Vierte Szene

[404] Eine Straße.


Graziano, Lorenzo, Salarino und Solanio treten auf.


LORENZO.

Nun gut, wir schleichen weg vom Abendessen,

Verkleiden uns in meinem Haus und sind

In einer Stunde alle wieder da.

GRAZIANO.

Wir haben uns nicht recht darauf gerüstet.

SALARINO.

Auch keine Fackelträger noch bestellt.

SOLANIO.

Wenn es nicht zierlich anzuordnen steht,

So ist es nichts, und unterbliebe besser.

LORENZO.

's ist eben vier; wir haben noch zwei Stunden

Zur Vorbereitung.


Lanzelot kommt mit einem Briefe.


Freund Lanzelot, was bringst du?

LANZELOT. Wenn's Euch beliebt, dies aufzubrechen, so wird es gleichsam andeuten.[404]

LORENZO.

Ich kenne wohl die Hand: ja, sie ist schön,

Und weißer als das Blatt, worauf sie schrieb,

Ist diese schöne Hand.

GRAZIANO.

Auf meine Ehre, eine Liebesbotschaft.

LANZELOT.

Mit Eurer Erlaubnis, Herr.

LORENZO.

Wo willst du hin?

LANZELOT. Nun, Herr, ich soll meinen alten Herrn, den Juden, zu meinem neuen Herrn, dem Christen, auf heute zum Abendessen laden.

LORENZO.

Da nimm dies; sag der schönen Jessica,

Daß ich sie treffen will. – Sag's heimlich! Geh!


Lanzelot ab.


Ihr Herrn,

Wollt ihr euch zu dem Maskenzug bereiten?

Ich bin versehn mit einem Fackelträger.

SALARINO.

Ja, auf mein Wort, ich gehe gleich danach.

SOLANIO.

Das will ich auch.

LORENZO.

Trefft mich und Graziano

In einer Stund' in Grazianos Haus.

SALARINO.

Gut das, es soll geschehn.


Salarino und Solanio ab.


GRAZIANO.

Der Brief kam von der schönen Jessica?

LORENZO.

Ich muß dir's nur vertraun; sie gibt mir an,

Wie ich sie aus des Vaters Haus entführe;

Sie sei versehn mit Gold und mit Juwelen,

Ein Pagenanzug liege schon bereit.

Kommt je der Jud', ihr Vater, in den Himmel,

So ist's um seiner holden Tochter willen;

Und nie darf Unglück in den Weg ihr treten,

Es möchte dann mit diesem Vorwand sein,

Daß sie von einem falschen Juden stammt.

Komm, geh mit mir, und lies im Gehn dies durch:

Mir trägt die schöne Jessica die Fackel.


Beide ab.[405]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 404-406.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Kaufmann von Venedig
Der Kaufmann von Venedig
Der Kaufmann von Venedig [Zweisprachig]
Der Kaufmann von Venedig
Ein Sommernachtstraum /Der Kaufmann von Venedig /Viel Lärm um nichts /Wie es euch gefällt /Die lustigen Weiber von Windsor
Der Kaufmann von Venedig: Zweisprachige Ausgabe

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Der historische Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erzählt die Geschichte des protestantischen Pastors Jürg Jenatsch, der sich gegen die Spanier erhebt und nach dem Mord an seiner Frau von Hass und Rache getrieben Oberst des Heeres wird.

188 Seiten, 6.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon