Ariel

[497] Dem Hochwürdigsten Bischof Sailer gewidmet von seinem dankbaren Verehrer Friedrich v. Schlegel.


In der Kraft der milden Lehre

Leuchtest Du, o Greis! uns vor;

Liebe ist der Wahrheit Wehre,

Und bewältigt jedes Ohr.

Daß auf der vereinten Erde

Sei Ein Hirt und Eine Herde,

Öffne sich das Friedenstor.


Wie am Gott geweihten Orte

Alles zog der Jüngling nach;

Als er wundervoll die Worte

Von des Vaters Liebe sprach.

Staunend standen die Gelehrten;

Weil sie diesen Knaben hörten,

Ward die Welt in Liebe wach.[497]


Send' Ihn wieder und entzünde,

Ew'ger Vater! uns dies Nichts;

Daß die Finsternis verschwinde

Vor der Allmacht Deines Lichts;

Daß die Welt vom Einen Glauben

Nicht die Lügner an sich rauben

Bei der Ankunft des Gerichts.


Von dem Wehe dieser Zeiten

Singen Wunderstimmen viel,

Die uns furchtbar hingeleiten

Dann zu jenes Hirten Ziel.

Um den harten Sinn zu zwingen,

Zur Erkenntnis sie zu bringen,

Wird die Welt ein Todesspiel.


Ariel, der Löwe Gottes,

Schüttelt sein gewaltig Haupt;

Weh den Völkern, die voll Spottes

Oft des Seinen Ihn beraubt.

Aus den Tiefen, an den Sternen,

Auf der Erde, in den Fernen,

Wird noch zitternd Ihm geglaubt.


Rosse kommen auf Sein Rufen,

Rot und feurig, schwarz und bleich;

Die zerschlagend mit den Hufen

Alles niedertreten gleich;

Bis die Schöpfung dann gereinigt,

Und im Menschen All vereinigt

Triumphiert der Wahrheit Reich.


Einsam auf den Felsen wohnen

Wesen unberührt vom Glück;

Adler, die da droben thronen,

Hin zur Sonne schaut ihr Blick;

Wie von neuem Gott entfaltet

In der Herrlichkeit da waltet,

Und Sein Licht uns kehrt zurück.


Ströme glänzend niederfließen

Aus dem ew'gen Lebensquell

Sieht man, und sich neu ergießen

Alles Wissen göttlich hell.

Friede wird im Licht gefunden,

Wie du oft es hast empfunden,

Kommt es zur Vollendung schnell.[498]


Rein gebrannt im Feuerbade

Wird die ird'sche Finsternis;

Und des Himmels volle Gnade

Deckt der Zwiespalt Schlangenbiß.

Laut bekennt im neuen Leben

Es die Welt und fühlt mit Beben

Wer sie aus dem Abgrund riß.


Wie von Abend, so von Morgen

Strömt herbei der Völker Zahl;

Nach dem Streite frei der Sorgen

Feiernd Einer Liebe Mahl.

Voll gesättigt in der Fülle,

Danken sie in heil'ger Stille

Dem Erretter aus der Qual.


Wär' ein Zweig auch schon erstorben

An dem vollen Völkerbaum;

Wird ihm Rettung doch erworben,

Findet noch die Gnade Raum,

Balsam träufelnd in die Wunden,

Der den Kranken macht gesunden,

Und ihn weckt aus seinem Traum.


Doch die Auserwählt' und Reine

Hat das volle Ziel erschaut,

Wo im seligsten Vereine

Harrt des Bräutigams die Braut.

Hier auf dieser Unschuldswiese,

Wird im Seelenparadiese

Ihr der Himmel anvertraut.


Braucht es fürder frommer Taten,

Weil die Lüge niemals schwieg;

Wird der Kämpfer voll beraten

Zu dem neuen Geisterkrieg.

Fester gründen sich die Werke,

Höher steigt des Glaubens Stärke

Bis zum letzten Gottessieg.


Der Natur auch gibt die Weihe

Nun das Hohepriestertum;

Aus der ganzen Wesenreihe

Wiederhallt der Allmacht Ruhm.

Ariel im Friedenskranze

Leuchtet dann in mildem Glanze

Dem verklärten Christentum.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 497-499.
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