Der krank edelman

[126] In des Muscatblüts hofton.


15. januar 1542.


1.

Man lieset von eim edelmon

räubischer art; mit geiz, hoffart

war er alzeit umgeben;

Er schunt und zwang, die armen drang,

er spilt und demt, er hurt und schlemt,

fürt gar ein böses leben;

Einsmals lag er krank auf den tot,

der arzt beschaut den brunnen:

er war tötlich, schwarz, dick und rot;

der doctor wol besunnen

zum weibe sprach: »der krank ist schwach,

darum laßt in bewaren,

und das er mach sein testament,

vor seinem ent

all ding verricht! er bleibet nicht!

den tag wirt er noch faren.«


2.

Der narr der lof hinab den hof

und schauet, wu man rüstet zu

seim junkheren den wagen.

Do er nichts sach, lof er darnach[126]

zum kranken dar und sprach: »nem war,

der doctor tet heut sagen,

Du würst faren, du bliebest nicht;

wan wirstu wider kumen,

das man dein wagen nicht zuricht?«

der edelman tet brumen,

sprach: »Heinz, hieher kum ich nit mer!«

der narr tet antwort geben:

»du bist ein größer narr, wan ich

und das du dich

rüstest nit bas, dorthin etwas

schickest, darvon zu leben.«


3.

Der edelman dacht erst daran

und das er war so ganz und gar

unbereit zu dem sterben;

Mit reu und leit er sich bereit

und würket buß der sünden ruß,

von got tet gnad erwerben.

Dem gleich ietz iederman fast tut

in disem leben, trachtet

nach gwalt, pracht, wolust, er und gut,

auf das künftig nicht achtet;

und wißen doch, das wir all noch

müßen von hinnen faren;

wan wir sitzen in bester ru

so schleicht herzu

der bitter tot. der gütig got

wöl uns gnedig bewaren!

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 126-127.
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