des Allerhöchsten libster Sohn,

Ein Menschenkind zu werden:

Da nimt Er als ein andrer Mann

Leib, Seel' und Geist wahrhaftig an,

Damit wir einen hetten,

Der blos auf unser Heil bedacht

Bald von des Satans List und Macht

Uns herlich könt' erretten.


5.

Seht hie das Zweiglein Isai,

Seht hier des Weibes Saamen,

Nach welchem alle Welt so schrie,

Den anzubehten kamen

Die Weisen samt der Hirten Schaar,

So bald Er Mensch gebohren war.

Nun darf man kühnlich sprechen:

Dis ist der Herr der Herligkeit,

Der konte leicht durch tapfren Streit

Des Treibers Joch zerbrechen.


6.

O heiligs Werck, O Trost, O Freüd':

Ist Christus Mensch empfangen,

So weis Ich, das zur Seligkeit

Uns dieses mus gelangen;

Den wir, gantz unrein, schwach, ja tod,

Sind schnell dadurch aus aller Noht

Erlöst und rein geworden;

Ja dises Kind, das uns erwehlt,

Hat uns auch Gnädigst zugezehlt

Dem Gottgeliebtem Orden.


7.

Wie nun die Zeit erfüllet war,

Vom Himmel selbst erkohren,

Ist Christus Jesus offenbahr

Ein Mensch zur Welt gebohren.

Augustus führte dazumahl

Das Regiment, war nach der Zahl

Der Ander von den Kaisern.

Der Ohrt, wo dises Kindlein lag,

War unter eines Stalles Dach

Und nicht in Salems Häusern.


8.

Da sehet Ihr das Kindlein nun,

Das zweimahl ist gezeüget.

Komt, lasset uns Ihm Ehre thun,

Es ist uns sehr geneiget;

Es libet uns als Mensch und Gott.

Was kan uns den die lose Rott',

Als Teufel, Tod und Hölle,

Viel schaden thun in diser Zeit?

Ist doch der Herr der Herligkeit

Selbst unser Mitgeselle.


9.

Das nun der Heiland Jesus Christ,

Für dem sich alle neigen,

Ein wahrer Mensch gebohren ist,

Dasselb' ist unser eigen.

Drüm rühmen wir mit Pracht und Macht:

Uns ist der edle Schatz gebracht,

Uns ist dis Kind gegeben.

O Vatters Hertz, O süsse Brunst,

Hier findet sich die theüre Gunst,

Wodurch wir ewig leben.


10.

O Jesu, hilf doch gnädiglich

Daß, weil wir sind auf Erden,

Von gantzer Seelen suchen dich,

Auch neü gebohren werden.

O Herr, laß uns zum grossen Heil

Empfangen Dich, das beste Theil,

Bleib' unser Schutz in Nöhten,

Verleih' uns einen tapfern Muht,

Das hochverderbte Fleisch und Bluht

Getrost durch Dich zu tödten.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 301-302.
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