Der ander Auffzug.

[48] Merkurius / König Ehrenvest / Hertzog Herman /Fürst Klaudius Civilis / Heerzog Wedekind.

Die vier Helden gehen auff eine gar alte Manier bekleidet / mit auffgebundenen langen Haren /grosse Streitkolben in den Händen haltend / mit angehängeten breiten Schlachtschwerdteren / und kan man sich der Abbildungen / welche in des hochgelehrten P. Klüverij altem Teutschande werden gefunden / in diesem falle sehr nützlich gebrauchen.


KÖNIG EHRENVEST. Glük zu Merkuri / finden wir dich schon hier? Nunmehr verstehe Jch erstlich / wo zu dir die Flügel an deinen Füssen nützen / daß du nemlich so viel geschwinder auff der Reise fortkommen und den jenigen / welche die aus den Eliseischen Felderen in diese Oberwelt führest / eine bequehme Lagerstatt könnest bestellen.

MERKURIUS. Ja König Ehrenvest / eben der Ursachen halber bin Jch ein weinig voran gangen / daß Jch Euch Teutsche Helden / deme mir auffgetragenem Befehle zu folge / an diesem Ohrte gebührlich müchte empfangen.

HEERZOG HERMAN. Aber / sage mir Merkuri / nach deme wir nun dieser öhrter angelanget / wo selbst Jch und König Ehrenvest in sechszehnhundert Jahren nicht gewesen / sind wir allhier auch gesichert vor dem Uberfall der Römer? Denn Jch erinnere mich annoch sehr wol / daß sie zu meiner[48] Zeit hin und wieder / sonderlich am Rheinstrohm Jhre mächtige Besatzungen pflagen zuhalten.

MERKURIUS. Was / Heerzog Hermann / fürchtet Jhr Eüch vor den Römern? Wisset Jhr nicht / daß heute zu tage die Teutsche den Römern / mit nichten aber die Römer den Teutschen zu gebieten haben? Der jtzregierender Römischer Käyser ist ein gebohrner Teutscher und kein Römer oder Wälscher. Und zwar von der Zeit des Grossen Karls / mit welchem Heerzog Wedekind so schwere und langwierige Kriege hat geführet / schon länger den 800. Jahre haben die Teutsche das Römische Käyserthum regieret und besessen.

KLAUDIUS CIVILIS. Was höre Jch? Stehet die Herrligkeit des Käyserthums dieser zeit bey den Teutschen / so mügen wir uns alle mit grossem fuge vor glükselige Fürsten preisen / dieweil wir gebohrne Teutsche sind: Dieses aber kan nicht fehlen / Teutschland muß sich über alle masse sehr verändert haben.

HEERZOG WEDEKIND. Ja freilich muß sichs sehr haben ümgekehret / es hatte schon zu der Zeit / darinnen Jch auff dieser Welt habe gelebet / viel eine andere beschaffenheit mit Teutschland / als in denen Jahren / in welcher Jhr drey tapfere Helden vor die Freiheit des Vaterlandes so ritterlich habet gestritten und so manchen herrlichen Sieg von den Römern und anderen der Teutschen abgesagten Feinden erhalten.

HEERZOG HERMAN. Und eben dieses ist die Ursache / daß mich nunmehr so hertzlich verlanget / daß itzige neüe Teutschland in seinem grossen Pracht und Herrligkeit zu sehen / denn mir noch gar nicht entfallen / was ich von[49] desselben hohen Glükseligkeit in den Eliseischen Felderen / wiewol nur im Schlaffe oder gleichsam träumend habe verstanden / begehre demnach nichtes mehr / als daß Jch alle Sachen in der That und Warheit selber erfahren müge.

MERKURIUS. Seyd zu frieden Heerzog Hermann / es sol Euch alles nach Wunsch gezeiget werden / Jhr Helden müsset mir ein weinig Zeit günnen.

KLAUDIUS CIVILIS. Gar gern Merkuri / wir müssen aber auch die kurtze Zeit / welche uns auff Erden zu verbleiben ist gegünnet / also anwenden / daß wir darinnen etwas frucht-barliches außrichten.

KÖNIG EHRENVEST. Freylich müssen wir uns der Zeit nützlich gebrauchen / denn wir sind ja zu dem ende herauff kommen / daß wir vor allen anderen Dingen das neue prächtige Teutschland in seiner Majestät / blüendem Friede und Glükseligkeit mit fleisse mügen besichtigen. Eines aber wünsche Jch hiebey von Hertzen / daß wir nemlich das alte Teutschland / wie dasselbe zu unseren Zeiten gestanden / noch einmahl sehen müchten / was dünket dich Merkuri / solte man dieses Begehren nicht erhalten können?

MERKURIUS. König Ehrenvest / ob mir wol nichtes liebers köndte begegnen / als daß Jch Eüer aller Wunsche dieses falles ein genügen thun müchte / so halte Jch es doch vor eine wahre Unmügligkeit / daß Alte Teutschland / wie dasselbe bey Eüren Lebenszeiten beschaffen gewesen / in seinem eigentlichen Zustande und Wesen einigem Menschen vorstellen können / die weil solches alles dergestalt ist geendert / daß man es doch nimmermehr recht würde erkennen: Damit Jhr aber gleichwol nicht gar umsonst bittet / so wil Jch Euch ein treffliches Bildnisse desselben alten Teutschlandes zeigen / welches schon vor vielen[50] hundert Jahren zu einer ewigen Gedächtnisse in eine Kapellen des negstgelegnen Waldes ist gesetzet oder auffgestellet worden / da werdet Jhr das alte Teutschland etlicher massen sehen und vielleicht vieles guten dinges Euch dabey erinneren können.

HEERZOG HERMAN. Warlich Merkuri / dieses dein Erbieten gefält mir über die masse wol / denn Jch nicht weiniger begierde habe / als König Ehrenvest daß alte Teutschland / wo nicht in seinem vollenkommenem Wesen / jedoch nur etlicher massen im Bilde zusehen.

KLAUDIUS CIVILIS. Ja Heerzog Hermann / es wird dieses der mühe wol wehrt seyn. Aber Merkuri / sage uns doch / ist es noch weit von hinnen / da selbiges Bild anzutreffen / und wirst du uns nicht bald hinzu führen?

MERKURIUS. Stellet Euch zufrieden Jhr Helden / wir sind is schon am rechten orthe / denn Jch habe Euch mit fleiß hieher gebracht. Sehet da / was Jhr dieser wegen zu sehen so fleissig habt begehret.


Der Schauplatz öffnet sich / und sitzet daß alte Teutschland wie eine ansehnliche Matron gantz ehrbarlich bekleidet / eine schlechte Krone auff dem Haupte und in der Hand einen Scepter habend / in einer Kapellen / auff einem Stuhl / der auff einen vierekkichten steinern Tisch oder Altar gesetzt ist. Zu Jhrer rechtern Hand stekken zwey Fahnen in welchen ein Adeler gemachet / um diese Fahnen liegen allerhand alte Gewehre /Schlachtschwerdter / Streitkolben / Hellebahrten /Spiesse / Wurffpfeile und bey diesen auch etliche Haute von wilden Thieren und anderen dergleichen Sachen. Auff der anderen seifen stehen zwey Schiffe / Milchtöpfe / dabey liegen etliche stükke

Fleisch / ein grosses Kühehorn und mehreren dergleichen bey den alten Teutschen so wol zu Friedens als Kriegeszeiten[51] gebräuchlichen Sachen. Die Helden stehen gleichsam entzükket und sehen dieses alles mit verwunderung an.


MERKURIUS. Trettet nur näher herzu und beschauet dieses Bild wol und fleissig Jhr Teutsche Helden / ob Jhr noch etwan Anzeigungen des alten Teutschlandes an demselben könnet befinden.

KÖNIG EHRENVEST. O Merkuri / es ist in diesem Bilde die beschaffenheit des alten Teutschlandes dermassen artig vorgestellet / daß Jch mich auch gar fein kan erinneren / der damahlen Sitten / Gebräuche / Tugenden / Redligkeit und Tapferkeit meiner Landesleute der Teutschen.

HEERZOG HERMAN. Sehet da / diese sind eben die Waffen / Schwerdter / Spiesse und Schilde / derer Jch mich in meinen Kriegen und Zügen wieder die Römer und andere Feinde etwan pflag zugebrauchen.

KLAUDIUS CIVILIS. Und diese Schiffe halte Jch / sind noch übrig geblieben von dem grossen Schiffzeuge der Römer / welchen Jch zuer Zeit des Käysers Vitellien mit gewehrter Hand vom Rhein hinweg nam / als Jch die beyde mächtige Städte Köllen und Meintz eroberte / die Römischen Besatzungen heraus schlug / den Bühel des Drusen zerschleiffete und die Römer aus gantz Holland verjagte.

HEERZOG WEDEKIND. Warlich du rechtes Ebenbild unserer allgemeinen Teutschen Mutter / gibst genugsame Uhrsache / daß wir uns die grosse Mannheit unserer Teutschen zu Gemühte führen / dabenebenst auch Jhre einfältige Auffrichtigkeit / Mässigkeit und andere schöne Tugenden höchlich rühmen und preisen.[52]

HEERZOG HERMAN. Gebet acht Jhr Brüder / da stehet noch ein Topf mit Milch / nebenst einem stükke Fleisch von einem wilden Thiere / womit wir uns des Hungers und Durstes pflagen zu erwehren / denn davon lebten meine Teutsche / mit dem Akkerbaü hatten sie gar weinig zu schaffen / Jhr Viehe versorgete sie mit Fleisch / Milch und Butter / und mit Jhren Bögen erlegeten sie die wilden Thiere.

KÖNIG EHRENVEST. Und sehet Jhr Helden / diese Häute von Bähren und Wölffen / derer wir / im falle wir uns zur Ruhe niederlegeten / uns nützlich bedieneten. Ach / wie habe Jch doch offtmahls so sanfft auff diesen Häuten geschlaffen / wenn Jch aus den Schlachten ermüdet zu hause kam!

FÜRST CIVILIS. Dieser Ahrt Hörner pflag Jch mich zugebrauchen / wenn Jch wieder meine Feinde in den Streit außzog / alsdenn ließ Jch dieselbe blasen und mit einem grossen Geläute meine Teutsche zum Kampfe auffmuntern.

HEERZOG HERMAN. Und eben diese sind die beyde grosse Haubtfahnen / welche Jch des Käysers Augusten Feld Obristen dem Quintilio Varo / nach dem Jch Jhn sampt 20000. tapferen Kriegesleuten danieder geleget / dazumahlen sampt anderen trefflichen Beuten habe abgenommen.

KÖNIG EHRENVEST. Jn Warheit dieses alte Bild ist sehr wol gemachet: Man betrachte nur das Majestätische Ansehen des alten Teutschlandes / desselben taurhaffte Waffen / eingezogenes Leben / erhaltene Siege und Verübung so vieler herrlichen und ewigen ruhmes würdigen Thaten. Aber / sage mir Merkuri / vergleichet sich auch das neüe Teutschland etlicher massen mit diesem alten?[53]

MERKURIUS. Durchaus nicht: Es ist zwischen dem alten und neuen Teutschlande ein viel grösserer Unterscheid / als zwischen dieser Welt / darauff wir jtzund wandelen und denen Eliseischen Felderen / aus welchen wir vor weiniger Zeit sind herkommen / und worinnen wir nach dem Tode leben. Es hat das Neüe Teutschland viel ein anderes Regiment / viele andere Sitten / Gebräuche / Waffen / Kleidunge / Nahrung / Häuser und dergleichen. Es hat an statt des Fleisches und der Milch / womit sich das Alte muste behelffen / wol tausendterley niedliche Speisen. Es hat Rheinische Spanische / Französische / Welsche und andere fast unzehliche ahrten von Wein und nebenst diesem auch viel Gewürtz / verzukkerte Konfecten und andere dergleichen Schlekkereien. Es gebrauchet sich nicht mehr der Häute der wilden Thiere darauff zu ruhen / aber wol köstlicher von Gold / Seiden / Baumwolle und zahrter Leinwad gemachter und mit weichen Pflaumfederen außgefülleter Bette.

An statt der Hörner hat das neüe Teutschland Trompetten / Posaunen / Zinken / und nebenst diesen Lauten / Geigen / Orgelen / Harffen / samt vielen anderen herrlichen Jnstrumenten. Jch wil hie nicht sagen von der wunderbahren und höchstnützlichen Kunst der Drukkerei / welche sie selber erfunden; Jch rede hier auch nicht von Jhren Uhren /25 Mühlwerken / Schiffahrten / Distilliren / Schleiffung der Waffen / Malerei und schier unzehlichen Wissenschafften und Künsten / dieweil Euch / im Kriege und Harnisch er-zogenen Helden solches alles zu verstehen viel zu schwer fallen würde. Nur dieses erinnere Jch noch / daß / im falleao Teutschland Kriege führet / so streitet es nicht mehr mit Bogen / Pfeilen / Wurffspiessen / Schleuderen / Kolben und dergleichen: Nein / es hat andere und zwahr solche Feuer-speiende Waffen / die mit einem erschrecklichem Donner die[54] Menschen auch von weitem / ja wol auff etliche tausend Schritte plötzlich können umbringen. Jn Summa / es heisset recht daß Neüe Teutschland / in welchem des Alten so gahr ist vergessen / daß man es noch füglicher Ein Anderes als Ein Neues nennen könte.

HEERZOG WEDEKIND. O du liebes Teutschland / bist du denn so gantz und gahr von deinen alten Sitten / Wandel / Leben / Gewonheiten und Gebräuchen abgewichen? Aber Jhr Brüder / wollen wir uns bei diesem Bilde noch eine Zeitlang auffhalten?

KÖNIG EHRENVEST. Mein weiniges Bedenken ist dieses / daß wir vor unserem hinweg scheiden aus schuldiger Dankbarkeit diesem Bilde unserer weiland allgemeinen Mutter des Alten löblichen Teutschlandes ein Opfer thun / zu foderst aber mit dem Gebehte den anfang hiezu machen.

FÜRST CIVILIS. Und eben diese Meinung gefält auch mir / lasset uns derowegen diesen Gottesdienst nur schleunigst verrichten und mit einander nieder knien.


Hie knien sie alle vier nieder / und schlagen die Häubter zuer Erden / richten sie aber bald wiedrum auff / in deme sie aber in Jhrer Andacht wollen fohrtfahren / wird der Schauplatz geschlossen / und da sie das Bild nicht mehr sehen / fähet an mit lauter Stimme zu ruffen.


HEERZOG HERMAN. Was ist daß Jhr Helden / wache oder schlaffe Jch? Sehe Jch etwas im Traume / oder wiederfähret mirs in der Wahrheit / daß diß Göttliche Bild unserer Allgemeinen[55] Mutter / des uhralten Teutschlandes uns so gar plötzlich wird aus den Augen gerükket? Sollen wir denn unser schüldiges Gebeht und Opfer vor demselben nicht erstlich verrichten?

MERKURIUS. Stellet Euch zu frieden Jhr Teutsche Helden / Es geziemet sich gahr nicht einem todten Bilde Göttliche Ehre anzuthun: Der ewiger Schöpfer und Erhalter aller Dinge / welcher ist der hochgelobter GOtt in Ewigkeit / wil allein von den Menschen Kinderen verehret und angebehtet seyn / folget mir demnach nur eiligst / damit wir ferner suchen und endlich finden das Neüe Teutschland / welches Jch Euch in seiner höhesten Glükseligkeit und unvergleichlichem Prachte bald werde zeigen.

KÖNIG EHRENVEST. Wolan denn Merkuri / dein Wille sol auch unser Wille seyn / führe uns nur immer hin / damit wir bald sehen mügen das jenige / um welches willen wir wiederum auff diese Welt sind kommen. Sie gehen alle ab.


Quelle:
Johann Rist: Sämtliche Werke. Berlin und New York 1972, S. 48-56.
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