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[797] Vor Olivias Hause.
Der Narr und Fabio.
FABIO. Wenn du mich lieb hast, laß mich seinen Brief sehen!
NARR. Lieber Herr Fabio, tut mir dafür einen andern Gefallen!
FABIO. Was du willst.
NARR. Verlangt nicht, diesen Brief zu sehn!
FABIO. Das heißt, du schenkst mir einen Hund, und foderst nachher zur Belohnung den Hund wieder.
Der Herzog, Viola und Gefolge treten auf.
HERZOG. Gehört ihr dem Fräulein Olivia an, Freunde?
NARR. Ja, Herr, wir sind ein Teil ihres Hausrates.
HERZOG. Ich kenne dich sehr wohl: wie geht's dir, guter Bursch?
NARR. Aufrichtig, Herr, je mehr Feinde, desto besser; je mehr Freunde, desto schlimmer.
HERZOG. Grade umgekehrt; je mehr Freunde, desto besser.
NARR. Nein, Herr, desto schlimmer.
HERZOG. Wie ginge das zu?
NARR. Ei, Herr, sie loben mich und machen einen Esel aus mir; meine Feinde hingegen sagen mir grade heraus, daß ich ein Esel bin: also nehme ich durch meine Feinde in der Selbsterkenntnis zu, und durch meine Freunde werde ich hintergangen. Also, Schlüsse wie Küsse betrachtet, wenn vier Verneinungen zwei Bejahungen ausmachen: Je mehr Freunde, desto schlimmer, und je mehr Feinde, desto besser.[797]
HERZOG. Ei, das ist vortrefflich.
NARR. Nein, Herr, wahrhaftig nicht; ob es Euch gleich gefällt, einer von meinen Freunden zu sein.
HERZOG. Du sollst aber meinetwegen doch nicht schlimmer dran sein: da hast du Gold.
NARR. Wenn Ihr kein Doppler dadurch würdet, Herr, so wollte ich, Ihr könntet noch ein Stück daraus machen.
HERZOG. Oh, Ihr gebt mir einen schlechten Rat.
NARR. Steckt Eure Gnade für diesmal noch in die Tasche, und laßt Euer Fleisch und Blut ihr gehorchen!
HERZOG. Gut, ich will mich einmal versündigen und ein Doppler sein: da hast du noch ein Stück.
NARR. Zum ersten, zum zweiten, zum dritten, dann wird erst zugeschlagen; wie das alte Sprichwort sagt, sind aller guten Dinge drei; der Dreiachteltakt, Herr, ist ein guter lustiger Takt; die Betglocke kann's Euch zu Gemüte führen, sie sagt immer: eins, zwei, drei.
HERZOG. Ihr könnt auf diesen Wurf nicht mehr Geld aus mir herausnarrieren. Wollt Ihr Euerm Fräulein melden, daß ich sie zu sprechen wünsche, und machen, daß sie hieher kommt, so möchte das vielleicht meine Freigebigkeit wieder aufwecken.
NARR. Nun, Herr, eiapopeia Eurer Freigebigkeit, bis ich zurückkomme! Ich gehe, Herr, aber Ihr müßt ja nicht denken, mein Verlangen, zu haben, sei Gewinnsucht. Doch, wie Ihr sagt, laßt Eure Freigebigkeit nur ein wenig einnicken; ich will sie gleich wieder aufwecken. Ab.
Antonio und Gerichtsdiener kommen.
VIOLA.
Hier kommt der Mann, der mich gerettet, Herr.
HERZOG.
Auf dies Gesicht besinn' ich mich gar wohl;
Doch als ich es zuletzt sah, war es schwarz
Vom Dampf des Krieges, wie Vulkan, besudelt.
Er war der Hauptmann eines winz'gen Schiffs,
Nach Größ' und flachem Bau von keinem Wert,
Womit er sich so furchtbar handgemein
Mit unsrer Flotte stärksten Segeln machte,[798]
Daß selbst der Neid und des Verlustes Stimme
Preis über ihn und Ehre rief. – Was gibt's?
ERSTER GERICHTSDIENER.
Orsino, dies ist der Antonio,
Der Euch den Phönix nahm und seine Ladung;
Dies ist er, der den Tiger enterte,
Wo Euer junger Neff' ein Bein verlor.
Hier in den Straßen ward er, frech und tollkühn,
Auf einer Schlägerei von uns ertappt.
VIOLA.
Er tat mir Dienste, Herr, focht mir zum Schutz,
Doch hielt zuletzt mir wunderliche Reden:
Ich weiß nicht, was es sonst als Wahnwitz war.
HERZOG.
Berüchtigter Pirat! Du Seespitzbube!
Welch toller Mut gab dich in deren Hand,
Die mit so blut'gem, teuerm Handel du
Zu Feinden dir gemacht?
ANTONIO.
Orsino, edler Herr,
Erlaubt mir, diese Namen abzuschütteln:
Antonio war noch nie Pirat noch Dieb,
Obschon, ich geb' es zu, mit gutem Grund
Orsinos Feind. Ein Zauber zog mich her;
Den allerundankbarsten Knaben dort
Entriß ich dem ergrimmten, schäum'gen Rachen
Der wüsten See; er war des Todes Raub:
Ich gab sein Leben ihm, gab überdies
Ihm meine Liebe, ohne Grenz' und Rückhalt,
Sein, gänzlich hingegeben; seinetwillen
Wagt' ich hieher mich, einzig ihm zu Liebe,
In die Gefahren dieser Feindesstadt,
Und focht für ihn, da man ihn angefallen.
Als ich dabei verhaftet ward, so lehrte
Ihn seine falsche List (denn die Gefahr
Mit mir zu teilen war er nicht gewillt),
Mir die Bekanntschaft ins Gesicht zu weigern;
Er wurde mir auf zwanzig Jahr entfremdet
In einem Umsehn; leugnete sogar
Mir meinen Beutel ab, den zum Gebrauch
Kaum vor der halben Stund' ich ihm gelassen.
VIOLA.
Wie kann dies sein?[799]
HERZOG.
Wann kam er in die Stadt?
ANTONIO.
Erst heute, und drei Monden lang vorher
Sind wir beisammen Tag und Nacht gewesen,
Auch nicht einmal Minuten lang getrennt.
Olivia kommt mit Gefolge.
HERZOG.
Die Gräfin kommt, der Himmel geht auf Erden. –
Du aber, Mensch, Mensch, deine Red' ist Wahnsinn:
Drei Monden dient mir dieser junge Mann.
Doch mehr hievon nachher. – Führt ihn beiseit!
OLIVIA.
Was wünscht mein Fürst, bis auf das ihm Versagte,
Worin Olivia kann gefällig sein? –
Cesario, Ihr haltet mir nicht Wort.
VIOLA.
Mein Fräulein –
HERZOG.
Reizende Olivia –
OLIVIA.
Cesario, was sagt Ihr? – Gnäd'ger Herr –
VIOLA.
Mein Herr will reden, Ehrfurcht heißt mich schweigen.
OLIVIA.
Wenn's nach der alten Leier ist, mein Fürst,
So ist es meinem Ohr so widerwärtig
Wie Heulen nach Musik.
HERZOG.
Noch immer grausam?
OLIVIA.
Noch immer standhaft, gnäd'ger Herr.
HERZOG.
In der Verkehrtheit? wie? Unholde Schöne,
An deren nimmer segnenden Altären
Mein Herz die treusten Opfer ausgehaucht,
So je die Andacht darbot! – Was soll ich tun?
OLIVIA.
Ganz nach Gefallen, was Eu'r Gnaden ansteht.
HERZOG.
Weswegen sollt' ich nicht, litt' es mein Herz,
Wie der ägypt'sche Dieb in Todesnot,
Mein Liebstes töten: wilde Eifersucht,
Die oft ans Edle grenzt? Doch höret dies:
Weil Ihr denn meine Treue gar nichts achtet,
Und ich so ziemlich doch das Werkzeug kenne,
Das meinen Platz in Eurer Gunst mir sperrt,
So lebt nur, marmorbusige Tyrannin!
Doch diesen Euern Günstling, den Ihr liebt,
Den ich, beim Himmel, lieb und teuer halte,
Ihn will ich aus dem stolzen Auge reißen,[800]
Wo hoch er thronet, seinem Herrn zum Trotz. –
Komm, Junge! Mein Entschluß ist reif zum Unheil:
Ich will mein zartgeliebtes Lamm entseelen,
Um einer Taube Rabenherz zu quälen.
Will abgehen.
VIOLA.
Und ich, bereit, mit frohem, will'gem Sinn,
Gäb', Euch zum Trost, mich tausend Toden hin.
Will ihm folgen.
OLIVIA.
Wo will Cesario hin?
VIOLA.
Ihm folg' ich nach, dem ich mich ganz ergeben,
Der mehr mir ist als Augenlicht, als Leben;
Ja mehr, um alles, was man mehr nur nennt,
Als dieses Herz je für ein Weib entbrennt.
Und red' ich falsch, ihr hohen Himmelsmächte,
An meinem Leben rächt der Liebe Rechte!
OLIVIA.
Weh mir! entsetzlich! wie getäuscht bin ich!
VIOLA.
Wer täuscht Euch denn? Wer tut Euch einen Hohn?
OLIVIA.
Vergißt du selbst dich? Ist's so lange schon? –
Ruft doch den Priester her!
Einer von ihren Leuten ab.
HERZOG.
Komm! Fort mit mir!
OLIVIA.
Wohin? – Gemahl! Cesario, bleib' hier!
HERZOG.
Gemahl?
OLIVIA.
Ja, mein Gemahl. – Kannst du es leugnen? Sprich!
HERZOG.
Du, ihr Gemahl?
VIOLA.
Nein, gnäd'ger Herr, nicht ich.
OLIVIA.
Ach, es ist nur die Knechtschaft deiner Furcht,
Was dich dein Eigentum erwürgen heißt.
Cesario, fürchte nichts, ergreif' dein Glück,
Sei, was du weißt, du seist es, und dann bist du
So groß, als was du fürchtest. –
Der Bediente kommt mit dem Priester zurück.
O willkommen,
Ehrwürd'ger Vater! Ich beschwöre dich
Bei deinem heil'gen Amt, hier zu bezeugen
(Wiewohl vor kurzem wir die Absicht hatten,
In Nacht zu hüllen, was der Anlaß nun,
Noch eh' es reif, ans Licht zieht), was du weißt,
Daß ich und dieser Jüngling jetzt vollbracht.[801]
PRIESTER.
Ein Bündnis ewigen Vereins der Liebe,
Bestätigt durch in eins gefügte Hände,
Bezeugt durch eurer Lippen heil'gen Druck,
Bekräftigt durch den Wechsel eurer Ringe;
Und alle Fei'rlichkeiten des Vertrags
Versiegelt durch mein Amt, mit meinem Zeugnis.
Seitdem, sagt mir die Uhr, hab' ich zum Grabe
Zwei Stunden nur gewallet.
HERZOG.
O heuchlerische Brut! Was wirst du sein,
Wann erst die Zeit den Kopf dir grau besät?
Wo nicht so hoch sich deine List erhebt,
Daß sie dir selber eine Falle gräbt.
Leb wohl und nimm sie: aber geh auf Wegen,
Wo wir einander nie begegnen mögen!
VIOLA.
Ich schwöre, gnäd'ger Herr –
OLIVA.
Oh, keinen Schwur!
Bei so viel Furcht, heg' etwas Treu' doch nur!
Junker Christoph kommt mit einem blutigen Kopfe.
JUNKER CHRISTOPH. Um Gottes Barmherzigkeit willen, einen Feldscherer! Und schickt gleich einen zum Junker Tobias!
OLIVIA. Was gibt's?
JUNKER CHRISTOPH. Er hat mir ein Loch in den Kopf geschlagen, und Junker Tobias hat auch eine blutige Krone weg. Um Gottes Barmherzigkeit willen, helft! Ich wollte hundert Taler drum geben, daß ich zu Hause wäre.
OLIVIA. Wer hat es getan, Junker Christoph?
JUNKER CHRISTOPH. Des Grafen Kavalier, Cesario heißt er. Wir glaubten, er wäre 'ne Memme, aber er ist der eingefleischte Teufel selbst.
HERZOG. Mein Kavalier, Cesario?
JUNKER CHRISTOPH. Potz Blitz, da ist er! – Ihr habt mir um nichts und wieder nichts ein Loch in den Kopf geschlagen, und was ich getan habe, dazu hat mich Junker Tobias angestiftet.
VIOLA.
Was wollt Ihr mir? Ich tat Euch nichts zu Leid:
Ihr zogt ohn' Ursach' gegen mich den Degen,
Ich gab Euch gute Wort' und tat Euch nichts.[802]
JUNKER CHRISTOPH. Wenn eine blutige Krone was Leides ist, so habt Ihr mir was zu Leide getan. Ich denke, es kommt nichts einer blutigen Krone bei.
Junker Tobias kommt, betrunken und von dem Narren geführt.
Da kommt Junker Tobias angehinkt, Ihr sollt noch mehr zu hören kriegen. Wenn er nicht was im Kopfe gehabt hätte, so sollte er Euch wohl auf 'ne andre Manier haben tanzen lassen.
HERZOG. Nun, Junker, wie steht's mit Euch?
JUNKER TOBIAS. Es ist all eins: er hat mich verwundet und damit gut. – Schöps, hast du Görgen den Feldscherer gesehn, Schöps?
NARR. Oh, der ist betrunken, Junker Tobias, schon über eine Stunde; seine Augen waren früh um acht schon untergegangen.
JUNKER TOBIAS. So ist er ein Schlingel und eine Schlafmütze. Nichts abscheulicher als so'n betrunkner Schlingel!
OLIVIA. Fort mit ihm! Wer hat sie so übel zugerichtet?
JUNKER CHRISTOPH. Ich will Euch helfen, Junker Tobias, wir wollen uns zusammen verbinden lassen.
JUNKER TOBIAS. Wollt Ihr helfen? – Ein Eselskopf, ein Hasenfuß und ein Schuft! ein lederner Schuft! ein Pinsel!
OLIVIA. Bringt ihn zu Bett und sorgt für seine Wunde!
Der Narr, Junker Tobias und Junker Christoph ab. Sebastian kommt.
SEBASTIAN.
Es tut mir leid um Euers Vetters Wunde,
Doch wär's der Bruder meines Bluts gewesen,
Ich konnte nicht mit Sicherheit umhin.
Ihr blicket fremd mich an, mein Fräulein, und
Daran bemerk' ich, daß es Euch beleidigt.
Verzeiht mir, Holde, jener Schwüre wegen,
Die wir einander eben nur getan.
HERZOG.
Gesicht, Ton, Kleidung eins, doch zwei Personen:
Ein wahrer Gaukelschein, der ist und nicht ist!
SEBASTIAN.
Antonio! Oh, mein teuerster Antonio!
Wie haben nicht die Stunden mich gefoltert,
Seitdem ich Euch verlor![803]
ANTONIO.
Seid Ihr Sebastian?
SEBASTIAN.
Wie? zweifelst du daran, Antonio?
ANTONIO.
Wie habt Ihr denn Euch von Euch selbst getrennt?
Ein Ei ist ja dem andern nicht so gleich
Als diese zwei Geschöpfe. Wer von beiden
Ist nun Sebastian?
OLIVIA.
Höchst wunderbar!
SEBASTIAN.
Steh' ich auch dort? Nie hatt' ich einen Bruder,
Noch trag' ich solche Göttlichkeit in mir,
Daß von mir gölte: hier und überall.
Ich hatte eine Schwester, doch sie ist
Von blinden Wellen auf der See verschlungen.
Zu Viola.
Um Gottes willen, seid Ihr mir verwandt?
Aus welchem Land? Wes Namens? Wes Geschlechts?
VIOLA.
Von Metelin; Sebastian war mein Vater.
Solch ein Sebastian war mein Bruder auch.
Den Anzug nahm er in sein feuchtes Grab,
Und kann ein Geist Gestalt und Tracht erborgen,
So kommt Ihr, uns zu schrecken.
SEBASTIAN.
Ja, ich bin ein Geist,
Doch in den Körper fleischlich noch gehüllt,
Der von der Mutter Schoß mir angehört.
Wärt Ihr ein Weib, da alles andre zutrifft,
Ich ließ' auf Eure Wangen Tränen fallen,
Und spräch': Viola, sei, Ertrunkne, mir willkommen!
VIOLA.
Mein Vater hatt' ein Mal auf seiner Stirn.
SEBASTIAN.
Das hatt' auch meiner.
VIOLA.
Und starb den Tag, als dreizehn Jahr Viola
Seit der Geburt gezählt.
SEBASTIAN.
Oh, die Erinn'rung lebt in meiner Seele!
Ja, er verließ die Sterblichkeit den Tag,
Der meiner Schwester dreizehn Jahre gab.
VIOLA.
Steht nichts im Weg, uns beide zu beglücken,
Als diese angenommne Männertracht,
Umarmt mich dennoch nicht, bis jeder Umstand
Von Lage, Zeit und Ort sich fügt und trifft,
Daß ich Viola bin; dies zu bestärken,
Führ' ich Euch hin zu einem Schiffspatron[804]
Am Ort hier, wo mein Mädchenanzug liegt.
Durch seine güt'ge Hülf' errettet, kam
Ich in die Dienste dieses edlen Grafen;
Und was seitdem sich mit mir zugetragen,
War zwischen dieser Dam' und diesem Herrn.
SEBASTIAN.
So kam es, Fräulein, daß Ihr Euch geirrt,
Doch die Natur folgt' ihrem Zug hierin.
Ihr wolltet einer Jungfrau Euch verbinden,
Und seid darin, beim Himmel! nicht betrogen:
Jungfräulich ist der Euch vermählte Mann.
HERZOG.
Seid nicht bestürzt! Er stammt aus edlem Blut. –
Wenn dies so ist, und noch scheint alles wahr,
So hab' ich teil an diesem frohen Schiffbruch.
Zu Viola.
Du hast mir, Junge, tausendmal gesagt,
Du würd'st ein Weib nie lieben so wie mich.
VIOLA.
Und all die Worte will ich gern beschwören,
Und all die Schwüre treu im Herzen halten,
Wie die gewölbte Feste dort das Licht,
Das Tag' und Nächte scheidet.
HERZOG.
Gib mir deine Hand,
Und laß mich dich in Mädchenkleidern sehn!
VIOLA.
Der Schiffspatron, der hier an Land mich brachte,
Bewahrt sie; er ist wegen eines Handels
Jetzt in Verhaft, auf Foderung Malvolios,
Der einen Ehrendienst beim Fräulein hat.
OLIVIA.
Er soll ihn gleich in Freiheit setzen: ruft
Malvolio her! – Ach, nun erinnr' ich mich,
Der arme Mann soll ganz von Sinnen sein.
Der Narr kommt zurück mit einem Briefe.
Ein höchst zerstreu'nder Wahnsinn in mir selbst
Verbannte seinen ganz aus meinem Geist. –
Was macht er, Bursch?
NARR. Wahrhaftig, gnädiges Fräulein, er hält sich den Belzebub so gut vom Leibe, als ein Mensch in seinen Umständen nur irgend kann. Er hat Euch da einen Brief geschrieben, ich hätte ihn schon heute morgen übergeben sollen; aber[805] Briefe von Tollen sind kein Evangelium, also kommt nicht viel darauf an, wann sie bestellt werden.
OLIVIA. Mach' ihn auf und lies!
NARR. Nun erbaut Euch recht, wenn der Narr den Tollen vorträgt: – »Bei Gott, Fräulein!« –
OLIVIA. Was ist dir? Bist du toll?
NARR. Nein, Fräulein, ich lese nur Tollheit. Wenn Euer Gnaden beliebt, daß ich es gehörig machen soll, so muß meine Stimme freien Lauf haben.
OLIVIA. Sei so gut und lies bei gesundem Verstande!
NARR. Das tu' ich, Madonna: aber um seinen gesunden Verstand zu lesen, muß man so lesen. Also erwägt, meine Prinzessin, und merkt auf!
OLIVIA. Lest Ihr es, Fabio!
FABIO liest. »Bei Gott, Fräulein, Ihr tut mir unrecht, und die Welt soll es wissen. Habt Ihr mich schon in ein dunkles Loch gesperrt und Euerm betrunknen Vetter Aufsicht über mich gegeben, so habe ich doch den Gebrauch meiner Sinne ebenso gut als Euer Gnaden. Ich habe Euern eignen Brief, der mich zu dem angenommenen Betragen bewogen hat, und bin gewiß, daß ich mich damit rechtfertigen und Euch beschämen kann. Denkt von mir, wie Ihr wollt! Ich stelle meine Ehrerbietung auf einen Augenblick beiseite, und rede nach der zugefügten Beleidigung.
Der toll-behandelte Malvolio.«
OLIVIA. Hat er das geschrieben?
NARR. Ja, Fräulein.
HERZOG. Das schmeckt nicht sehr nach Verrücktheit.
OLIVIA.
Setz' ihn in Freiheit, Fabio, bring' ihn her! –
Fabio ab.
Mein Fürst, beliebt's Euch, nach erwogner Sache
Als Schwester mich statt Gattin anzusehn,
So krön' ein Tag den Bund, wenn's Euch beliebt,
In meinem Hause und auf meine Kosten.
HERZOG.
Eu'r Antrag, Fräulein, ist mir höchst willkommen.
Zu Viola.
Eu'r Herr entläßt Euch: für die getanen Dienste,
Ganz streitend mit der Schüchternheit des Weibes,[806]
Tief unter der gewohnten zarten Pflege,
Und weil Ihr mich so lange Herr genannt,
Nehmt meine Hand hier, und von jetzo an
Seid Euers Herrn Herr.
OLIVIA.
Schwester? – Ja, Ihr seid's.
Fabio kommt mit Malvolio zurück.
HERZOG.
Ist der da der Verrückte?
OLIVIA.
Ja, mein Fürst.
Wie steht's, Malvolio?
MALVOLIO.
Fräulein, Ihr habt mir Unrecht angetan,
Groß Unrecht.
OLIVIA.
Hab' ich das, Malvolio? Nein.
MALVOLIO.
Ihr habt es, Fräulein; lest nur diesen Brief!
Ihr dürft nicht leugnen, dies ist Eure Hand;
Schreibt anders, wenn Ihr könnt, in Stil und Zügen,
Sagt, Siegel und Erfindung sei nicht Euer.
Ihr könnt es nicht: wohlan, gesteht es denn
Und sagt mir um der Sitt' und Ehre willen,
Was gebt Ihr mir so klare Gunstbeweise,
Empfehlt mir, lächelnd vor Euch zu erscheinen,
Die Gürtel kreuzweis und in gelben Strümpfen,
Und gegen Euern Vetter stolz zu tun
Und das geringre Volk; und da ich dies
In untertän'ger Hoffnung ausgeführt:
Weswegen ließt Ihr mich gefangen setzen,
Ins Dunkle sperren, schicktet mir den Priester,
Und machtet mich zum ärgsten Narr'n und Gecken,
An dem der Witz sich jemals übte? Sagt!
OLIVIA.
Ach, guter Freund! Dies ist nicht meine Hand,
Obschon, ich muß gestehn, die Züg' ihr gleichen;
Doch ohne Zweifel ist's Marias Hand.
Und nun besinn' ich mich, sie sagte mir
Zuerst, du seist verrückt; dann kamst du lächelnd,
Und in dem Anzug, den man in dem Brief
An dir gerühmt. Ich bitte dich, sei ruhig!
Es ist dir ein durchtriebner Streich gespielt;
Doch kennen wir davon die Täter erst,[807]
So sollst du beides, Kläger sein und Richter
In eigner Sache.
FABIO.
Hört mich, wertes Fräulein,
Und laßt kein Hadern, keinen künft'gen Zank
Den Glanz der gegenwärt'gen Stunde trüben,
Worüber ich erstaunt. In dieser Hoffnung
Bekenn' ich frei, ich und Tobias haben
Dies gegen den Malvolio ausgedacht,
Für seinen Trotz und ungeschliffnes Wesen,
Das uns von ihm verdroß. Maria schrieb
Den Brief auf starkes Dringen unsers Junkers,
Zum Dank wofür er sie zur Frau genommen.
Wie wir's mit lust'ger Bosheit durchgesetzt,
Ist mehr des Lachens als der Rache wert,
Erwägt man die Beleidigungen recht,
Die beiderseits geschehn.
OLIVIA. Ach, armer Schelm, wie hat man dich geneckt!
NARR. Ja, »einige werden hochgeboren, einige erwerben Hoheit, und einigen wird sie zugeworfen.« – Ich war auch eine Person in diesem Possenspiele, mein Herr; ein gewisser Ehrn Matthias, mein Herr; aber das kommt auf eins heraus. – »Beim Himmel, Narr, ich bin nicht toll.« – Aber erinnert Ihr Euch noch? »Gnädiges Fräulein, warum lacht Ihr über solch einen ungesalznen Schuft? Wenn Ihr nicht lacht, so ist ihm der Mund zugenäht.« – Und so bringt das Dreherchen der Zeit seine gerechte Vergeltung herbei.
MALVOLIO. Ich räche mich an Eurer ganzen Rotte. Ab.
OLIVIA. Man hat ihm doch entsetzlich mitgespielt.
HERZOG.
Geht, holt ihn ein, bewegt ihn zur Versöhnung! –
Er muß uns von dem Schiffspatron noch sagen:
Wenn wir das wissen und die goldne Zeit
Uns einlädt, soll ein feierlicher Bund
Der Seelen sein. – Indessen, wertes Fräulein,
Verlassen wir Euch nicht. Cesario, kommt!
Das sollt Ihr sein, solang' Ihr Mann noch seid;
Doch wenn man Euch in andern Kleidern schaut,
Orsinos Herrin, seiner Liebe Braut.
Alle ab.[808]
NARR singt.
Und als ich ein winzig Bübchen war,
Hop heisa, bei Regen und Wind!
Da machten zwei nur eben ein Paar;
Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.
Und als ich vertreten die Kinderschuh',
Hop heisa, bei Regen und Wind!
Da schloß man vor Dieben die Häuser zu;
Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.
Und als ich, ach! ein Weib tät frein,
Hop heisa, bei Regen und Wind!
Da wollte mir Müßiggehn nicht gedeihn;
Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.
Und als der Wein mir steckt' im Kopf,
Hop heisa, bei Regen und Wind!
Da war ich ein armer betrunkner Tropf;
Denn der Regen, der regnet jeglichen Tag.
Die Welt steht schon eine hübsche Weil',
Hop heisa, bei Regen und Wind!
Doch das Stück ist nun aus, und ich wünsch' euch viel Heil;
Und daß es euch künftig so gefallen mag.
Ab.[809]
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