[110] Merkurius.
Das die Undankbarkeit ein so schändliches Laster sei / daß auch die Heiden gesaget haben / der Erdbodem ernähre kein abschäulichers Thier als eben einen undankbaren Menschen / solches bezeuget das üppige und stoltze Teütschland mit Jhrem eignem Exempel. Mit höhester Verwunderung / ja mit einer hefftigen Bestürtzung habe Jch vernommen / welcher gestalt diese übermühtige Königinn nach meiner und der vier alten tapferen Helden schmähelichen Abfertigung / Jhr allerhöhestes irrdisches Guht / nemlich den edlen und wehrten Friede aus Jhrem gantzem Lande hat verjaget und dadurch alles Gedeien / ja allen Segen und Wolfahrt muthwilliger weise von sich gestossen / anderen statt aber mit fremden Völkeren und Nationen / (welche doch meisten theils anders nichts / als Jhren gäntzlichen Untergang und eusserstes Verderben suchen) Kundschafft gemacht / sie zu Gaste geladen / an Jhre Königliche Taffel gesetzet / ja sich toll und voll mit Jhnen gesoffen. Zuem allerhefftigsten aber erschrak Jch / als Jch eben in dieser gegenwertigen Stunde auß dieser fremden und ungetreuen Gäste eigenem Munde vernam (denn Jch hielte mich in einem abgelegenem Winkel / wo selbst Jch alle Jhre Rede gahr leicht konte hören / verborgen) daß sie vor alle empfangene Ehre und Freundschafft das leichtgläubige Teutschland[110] plünderen / berauben / verbrennen / zerreissen / ja um alle zeitliche Wolfahrt bringen / und zu dem ende mit dem grausamen Eisenbeisser und Menschenfresser dem Mars sich in Verbündnisse einlassen wolten. Endlich entsetzete Jch mich schier biß auff den Tod / als Jch mit diesen meinen Ohren anhörete / wie sich der Bluhtdürstiger Mars stündlich erboht / nach allem Jhrem Willen und begehren mit dem sicheren Teutschlande zu handelen / und dieweil diese Jhre angemahssete Freunde glaubwürdig berichteten / daß Teütschland in einen sehr harten Schlaaff wäre gefallen / also bähten sie diesen Jhren Patronen den Mars / daß / dieweil sie Jhm schon so viele Jahre getreulich hätten gedienet / Er ja nicht säumen / sondern so bald immer müglich / ja noch diese Stunde / Ehe Teütschland wieder erwache / dasselbe überfallen und begehrter mahssen tractiren wolle / welches Er Jhnen alsobald hat eingewilliget. Jtzo sitzet dieser grausamer Bluhtvergiesser / und trinket ein paar Pfeiffen Tabak / damit Er muhtig und behertzt werde dieses schwere Werk anzufangen / denn Er weis sehr wol / daß gahr ein grosses dazu gehöre daß allermächtigste Teütschland mit bewehrter Hand anzugreiffen / wobei Er auch dieses zu bedenken hat / daß die vier fremde Rittersleute nicht nur Jhres sonderbaren grossen Vortheils und geniesses halber / welchen sie von Teütschland verhoffen / sonderen auch in betrachtung vieler anderen Uhrsachen Jhme dem Mars ernstlich verbohten / daß Er sie nicht solle erwürgen / sonderen nur bezwingen und überwinden.
Hie wird der innere Schauplatz geöffnet und sitzet Teütschland allein in einem sehr tieffen Schlaffe / hat keinen Menschen üm sich / sind auch Tische / Stühle / nebenst allen anderen Sachen schon hinweg geraumet.
[111]
Aber / siehe da / ist daß nicht das sichere Teutschland? Ach ja / eben sie ist es. Ach schläffest du noch? Ach schlummerst du noch / O du rasendes Weib? Ach wie werden dich deine vielfältige Feinde aus diesem harten Schlaffe auffwekken! Fürwahr mich jammert deiner von Hertzen / und ob du mich schon nebenst denen hochgerühmten alten Teütschen Helden auff das allerschimpflichste hast abgewiesen / so kan Jch doch nicht unterlassen mich deiner / O du elendes und jämmerlich-betrogenes Weib mitleidentlich zu erbarmen.
Hie wird gar sanfft auff Jnstrumenten gespielet und nachfolgendes Liedlein von dem Merkurio fein hell /
klahr und deutlich mit sonderbahrer bewegniß seiner Gebehrden gesungen.
1.
Sjchers Teutschland schlaffst du noch?
Ach wie nah' ist dir dein Joch /
Das dich hart wird drükken /[114]
Und dein Antlitz dürr' und bleich
Jämmerlich erstikken /
Wach' auff du Teutsches Reich /
Wach' auff du Teutsches Reich!
2.
Tolles Teutschland deiner Ruh'
Eilet Krieg und Auffruhr zu /
Ach hör' auff zu schlaffen /
Alle Kreaturen gleich
Kommen dich zu straffen /
Wach' auff du Teutsches Reich /
Wach' auff du Teutsches Reich!
3.
Volles Teutschland / grosse Noht
Wird dich martern auff den Tod /
Sichers Weib begehre /
Daß doch GOTT sein Hertz erweich'
Und den Feinden wehre /
Wach' auff du Teutsches Reich /
Wach' auff du Teutsches Reich!
Aber Ach! Was hilfft doch viel singen und sagen / da gahr kein Gehör ist? Daß mag wol ein rechter Todesschlaff heissen. Jch wolte zwahr wol näher hinzu gehen und das sorglose Teutschland etwas hart rüttlen und schütlen / aber Jch muß mich befürchten / daß / dafern dieselbe solte erwachen / Jch wol übel von Jhr machte empfangen werden. Zu deme muß Jch mich alle Augenblikke befahren / daß mein abgesagter und geschwohrner Todfeind der grausahmer und bluhtdürstiger Mars mir gahr zu schnell auff die Hand komme / denn Jch weis / Er wird sehr eilen /sein bößhafftes Vornehmen auffs allerschleunigst ins Werk[115] zu setzen. Und was? Hie wird gleichsahm von ferne getrummelt /. Höre Jch nicht schon von ferne seine Mordpauken erklingen? Nein / nein / es ist nicht länger Zeit alhier zu verharren / Jch muß mich nur aus dem Staube machen / damit Er seinen ersten Grimm nicht über mich außschütte / Aber / Ach du elendes Teutschland! Wehe dir! Ach du jämmerliches Teutschland! Wehe dir! Gebet ab: So bald Merkurius hinweg / komt Mars heraus gebrauset mit einem starken Schalle der Tromlen und Trompetten / es werden zugleich unterschiedliche Büchsen und Pistolen hinter Jhme laß geschossen / Er hat das Maul voller Rauches vom Tabak / welchen Er stark heraus bläset / hält einen blossen und bluhtigen Degen in der Hand und fähet an zu reden mit brüllender Stimme.
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