Geehrter Suchender.

[1] Den Entwurff der Teutschen Poesis / welchen er so wol anderen / als auch mir zu betrachten ůberschicket hat / achte ich von hoch-nützlicher Wichtigkeit: Und man ich Kraft unserer Gesellschaft bündlichen Vertrauens / und zwischen uns absonderlich geschlossenen Freundschaft / meine meinung davon frey heraus sagen sol / so bedünckt mich der Suchende habe im Teutschen numehr erfunden / wornach man vieleicht in anderen Sprachen vergeblich arbeiten wird. Ich wil erstlich sagen / Die gründliche und ungezweiffelte Maasforschung der Silben / durch welche unsere Ohren erst recht Poetisch / und solche / bishero unrichtige Richtere der Verse / Kunstverständig unterrichtet werden.

Die Frantzösischen / Italiäischen und Spanischen Poeten haben hierin noch zur zeit keine gewißheit /wie man auch aus jhren vornemsten Schriftten zubeobachten hat. Ronsart führet seinen verliebten Riesen (le Cyclope amoureux) also redend ein:


[Rand: Tom. 4. / fol. 100.]

∪ – – ∪ ∪ – ∪ –

Contre (für: contre) le mal d' amour

∪ – ∪ – ∪ – ∪

que tout les maux excede

∪ – ∪ – – ∪ – ∪ ∪ – ∪

L' artifice (für: L' artifice) n' invente

∪ – ∪ – ∪ – ∪

un plus present remede etc.


Derogleichen ist fast in allen der berühmten Frantzosen Gedichten zu finden. So schreibet auch Saint Amant an Damon: f. 129.


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Damon, ie languissois (für: languissois)

∪ – ∪ –

dans en sombre

– ∪ ∪ – ∪

(für: sombre) silence etc.


Malherbe und Colletet achten solche wieder jhre Aussprache lauffende misstimmung nicht als gefehlet und sagt hiervon Belleforest, Tom. VI. f. 77. on voit un nombre infiny' en France, lesquels sans avoir iamais gousté le mesure de vers, poetisant en leur langue, guidé du naturel. etc.

Die Italiäner sind hierinnen nicht achtsamer. Petracha setzet in dem 29. Senetto, f. 32.


∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪ – – ∪ – ∪ –

S' io credesse per (credesse per) morte essere

∪ – – ∪ ∪ – –

scarco (essere scarco)


Dante in seinem dritten Gesange von der Hölle f. 10.


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ ∪ – ∪

Per me si va nel eterno dolore (eterno) etc.


Die Spanier beobachten den Lang- und Kurtzlaut jhrer Wörter zwar genauer / vermissen aber doch mannichmahl die rechte Reimmaas / als Lope de Vega Carpio führet Anfriso f. 448. solcher gestalt singend ein:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – – ∪

Altos desseos de cantar etc. (für: altos)


Perez de Montalvan in seinem Buche / welches er Los Prodigios de amour nennet / setzet also f. 75.


No os lastime & amor que he de teneros

∪ – ∪ – ∪ – ∪

Porque despues etc. | für: Porque |


Derogleichen ist bey Monte Major, Boscan, Polo, Garcilasso de la Vega, und fast in allen Spanischen Poeten zufinden.

Ich wil nicht sagen / daß so berühmte Leute gefehlet haben / sonderen vielmehr glauben / Sie haben nur die anzahl der Silben (wie auch bey uns Teutschen die alten Meister-Sänger) und nicht die rechte Wortzeit oder den langen und kurtzen Thon in acht genommen: Daß aber solches gar nicht gnug / noch der Kunst / eigenschafft und gründen der wahren Poesis gemäß /bedarf gar keines andeutens. Der Suchender hat sein Gesuch alhie wol und mit Glück in Teutscher Sprache gethan / und die richtige Anweisung der Wortzeit /das ist / die Kunstmessige Erkennung und Abmessung aller Silben (derer viel 100000. seyn können) durch gewisse Kunstregulen in dem ersten Buche dieser Verskunst uns vorgestellet.

In dem anderen Buche hat ein Teutscher fast mit Verwunderung wahrzunehmen / daß nicht allein ůber viertzig / gantz reine unterschiedene Reimarten in unserer Muttersprache zu finden / sonderen auch durch richtige Anführung deroselben künnen wir nach aller Lust / so wol die Reimarten als die Reimmaassen wechselen / mengen / verschwesteren und verbrüderen / und also / so wol an menge als Lieblichkeit allerhand Reimarten / nicht sage ich keiner anderen Sprache etwas zuvorgeben / sonderen behalten hierin offenbarlich / und durch Ausspruch der Sonnenklaren Warheit den Vortritt und die Oberstelle: Wie dann auch hierzu nicht wenig hilft das jenige / was der Suchender in dem dritten Buche von der vielfältigen /und bißhero unbewusten lustigen lieblichen Enderungen der Versen nach derer Reimschlüssen / Reimungen und Sätzen / hervorgebracht hat. Wohin nur ein Sinnreicher Geist seine Gedancken und Einfälle lenket / begegnet jhm alhie mit gnüglichkeit unsere Teutsche Sprache / beut das Geschmükke / und Gezierde da / aufs mannigfaltigste unsere Erfindungen einzukleiden. Ein Sprachverständiger urtheile recht / wie weit die anderen Sprachen hierin unserer hochgelobten Mutter-Sprache gleichen werden. Ich setze zum Exempel / daß die Frantzosen zwar einen Versuch gethan haben / unseren lieblich-fliessenden Dactilischen arten nachzuahmen / aber unglüklich / wie zu sehen aus jhrem gemeinen Liedlein


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪

Bergere voyezcy la saison. etc.


– ∪ – ∪

Da sie doch sonsten sagen Bergere la saison.

Erheller demnach aus dieser des Suchenden neuergründeter Anführung / daß unsere Poesis viel weiter gerahten und zu gewisserem Stande gekommen / als vorerwehnter Sprachen befliessene / noch zur zeit in dem jhrigen es möcht haben: Ungeachtet jhnen von hochverstendigen Königen / Cardinälen Fürsten und Herren jederzeit die hülfliche Gnadenhand geboten worden; Welchen nemlich nicht unwissend / daß sie sterben müssen wie andere Menschen / Gott aber jhnen vor anderen Menschen die Mittel gegeben sich durch Gutthätigkeit gegen die Poeten unsterblich zumachen.

Denen mancherley Abwechselungen / Bindungen /von- und zusammen-setzungen der Reimarten ist nicht ein geringes Meisterstük zuzueignen: eine sondere Bewegung in unser Gemühte zu spielen / wie davon Aristoteles und Iules de la Mesnardiere f. 415. ein mehrers beweislich anführen / und also vom Euripide, Sophocle, Seneca, Francesco de Rojas, Manzini, vorbesagtem Mesnediere und anderen verstendig gebrauchet worden.

Der liebliche Versthon belüstiget unsere Ohren; die Bescheidenheit der Sache (von Aristotele Poet. cap. 25 Eukrinea genant) den Verstand: Daher Scaliger von seinem Poeten erfodert / benebenst der Klugheit unerwarteter einfälle / die nachdrükliche / eingrifige und Sinnbeherschende Sůßigkeit der Wörter: In dem nemlich tapfere Gedanken aus der Sache selbst geschöpfet / und nicht bey den Haaren / wie wir zureden pflegẽ / herbey gezogen / die Redart rein und scheinlich / ohne unzeitige Härtligkeit selbst fliessend in das Gedicht geleitet werden sollen.

Dieser Fehler ist sonderlich zu bemerken wan die Vernennung (Metaphora) nicht fortgesetzet wird /wie beim Horatio:


Et malètor natos incudi reddere versûs.


Wan auf der Trexelbank der Vers ist gantz zergliedet

Hört man den Amboschall daß man jhn wieder schmiedet


Und Petrarcha spricht vom Virgilio und Cicerone:


Questì sono gli occhi della lingua nostra.


Die Augen unserer Zungen / bedünket mich sei wider den natürlichen verstand geredt / denn die Augẽ so wenig auf der Zungen / als auf den Versen nützen. So ist auch fast lächerlich / wan man eine betrübte und bestürtzte Person Kunstzierlich redend einfuhret /da doch die wahl der Wort bey solcher Person so wenig seyn kan / als der Gegenschein eines Bildniß /in einem trüben Wasser. Dieses aber und derogleichen Gehörte zu der Dichtkunst / davon zu ende des dritten Buches der Suchende alhier etwas vermeld; die Hofnung aber uns dennoch übrig bleibet / Teutschliebende gelahrte Gemühter werden auch hierin den Griechen / Lateinern / Spaniern und Franzosen / den Vortheil und Ruhm nicht lassen; sonderen / weil die Form der Verskunst / als der Grund dieses Gebeues /numehr wol angewiesen / mit rechter Meisterhand und Kunstgründiger Wolständlichkeit das volle Kunstgeben zu fernerem ende setzen. Uns hiemit beiderseits Göttlicher Obhut befehlend / verbleibt.


Nürenberg den 20.

des Weinmonats /

im Jahre 1644.

Des Suchenden

treuverbundener Freund

Der Spielende.

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 1.
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