Vierte Szene

[737] Ein Zimmer im Palaste des Herzogs.


Valentin und Viola in Mannskleidern.


VALENTIN. Wenn der Herzog mit solchen Gunstbezeugungen gegen Euch fortfährt, Cesario, so könnt Ihr es weit bringen: er kennt Euch erst seit drei Tagen, und schon seid Ihr kein Fremder mehr.

VIOLA. Ihr fürchtet entweder Laune von seiner Seite oder Nachlässigkeit von der meinigen, wenn Ihr die Fortdauer seiner Zuneigung in Zweifel zieht. Ist er unbeständig in seiner Gunst?

VALENTIN. Nein, in der Tat nicht.


Der Herzog, Curio und Gefolge treten auf.


VIOLA.

Ich dank' Euch. Hier kommt der Graf.

HERZOG.

Wer sah Cesario? he?

VIOLA.

Hier, gnäd'ger Herr, zu Eurem Dienst.

HERZOG.

Steht Ihr indes beiseit'! – Cesario,

Du weißt nun alles: die geheimsten Blätter

Schlug ich dir auf im Buche meines Herzens.

Drum, guter Jüngling, mach' dich zu ihr auf,

Nimm kein Verleugnen an; steh vor der Tür

Und sprich, es solle fest dein Fuß da wurzeln,

Bis du Gehör erlangt.

VIOLA.

Doch, mein Gebieter,

Ist sie so ganz dem Grame hingegeben,

Wie man erzählt, läßt sie mich nimmer vor.

HERZOG.

Sei laut und brich durch alle Sitte lieber,

Eh' du den Auftrag unverrichtet läßt.

VIOLA.

Gesetzt nun, Herr, ich spreche sie: was dann?

HERZOG.

Oh, dann entfalt' ihr meiner Liebe Macht,

Laß sie erstaunen über meine Treu':

Es wird dir wohl stehn, meinen Schmerz zu klagen;

Sie wird geneigter deiner Jugend horchen,

Als einem Boten ernstern Angesichts.

VIOLA.

Das denk' ich nicht, mein Fürst.[737]

HERZOG.

Glaub's, lieber Junge!

Denn der verleumdet deine frohen Jahre,

Wer sagt, du seist ein Mann: Dianas Lippen

Sind weicher nicht und purpurner; dein Stimmchen

Ist wie des Mädchens Kehle, hell und klar,

Und alles ist an dir nach Weibes Art.

Ich weiß, daß dein Gestirn zu dieser Sendung

Sehr günstig ist. Vier oder fünf von euch,

Begleitet ihn; geht alle, wenn ihr wollt!

Mir ist am wohlsten, wenn am wenigsten

Gesellschaft um mich ist. Vollbring' dies glücklich,

Und du sollst frei wie dein Gebieter leben,

Und alles mit ihm teilen.

VIOLA.

Ich will tun,

Was ich vermag, Eu'r Fräulein zu gewinnen.


Beiseit.


Doch wo ich immer werbe, Müh' voll Pein!

Ich selber möchte seine Gattin sein.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 737-738.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Was ihr wollt
Was ihr wollt: Komödie
Twelfth Night/ Was ihr wollt [Zweisprachig]
Was ihr wollt, Englisch-Deutsch
Was ihr wollt: Zweisprachige Ausgabe
Was ihr wollt (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon