Erstes Buch

Auf Tempe's holder Flur, in einem Hain von Myrten,

Durch den sich der Penëus schlängelnd wand,

Entblühte still und unbekannt

Ein holdes Kind im Kreise frommer Hirten.

Sie hieß Psycharion; und keiner fand

Ringsum auf Tempe's weiten Auen

Ein Mädchen, das ihr glich an Reizen und Verstand.

Sie schien mit Göttern mehr als Sterblichen verwandt.

Auch sagte mancher Hirt dem Nachbar im Vertrauen,

Daß eine Huldgöttin in süßer Schwärmerey,

In Paphos Hain, auf einem Rosenbette,

Mit einem jungen Gott sich einst vergessen hätte,

Und Psyche kurz darauf im Hain gefunden sey.

Doch, was man nun auch von ihr glaubte,

Das wußten alle, daß ihr Blick

Dem, den er traf, im Augenblick

Das Herz aus seinem Busen raubte.


So schön und noch so jung? Dann wehe ihrem Geist

Und ihrem Herzen! wird der strenge Eifrer sagen.[225]

Verzeihe, lieber Freund; in jenen gold'nen Tagen

Hielt man den gold'nen Spruch, den Salomo beweis't,

»Auf dieser Welt ist alles eitel«

Für wahr, und handelte danach.

Und wenn man auch vom Fuße bis zum Scheitel

So schön war wie der junge Tag,

Je nun, man grämte sich nicht drüber;

Doch, daß man so, wie jetzt, im eitlen Hochmuthsfieber

Sich aufgebläht, und manchen armen Tropf

Und manchen Biedermann, nachdem man ihm den Kopf

Verdreht, mit Hohn zurückgewiesen hätte,

Davon erzählt mein Mährchen nicht.

Man kannte damals noch der Treue süße Pflicht;

In keinem Wörterbuch stand schon das Wort: Kokette;

Und wenn man's drin gesehn, ich wette,

Es wäre Närrin übersetzt.


Zwar war Psycharion schon jetzt

Geschmückt mit all den dreißig Gaben,

Die Coringer zum Schönheitskanon macht;

Doch hatte sie noch nie gedacht,

Nur eine einzige zu haben.

Sie war erst vierzehn Sommer alt,

Und Amors reizende Gewalt

Hielt noch ihr Herzchen nicht gefangen.

Sie ahnete noch nicht das schmachtende Verlangen,

Das in der Jahre Lenz die trunkne Seele füllt,

Und das nur heiße Liebe stillt.

Zwar war zuweilen schon im Traum ein holdes Bild

Vor ihrem Blick vorbeigegangen,

Und hatte mit verschämtem Bangen

Ihr argwohnloses Herz gefüllt;[226]

Doch kaum vergingen wenig Stunden,

War es aus ihrem Geist schon wiederum entschwunden.


Wohl mancher Hirt, der mehr für sie empfand

Als Freundschaft, sprach von Gluth und süßem Triebe,

Und von den Tändeleyn, worin in Cypris Land

Im stillen Blüthenhain sich Amors Jünger üben;

Doch nie vermochte sie zu lieben,

Da sie noch nie ein Herz dem ihren gleich gekannt.

Nein, wie man Schwestern oder Brüder,

Wie Freunde man und Aeltern liebt,

So liebte sie die Hirten wieder;

Doch was der Liebe erst die schönsten Reize giebt,

Dies holde, schmachtende Verlangen,

Nur Einem Wesen anzuhangen,

Den leisen Händedruck, den halbverstohlnen Blick,

Dies gab sie ihnen nicht zurück.


So floh im süßen Rausch der holden Jugendspiele

Ihr noch ein froh durchträumtes Jahr,

Und nach und nach nahm sie veränderte Gefühle,

Die sie noch nie gekannt, in ihrem Herzen wahr.

Sie fühlte, daß sie jenen lieber

Als diesen sah, und wenn beym Pfänderspiel

Auf sie das Loos, den Kuß zu geben, fiel,

So stahl sich unvermerkt ihr Blick zu dem hinüber,

Der ihr vor andern mehr gefiel.


Einst ging sie bei der Sonne Sinken

Im Myrtenwald, der ihre Hütt' umzog,

Den düftevollen Hauch der Kühlung einzutrinken.

Wo der Peneus sich im dichtsten Haine bog,[227]

Sah sie, vom Fluß geformt, ein rundes Becken blinken,

Das eine Rosenwand im halben Kreis' umzog.

Der Ort war rings so heimlich und so stille,

Die Wellen plätscherten so sanft durch's Ufer hin,

Und durch der Blätter grüne Hülle

Sang leis' und schwermuthsvoll der Haine Königin.

Der Nachtviolen Kelch ergoß die süßen Düfte;

Der Abendsonne letzter Strahl

Sah matt und zitternd noch ins dämmerliche Thal,

Und kosend flüsterten durchs zarte Laub die Lüfte.


Der Schönen schien der Ort zum Baden recht gemacht;

Ringsum des Waldes dunkle Nacht,

Und dann der kleine Teich, so glänzend wie ein Spiegel,

Vor jedem Lauscherblick versteckt

Durch rankendes Gebüsch und waldbewachs'ne Hügel.

Sie sieht sich sorgsam um, und als sie nichts entdeckt,

Beginnt sie scheu, mit sanften Herzensschlägen,

Das luftige Gewand erröthend abzulegen.


Schon sank der zartgewebte Flor,

Des holden Busens keusche Hülle,

Und in der reinsten Jugendfülle

Stieg sanftbewegt die Brust, der Fesseln frey, empor.

Jetzt fiel der letzte dünne Schleyer;

Und wie zu Cypris sanfter Feyer

Stand unverhüllt die schöne Jungfrau da,

So hold, wie einst Idalia

Der königliche Hirt auf Ida's Gipfel sah.


Sie steigt in's Bad und plätschert in den Wellen

Vergnügt umher und scherzend, und erschrickt,[228]

Wenn an die Brust, vom Weste sanft gedrückt,

Die kleinen Wogen rauschend schnellen.

Der Schönheit Zauber schien die Dämmrung zu erhellen;

Von ihrem Anblick war rings die Natur entzückt.

Die Weste, die in Blüthenbüschen

Sanftflüsternd gaukelten, verließen ihre Lust,

Und, sie mit Kühlung zu erfrischen,

Unflatterten sie Psyche's Brust.

Der Vögel Chor erwachte auf den Zweigen,

Und sang mit doppelt süßem Laut.

Ein jeder Blumenkelch, mit Perlennaß bethaut,

Schien sich vor ihrem Blick zu neigen,

Und durch das Dunkel strahlt' ein rosenfarbnes Licht.

Zwar diese Huldigung merkt unsre Schöne nicht,

Denn Keiner hatte noch ein Mädchen so bescheiden

Und Keiner noch so argwohnlos gesehn.


Indeß begann der Mond am Himmel aufzugehn,

Und Psyche trat an's Land, sich wieder anzukleiden.

Schon hüllte faltig das Gewand

Sich um die schön geformten Glieder,

Und züchtig barg der Flor den holden Busen wieder.

Zwar manches Zephyrs lose Hand

Versucht', um noch einmal die Lüsternheit zu stillen,

Den dünnen Flor verräth'risch zu enthüllen;

Allein vergebne Müh, zu fest hielt ihn das Band.


Ihr glaubt nun, diese Badescene

Mit allen Wundern sey allein von der Natur

Aus Liebe gegen unsre Schöne

Bewirkt. Da irrt ihr sehr. Was uns auch Epicur

Von ihrer Kraft und Allmacht dichtet,[229]

Glaubt mir's, die gute Mutter regt

Nicht Hand, nicht Fuß, wenn sie ein Stärkrer nicht bewegt.

Drum hört, wie mir das Mährchen es berichtet.

Ob's wahr sey oder nicht, das pflegt

Hier einerley zu seyn. Matt von der Liebe Siegen

Flog Amor nach Idalia zurück.

Hoch aus den Lüften sah sein Blick

Peneus holde Ufer liegen,

Den steten Aufenthalt von ländlichen Vergnügen

Und von dem reinsten Erdenglück.

Der holde Ort reizt ihn, herab zu fliegen;

Und als er sich der Erde naht,

Sieht er Psycharion sich baden.

Süßlächelnd steht sie da. Erst eben hat

Sie sich der letzten Hüll' entladen,

Und zitternd tritt ihr Fuß in's sanftbewegte Bad.

Wie anmuthsvoll ihr Wuchs! So blühten

Selbst nie die lächelnden Chariten,

So reizend war Cythere selber nicht.

Voll Unschuld war ihr Blick, die holden Wangen glühten

Von süßer, keuscher Scham. Ihr reizendes Gesicht

Sah fröhlich in der Wellen Wiederscheine

Sein holdes Bild, das sich im Glanz der Wogen bricht,

Der rings die Thäler und die Haine

Mit halber Dämmerung bestreut und halbem Licht.

Des Gottes Herz zerschmilzt in zärtliches Entzücken.

So wünscht er ewig sie voll Sehnsucht anzublicken.

Er strebt nicht mehr, die Menschen zu berücken;

Er denkt an seine Macht, an seine Pfeile nicht;

Kurz, er, der kleine Bösewicht,

Sonst nur bereit, der Menschen Ruh zu morden,

War schnell zu Platons Amor jetzt geworden.
[230]

Ist das denn jener Amor nicht,

Der uns so oft um unser Herz betrüget,

Nachdem er den Verstand in süßen Schlaf gewieget

Und dann so schnell entfliehet? spricht

Hier manches schöne Kind. Nein, jener ist es nicht;

Doch hütet euch, daß euch sein redliches Gesicht

Nicht, wie schon oft geschehn, betrüget.

Wenn jener unser Herz durch seinen Pfeil gewinnt,

Fängt dieser es durch List. Er ist ein sanftes Kind,

Das demuthsvoll zu unsern Füßen lieget,

An unserm Anschaun nur sein zärtlich Herz vergnüget,

Deß Seele schwärmend sich an unsre Seele schmieget

Und ganz in Eins mit ihr zusammenrinnt.

Doch soll er oft, wenn Ort und Stunde günstig sind,

Wenn er in einem dunklen Haine,

Wo Luna's Licht mit zauberischem Scheine

Durch dunkle Myrtenlauben blitzt,

An unsre Brust geschmieget sitzt,

Dann soll er oft sich schnell verwandeln

Und ganz so wie sein loser Bruder handeln:

Drum fliehet Amorn, welcher es auch sey;

Sie sind am Ende einerley.

Bald weiß er so, bald so sich einzudrängen.

Er war es, der im Doctorkleide sich

In Heloisens Kammer schlich,

Und dort in feinen Uebergängen

Von mönchischer Filosophie

Und trockener Theologie

Zur Liebe endlich kam. Daß Platons Amor nie

Auf unsrer Erdenwelt gewandelt haben sollte,

Das sag' ich nicht; allein, wer mit ihm tändeln wollte,[231]

Dem müßten Grazien den zarten Sinn

Und Sokrates die strenge Tugend schenken.


Doch ruhig! Wo gerath' ich hin?

Laßt zu Psycharion zurück uns wieder lenken,

Die Amor unterdeß, versteckt und ungesehen,

Begleitete. Rings blühn an den Gesträuchen

Jasmin und Rosen auf, und von des Aethers Höhn

Entschweben Töne, die so sanft in's Herz sich schleichen.

Die Schöne bleibt verwundert stehn,

Und blickt umher, den Zauberer zu sehn,

Der solche Wunder schafft. Wie? soll sie vorwärts gehn?

Soll sie es nicht? Sie geht, und kömmt an einen Rasen,

Wo, gleich Rubinen und Topasen,

Ein duftend Heer von bunten Blumen glänzt.

Rings bilden üppige Jasminen,

Mit Rosen hie und da bekränzt,

Ein Obdach, werth, zum Sitz dem Liebesgott zu dienen,

Und in des Kreises Mitte steht

Ein Wagen aus geflocht'nen Myrten,

Von Rosenzweigen überweht,

Vor dem vier weiße Tauben girrten.

Wo bin ich? ruft die Schön' und bebt,

In staunendes Entzücken ganz verloren.

Hat diesen Ort ein Gott zum Wohnsitz sich erkohren?

Hat Cypris dies Gebüsch zu stiller Lust gewebt?

Und horch, aus hohen Lüften schwebt

Ein süßes Lied zu ihren Ohren,

Der Aeolsharfe gleich, wenn sie der West belebt:


Zittre nicht, du Holde! Laß kein Beben

Sich in deiner keuschen Brust erheben![232]

Du bist eines Gottes süße Braut.

Auf, besteige seinen Blumenwagen!

Laß dich hin in seine Reiche tragen,

Wo die Liebe dir Altäre baut.


Dort sollst du in aller Herzen thronen,

Sollst in köstlichen Pallästen wohnen,

Rings umstrahlt von nie geseh'ner Pracht.

Strebe nicht, dein Schicksal zu ergründen;

Luftig wird das Glück dir sonst entschwinden,

Wie ein Traum der kurzen Sommernacht.


Die Schöne steht verzückt im Hören und im Schauen.

Was soll sie thun? Soll sie den Worten trauen?

Soll sie es nicht? Doch ach! der Stimme Flehn,

Es klingt zu süß; sie kann nicht widerstehn.

Mit Beben steigt sie in den Wagen,

Und, durch die Wolken fortgetragen,

Strebt er durch weite Räume hin.

Sanft trugen ihn die lauen Lüfte

Und hauchten um die Herrscherin

Der Blumen schönste Nektardüfte.


Allmählich senkte sich der Wagen nun herab,

Und ließ Psycharion ein holdes Land erblicken,

Wie nie Armidens und Alcinens Zauberstab

Ein ähnliches erschuf, um Helden zu bestricken.

Rings schien die gütige Natur

Mit vollen Händen alle Gaben,

Die sie besaß, auf diese Flur

Mit Liebe ausgestreut zu haben.

Ein weites grünes Thal, von sanften Höhn begränzt,[233]

Das tausend Quellen rings durchirrten,

Erschien dem frohen Blick. Dort zog von duft'gen Myrten

Sich eine Wiese hin, und vom Gebüsch umkränzt,

Wallt heimlich dort ein See und küßt mit sanften Wellen

Des Ufers blühend Grün. In wilden Wasserfällen

Stürzt hier ein Bach sich schäumend durch's Gefild,

Doch leise fließt er bald und mild,

Und Blumen wölben sich ob seinen klaren Fluthen.

Dort schützet vor des Mittags Gluthen

Den Wanderer ein stiller Felsengrund,

Vom hohen Wald umweht, wo bunt

Und duftend Ros' und Nelk' und Veilchen und Jasminen

Sich um den Preis zu streiten schienen.

Hier lockt ein dichter, dunkler Wald,

Wo Früchte sich an Früchte drängen;

Und Feld und Thal und Hain erschallt

Von wunderlieblichen Gesängen.


Doch, ach! umsonst versuch' ich, euch

Die holde Gegend zu beschreiben.

Die Schilderey kömmt nie dem wahren Urbild gleich,

Wie immer auf der Welt; denn alles Thun und Treiben

Des Menschen, der sich fühlt, ist schwaches Streben nur,

Das Ideal, das die Natur

Zum Ziel ihm stellte, zu erreichen.

Stets wandelt er auf seiner Spur;

Glaubt er es schon erreicht, sieht er es schnell entweichen,

Es winkt an einem rauhern Pfad;

Zwar Blumen schmücken stets den Weg, den es uns führet,

Doch dem sind Götter hold, der ihm so weit genaht,

Daß er des Kleides Saum ihm leise nur berühret.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 221-234.
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