[99] In der radweis Lieben von Gengen.
15. decemb. 1536.
1.
Zu Meilant saß ein hochgelert
doctor der arzeneie;
all, die man im bracht beie,
beraubet irer sin,
er wider sinnig macht nachmals
durch ein seltsamen brauch:
Er hat ein hof, der war verspert,
darin ein tiefe lachen.
wen er wolt witzig machen,
den badet er darin,
setzt in erstlich nein bis an hals,
darnach bis an den bauch.
Der einer gieng um in dem hoff,
der schon halb sinnig ware,
und zu des hofes türe loff;
da kam geriten dare
ein jeger offenbare;
zwen winden loffen mit,
fürt ein falken nach jegers sit;
zu dem sprach der toll gauch:
[99]
2.
»Warauf sitzstu, das nenn du mir.«
ein pfert er im das nente.
»was fürst du auf der hente?«
sprach er: »das ist ein falk.«
er sprach: »was fürst am strick fürwar?«
er sprach: »es sint zwen hunt.«
Der töricht sprach: »was nützet dir
pfert, vogel, hunt darbeie?«
er sprach: »zu jegereie,
das ich die vogel walk.«
er fragt: »was kostens dich ein jar?«
er sprach: »wol tausent pfunt.«
Er sprach: »was sint die fogel wert,
die du mit tust ertappen?«
er sprach: »zwen gulden an gefert.«
»fleuch! hab dir drüs in lappen!
tet dich mein her erschnappen,
du großer narr und flat,
er setzet dich ins narrenbat,
sprach er, bis an den munt.«
3.
Noch fint man solcher narren vil
die doplich mer verzeren,
dan ir pflug mag ereren,
verachten alle straf,
bis sie verderben in den grunt,
e sie es werden in,
Mit hurweis, trunkenheit und spil,
singen, schießen und fechten,
krieglaufen, zank und rechten,
bauen, faulkeit und schlaf:
den wer das narrenbat gesunt
und scherfet in ir sin.
Ich weiß ein gutes narrenbad,[100]
darein wil ich auch sitzen;
mich dünkt, es wer mir nit fast schad,
ob ich da möcht erschwitzen,
kumen zu rechten witzen
und halten weislich haus,
auf das ich kum mit eren aus.
wolauf, wer wil dahin?
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro