[207] Joseph: ab Arimathia. Nicodemus. Maria. Joannes. Der Haubtmann. Der schlus wird eröffnet.
JOSEPH ab Arimathia.
Diß grab, das ich mir thätte bauen
Und aus dem stein hier aus ließ hauen,
Das, wie sich leichtlich schließen last,
Noch keinen todten leib gefaßt.[207]
Diß grab, sprich ich will ich dem herren
Nunmehr zu seiner Ruh verehren,
Und wüntscht villmehr, das ich das lebn
Ihm statt dem grab könnt selbsten geben.
NICODEMUS.
Vor wür ihn in sein grabstatt legen,
Mus man an ihm die salbung pflegen,
Damit, was der gebrauch begehrt,
An seinen leib vollzohen werdt.
Ich will ihm dise Specereyen
Aus andacht vollem herzen weyhen,
Weill er, obwohlen nunmehr todt
Jedannoch ist mein herr, und gott.
Sie salben ihn.
MARIA.
Ja liebste freind er wird die ehren,
Wan sie auch noch so kostbahr wären
Euch schon belohnen in der zeit,
Wo keine quall mehr, und kein Leydt.
JOHANN.
Die nachweldt soll von disen gaaben
Aus mir ein stätte Zeignuß haben,
Damit ein so bewerthe thatt
Ein ewigs lob, und denkmahl hat.
JOSEPH ab Arimathia.
Nun ist nach schon geschechnen sachen
Die leich in leinwath einzumachen,
Sech, dise wirdt schon dienlich sein,
Weil sie noch unbefleckt, und rein.
NICODEMUS.
Das soll auch nach gebühr geschehen,
Sie wiklen ihne ein.
MARIA.
Ach lasset mich noch einmahl sehen,
Den jenen, so ich euch ins grab
Gebohrn, und auferzohen hab.
Ach liebster Jesu! sohn der schmerzen,
Du weißt, wie mir nunmehr zu herzen.
Du weißt wie mich diß scheiden quellt
Das gleich sam mich mit dir entseelt.
Doch geh nur hin, geh hin mein leben,
Thue dich zu jener Ruh begeben,[208]
So dir bey drey und dreyßig jahr
Nie von der weldt vergonnet war.
Sie legen ihn in das grab.
Ich traure zwahr von dir verlassen,
Gleich einen weisel auf der straßen,
Weill alles mir ein einödt ist,
Wo du nicht mehr o Jesu bist.
JOANNES.
Mein Mutter (laß dich also nennen)
Und thue mich deinen sohn erkennen,
Weill dises auf dem Creuz Altar
Bereiths sein lezter willen war.
Thue dich doch nicht so sehr betrüeben,
Ich will, und werd dich also lieben,
Das du noch selbsten sollst gestehn,
Du kanst dich nicht verlassen sehn.
HAUBTMANN.
Nun mehr verzeicht, das ich mit sprechen
Mus eure klagen unterbrechen,
Glaubt, liebste freind! das meine Reu
Und auch mein schmerz nicht minder sey.
Ad Mariam.
Dich schmerzt ein sohn, den du geliebet,
Mich schmerzet gott, den ich betrübet.
Du leydest, weill du Mutter bist,
Ich weill mein blindtheit ursach ist.
Du weinst, und bist doch voll der gnaden,
Ich, weill ich mit der sindt beladen.
Dein leyd kommt nur von lieben her,
Mir aber fahlt es doppelt schwär.
Doch ruffen mich jezt meine pflichten,
Pilato alles zu berichten,
Leb wohl! o Frau! ich gech von dir:
Doch bleib ich in gedancken hier.
NICODEMUS.
Wür seind dir alle höchst verbunden,
Das wür die sicherheit gefunden,
Worbey nach unsren wuntsch und Rhat,
Wür dise leich zur erdt bestatt.
Der Haubtmann gehet ab mit seinen soldaten.
JOSEPH ab Arimathia.
Nun hilfft kein quall mehr, und kein leyden,
Man mus sich mit der hoffnung weyden,[209]
Es werdt zu seiner Zeith geschehn,
Das er von todt wirdt auferstehn.
Ad Mariam.
Indessen stille mein Verlangen
Da schon der Sabbath eingegangen,
Komm mit mir in mein haus herein,
Und laß es dir zu diensten sein.
MARIA.
Ich geh weill schon die nacht antringet,
Und mich von diser grabstatt zwinget,
O gott! du weist mein herzen leyd,
Mit welchen ich von danen scheid.
Zu denen anderen frauen.
Bey euch will ich kein auf bruch machen,
Ihr könnt nach euren willn hier wachen,
Nemmt euch, und eure pflicht in acht,
Ich geh, mein Jesu! gutte nacht.
Gehet ab mit Joseph: ab Arimathia: und Joanne.
MAGDALENA.
Komm stille nacht mit deinen sternen,
Bey dir will ich das weinen lehrnen,
Dein tau so tringt zur erd hinein,
Soll meiner thrennen Muster sein.
So lang will ich die Zäher pressen,
Bis sie die Wangen durch gefressen,
Damit mein gott ein merckhmahl findt,
Wie sehr mich schmerzet meine sindt.
Mein sind die ihn gebracht zum sterben,
Damit er mir thätt gnad erwerben.
Mein sindt, vor die er gnug gethan,
Damit ich ihn nur lieben kan.
MARIA SALOME.
So leyd als lieb bringt meinem herzen
Bey disem grab ein gleichen schmerzen,
Ich klag ihn wegen seinen todt,
Ich lieb ihn, weilen er mein gott.
O harter stein! laß dich erweichen,
Damit die thränen zu der leichen
Durchtringen, und noch in dem grab
Ihm seine wundtmahl waschen ab.
MARIA JACOBE.
O Jesu! der du von den todten
So villen aufzustehn gebotten,[210]
Wie komts das du selbst mit gewalt
Die schulden der Natur bezahlt?
Du woltest nemlich uns dein leben
Durch disen hintritt übergeben,
Du stirbst, und stürbest wunden voll,
Damit der Mensch nur leben soll.
NICODEMUS.
Genug des klagens, liebste frauen!
Wür wollen nun auf Hoffnung bauen,
Und mit gedult was er verspricht
Erwarthen, und mit Zuversicht.
Wan jener tag ist angebrochen,
In dem er uns sich hat versprochen,
Wird allem leyd ein endt gemacht,
ALLE.
Indessen Jesu! gutte nacht.
Wird zugezohen.
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